Interview mit Jonas Nay
Auf den 9. Lübecker Jugendbuchtagen im Januar 2015 hat Jonas Nay aus Michael Endes „Momo“ gelesen. Die Redaktion der Blauen Seite nutzte die Gelegenheit für ein Interview mit dem Musiker und Schauspieler.
Blaue Seite: Du hast vorhin aus „Momo“ vorgelesen. Sollte „Momo“ nochmal verfilmt werden, würdest du dann gern ein diesem Film mitspielen?
Jonas Nay: Ich wüsste jetzt nicht genau, wen ich da spielen würde. Wahrscheinlich Gigi. Der Film ist aus dem Jahr 1986. Der ist schon sehr liebevoll gemacht und Michael Ende hat mit Regie geführt. Manchmal kann man Filme auch einfach in ihrer Ursprungsform lassen, wenn sie gut sind. Ich mochte den Film sehr gerne und denke, man muss davon nicht unbedingt eine Neufassung drehen. Wenn, dann muss sie mit sehr viel Liebe gemacht werden – und dann würde ich mich für Gigi bewerben.
BS: Hast du früher viel gelesen?
Jonas Nay: Ja, es gab eine Phase, in der ich echt eine Leseratte war. Ich habe zwei Geschwister und wir haben in unserer Kindheit auch viel vorgelesen bekommen. Wenn ich nach Berlin fahre oder zu einem Dreh, dann nehme ich mir immer ein Hörbuch mit. Ich mag es immer noch, wenn mir vorgelesen wird. Das war auch der Grund, warum ich hier gesagt habe: „Auf jeden Fall möchte ich hier vorlesen!“. Ich finde, etwas vorgelesen zu bekommen, hat immer noch seine ganz eigene Magie.
BS: Würdest du selber gerne mal ein Hörbuch sprechen oder synchronisieren?
Jonas Nay: Synchronisiert habe ich schon, allerdings nur für Filme und Hörspiele. Ein Hörbuch habe ich noch nicht gelesen. Ich glaube, dass man sich als Hörer nicht auf alle Stimmen einlassen kann. Für mich war es schon immer angenehm, eine etwas ältere Stimme bei Hörbüchern anzuhören. Ich weiß aber nicht, wie es euch damit geht.
BS: Das ist unterschiedlich, Maria Koschny finde ich ziemlich angenehm.
Jonas Nay: Bei Frauenstimmen ist es etwas anderes, finde ich. Aber ich glaube, eine junge Stimme würde mich ziemlich irritieren.
BS: Rufus Beck war aber auch nicht so alt, als er Harry Potter gelesen hat.
Jonas Nay: Da war er aber auch Ende zwanzig oder Anfang dreißig.
Aber im Gegenteil zum Hörbuch geht es bei einer Lesung nicht nur um die Stimme, sondern um das Ganze: die Kinder, die dort sitzen. Und wie man selbst da vorne steht, ohne Schutzschild. Ich kann mir vorstellen, das öfter zu machen. Wenn ihr mich mal wieder braucht, komme ich sehr gerne. (Jonas Nay hat tatsächlich für die Jugendbuchtage 2016 zugesagt! Anm. d. Red.)
BS: Findest du es leichter, in einem Film mitzuspielen, zu dem es schon eine Romanvorlage gibt, oder in einem Film, für den nur ein Drehbuch existiert? Wenn es vorher schon ein Buch gibt, sind die Erwartungen der Fans schließlich sehr hoch und ich kann mir vorstellen, dass das Druck ausübt.
Jonas Nay: Ich glaube, ich habe noch nie einen Film gedreht, der auf einem Roman basierte. Insofern kann ich das nicht beurteilen. Ich bemerke aber, dass Filme vom Buch abweichen. Oft ist es auch so, dass der Film gar nicht versucht, das Buch auf gleicher Ebene wiederzugeben. Der Film sollte dann eher als abgekoppeltes Kunstwerk betrachtet werden. Ich finde es wichtig, dass Regisseure, die Bücher verfilmen, etwas ganz Eigenes aus ihnen machen. Manchmal gelingt das sehr gut.
BS: Bei welchem Drehbuch würdest du sofort zusagen?
Jonas Nay: Das kann ich schwer sagen, ich bekomme schließlich immer wieder Drehbücher zu lesen. Ich kann dann auch nur bei einem kleinen Bruchteil zusagen, schließlich braucht jeder Film viel Zeit. In den Sommermonaten wird sehr viel gedreht, weil dann das Licht und das Wetter gut sind und viel draußen gedreht werden kann. Für diese Zeit bekomme ich daher mehr Angebote und muss mich dann entscheiden, zu welchem Casting ich gehe. Da habe ich mich bisher immer überraschen lassen. Welche für mich die spannendste Rolle ist, welche den größten Bogen zum Erzählen hat. Es sollte auf jeden Fall immer eine Herausforderung sein. Das klingt abgedroschen, aber es ist so. Ich suche mir immer etwas aus, das mich herausfordert. Damit ich im Nachhinein sagen kann: „Gut gemacht. Du hast es geschafft.“ Und ich brauche etwas Neues, das ich noch nicht gemacht habe. Davor habe ich dann auch ein wenig Angst. Aber ich möchte Neues ausprobieren und es schaffen. Oft übersteigen Geschichten aber meine Vorstellungskraft, daher wäre ich ein ganz schlechter Drehbuchautor. Das ist eine Kunst für sich, daher kann ich auch keine Rolle beschreiben, die perfekt für mich wäre.
BS: Wenn du ein Angebot bekommen würdest, für einen Film die Filmmusik zu komponieren oder die Hauptrolle zu spielen: Für welche Option würdest du dich entscheiden?
Jonas Nay: Angenommen, ich bekäme wirklich so ein Angebot, dann könnte ich das gar nicht so genau sagen. Ich finde, dass beides für den Film enorm wichtig ist. Besonders die Tonbasis des Films ist wichtig. Zum Schauspielen gehört beispielsweise, Trauer darzustellen. Aber wenn die Stimme das nicht so richtig hergibt, sieht man erst mal, wie wichtig der Ton für den Film ist. Mein Freund Stephan Rick ist Regisseur. Für sein Spielfilmdebüt „Unter Nachbarn“ und auch für eine Folge für „Krimi.de“ habe ich Musik komponiert. Ansonsten waren da noch kleinere Projekte und Pop-Produktionen. Aber wenn ich tatsächlich mal die Filmmusik komponieren dürfte, könnte ich die Schauspielerei auch zurückstellen.
BS: Die ideale Mischung wäre dann ein Musical, da hast du beides.
Jonas Nay: Filmmusik komponieren und Singen ist doch noch ein Unterschied. Ich würde mich selbst nicht als den besten Sänger bezeichnen. Zwar mache ich das in meiner Band, aber Klavierspielen kann ich besser. Ich glaube nicht, dass ich der geborene Musical-Darsteller wäre. Meine Stimme ist nicht sehr hoch und Musical-Darsteller sind fast durchgängig krasse Tenöre. Für meine Stimme ist wahrscheinlich noch kein Musical geschrieben worden.
BS: Du bist einer der gefragtesten Nachwuchsschauspieler im Moment und studierst gleichzeitig hier in Lübeck. Wie schaffst du das? Ich stelle mir das wahnsinnig stressig vor.
Jonas Nay: Ich schaffe es, ehrlich gesagt, nicht (lacht). Ich habe jetzt zwei Urlaubssemester hintereinander genommen und vorher vier Semester studiert. Aber ich habe so viel pausiert, dass ich jetzt wieder ins vierte eingestuft werde. Das ganze letzte Jahr habe ich gar nicht studiert, weil ich es nicht geschafft habe. Aus diesem Grund werde ich dieses Jahr nichts drehen, sondern nur Musik machen und studieren. Drehs nehmen einem viel Zeit weg. Außerdem hänge ich mich in meine Rollen rein und möchte das möglichst gut machen. Da bleibt Raum, noch zu studieren oder Musik zu machen. Bisher habe ich es irgendwie hingekriegt, dass ich immer beidem die Zeit eingeräumt habe. Ich habe sonst immer versucht, mal ein ganzes Semester am Stück oder zumindest zwei drei Monate an der Hochschule zu sein. In Lübeck ist die Hochschule aber relativ klein, gerade in dem Studiengang, den ich mache. Ich studiere „Musik vermitteln“ mit Jazz-Piano als Hauptfach. Das ist im Grunde so wie früher das Lehramtsstudium als Bachelor im Pop- und Jazz-Bereich. Wir sind ca. 25 Leute in diesem Jahrgang. Viel Unterricht verläuft quasi im Privaten. Also kann man ab und zu auch Fehlzeiten damit ausgleichen, dass man etwas mehr in der Woche macht. Das geht an größeren Unis und Hochschulen nicht, aber hier in Lübeck ist das flexibler.
BS: War das auch ein Grund, warum du ausgerechnet wieder nach Lübeck zurückgekommen bist? Viele Schauspieler bleiben in Berlin.
Jonas Nay: Die Hochschule war natürlich ein Grund. Ich habe vorher in Hamburg gelebt, dann in Rostock, habe ein Fernstudium zum Filmmusikkomponisten in Bonn absolviert und mich in Hannover und in Lübeck für das musikalische Studium beworben. Ich wurde dann auch in Hannover und Lübeck angenommen. Die Entscheidung fiel für Lübeck, da es eine schöne Hochschule ist – sie ist recht klein – und hier meine Familie lebt. Das ist mir enorm wichtig. Ich habe hier meine Band, Freunde, meinen Handballverein. Alles, was für mich dieses Heimatgefühl ausmacht, habe ich in Lübeck.
Viele Schauspieler und junge kreative Menschen, zieht es nach Berlin, weil sie da im pulsierenden Leben sind. Ich muss für meine Jobs schon ins pulsierende Leben. Oft wird ja in Großstädten gedreht oder es geht für Presseveranstaltungen und Ähnliches nach Berlin. Dann habe ich eher das Bedürfnis nach Ruhe und nach Heimat. Mich zieht es echt nicht mehr in die Fremde. Ich fühle mich manchmal ganz schön alt. Ich habe das letzte halbe Jahr in Berlin gelebt, weil ich dort vier Monate gedreht habe. Davor habe ich dreieinhalb Monate in Prag gedreht – dann lebt man halt im Hotel oder in irgendeinem Apartment. Das soll jetzt nicht traurig klingen, aber da kriegt man richtig Heimweh. Und ob das jetzt deine Familie ist oder nicht: Du brauchst immer deinen kleinen Kosmos und den habe ich hier in Lübeck gefunden. Den werde ich auch hier behalten. Dafür bin ich irgendwie zu wenig Weltenbummler. Ich bin sowieso immer überflutet von hunderttausend Eindrücken. Es passiert so unheimlich viel in kürzester Zeit – das muss man erst einmal verarbeiten.
BS: Dein neuster Film „Wir sind jung, wir sind stark“ hat ein Thema, das leider wieder sehr aktuell ist. Wenn man sich das so anguckt: Ausländerfeindlichkeit und Pegida. Denkst du, dass man mit Filmen Leute mehr beeinflussen kann als mit Worten?
Jonas Nay: Ja, das glaube ich. Ein Film hat so viele verschiedene Ebenen, die auf den Zuschauer einwirken: mit Ton, Bild und Geschichte. Es gibt verschiedene Fassetten, die als Eindrücke hängenbleiben. Es ist ein gutes Medium, um Leute zu erreichen. Gerade wenn es um Pegida geht oder was auch immer. Es gibt gerade verschiedenste rassistisch motivierte Grausamkeiten in der Welt, dann ist jedes Medium gefragt.
BS: Viele von deinen Filmen werden auch im Unterricht gezeigt. „Homevideo“ war da ganz groß. Und ich denke, „Wir sind jung, wir sind stark“ könnte auch häufig im Unterricht verwendet werden. Glaubst du, es macht den Film kaputt, wenn Schüler quasi gezwungen werden, ihn zu gucken?
Jonas Nay: Mal ganz ehrlich: Wer von euch würde für so einen Film ins Kino gehen? Nehmen wir „Homevideo“: Man geht ins Kino, um einen schönen Abend zu haben, und nicht, um sich mit schwerer Kost konfrontieren zu lassen. Deswegen finde ich es keine schlechte Herangehensweise, so einen Film im Unterricht zu zeigen. Ein bisschen Zwang steckt dahinter, aber dann muss es der Film schaffen, die Schüler am Einschlafen zu hindern. Ich habe auch Filme in der Schule geguckt, die ich mir sicherlich sonst nicht angeschaut hätte. Davon haben ca. siebzig Prozent es geschafft, mich zu packen. Und den Rest habe ich dann zum Schlafen genutzt. Insofern ist das vielleicht gar nicht so schlecht.
Filme wie „Homevideo“ einer großen Zuschauermenge zugänglich zu machen, ist nicht leicht. Im Fernsehen mal an einem spannenden Film hängen zu bleiben ist was anderes, als Geld fürs Kino hinzulegen. Solche Filme haben es im Fernsehen einfacher. Ich will das überhaupt nicht abwerten. Da ich solche Filme drehe, habe ich mittlerweile einen Zugang dazu gefunden und gucke sie gerne. Trotzdem geht der durchschnittliche Zuschauer dafür nicht ins Kino.
„Wir sind jung, wir sind stark“ ist dagegen ein Film, der fürs Kino konzipiert ist. Man filmt ganz anders fürs Kino, weil die Wahrnehmung auf einem kleinen Bildschirm einfach komplett anders ist als auf der Leinwand. Auf einer großen Leinwand kannst du nicht das ganze Bild auf einmal erfassen. Natürlich ist es schön, wenn ein Film wie „Wir sind jung, wir sind stark“ Aufmerksamkeit im Kino bekommt. „Homevideo“ wiederum hat es im Fernsehen wesentlich einfacher gehabt. „Wir sind jung, wir sind stark“ kriegt wegen der aktuellen Brisanz mehr Aufmerksamkeit und das tut dem Film sicherlich gut. Ist aber trotzdem irgendwie schade, dass für Erfolg ein aktueller Bezug nötig ist.
BS: Ist es dir also wichtiger, ein paar Leute wirklich zu erreichen als viele oberflächlich anzusprechen?
Jonas Nay: Ich finde, alles hat seine Berechtigung. Es soll Unterhaltungsfilme geben – ich gucke mir die auch gerne an. Es ist schön, wenn Leute aus dem Kino kommen und herzlich gelacht haben und einen schönen Abend hatten, das finde ich total wichtig. Ich finde auch wichtig, dass politische oder soziale Dramen gedreht werden. Diese Filme muss es auch geben. Ich mag die Mischung. Mir persönlich geht es eigentlich nicht darum, wer die Filme letzten Endes guckt, die ich drehe. Mir geht es in erster Linie darum, ob ich mir da selbst gefalle. Natürlich kritisiert man sich selbst immer am meisten und hat tierischen Schiss, was die Leute dazu sagen. Aber das Allerwichtigste ist wirklich, dass du selbst damit leben kannst.
BS: Und wie ist es, wenn du dir jetzt im Nachhinein „4 gegen Z“ anguckst? Viele von uns kennen die Serie. Gefällt es dir oder ist dir das peinlich?
Jonas Nay: Nein, quatsch, das ist mir nicht peinlich. Ich habe das tatsächlich länger nicht mehr geguckt. Meine damalige Freundin hatte eine kleine Schwester. Wenn die bei uns in Rostock zu Besuch war, hat sie sich immer „4 gegen Z“ angeguckt und manchmal habe ich mitgeguckt. Ich finde das nach wie vor eine süß gemachte Serie. Es ist als Mysterie-Serie für Kinder gedacht und man merkt schon, dass da Fantasie und Liebe drinsteckt. Das kann man natürlich nicht mit Projekten wie „Wir sind jung, wir sind stark“ vergleichen, die für ein politisch interessiertes Publikum gemacht sind. Deswegen ist es aber nicht schlechter. Nein, ich finde das überhaupt nicht peinlich, ich finde das ganz lustig. Wenn man als kleiner Junge vor eine Kamera gestellt wird und keine Ahnung von Schauspielerei hat, hat man ja einen ganz intuitiven Zugang. Es war damals auch ein Spiel. Ich habe damit zwei Jahre meine Lebens neben der Schule zugebracht, das musste gleichzeitig Freizeit und Job sein. Ich habe viel mehr gearbeitet als die meisten Jungen in meinem Alter und musste dann abends die Schule nachholen. Das war schon heftig. Aber natürlich hat man nicht zwei Jahre lang unter Starkstrom gearbeitet. Es ist aber im Nachhinein lustig zu sehen, was entsteht, wenn Kinder fröhlich vor der Kamera spielen.
BS: Haben deine Mitschüler das auch geguckt, als sie wussten, dass du da mitspielst?
Jonas Nay: Es gab damals eine Tradition, die sich zum Glück nicht fortgesetzt hat. Ich hatte eine Klassenlehrerin – eine nette Frau –, aber sie hatte die Idee, das mit der ganzen Klasse zu gucken. (Falls Sie das jetzt lesen, es ist nicht böse gemeint!) Das war natürlich für mich damals nicht so toll. Danach gab es Mobbingversuche. Es war nicht einfach. Kinder können ganz schön brutal sein, gerade wenn es um Eifersucht oder Missgunst geht. Ich konnte machen, was ich wollte, ich wurde immer anders beäugt als die anderen Kinder. Selbst von den Lehrern. Es gab auch viele Lehrer, die enorm missgünstig waren, das war ganz komisch. Ich weiß auch gar nicht, warum Lehrer dann auf kleine Kinder losgehen. Es gab ein paar Lehrkräfte, die mich unheimlich unterstützt und super geholfen haben. Es gab aber auch Lehrkräfte, die mir offensichtlich Steine in den Weg legen wollten. Mit den Mitschülern war es auch nicht einfach. Ich hatte zwei, drei richtig wichtige, gute Freunde. Ende der Mittelstufe hat sich das dann total entspannt. Da habe ich aber auch nicht gedreht. Aber in der Unterstufe, fünfte, sechste Klasse können gerade die Jungs richtig gemein werden.
BS: Hattest du deswegen auch dein Pseudonym, Jonas Friedebom?
Jonas Nay: Das hat mir an meiner eigenen Schule nicht geholfen. Von der Produktion wurde uns im Vorhinein nahegelegt, den Namen zu ändern, weil man einen Namen wie „Nay“ nicht so oft in Deutschland findet. Diese Produktionsfirma hatte vorher „Die Pfefferkörner“ gemacht. Die ersten Schauspieler haben damals einen riesigen Ansturm an Fananrufen bekommen. Zu Hause bei denen war richtig die Hölle los und darum haben sie uns geraten: „Ändere mal lieber deinen Namen, sonst steht das Telefon nicht still, wenn das total durch die Decke geht.“ Sie wussten natürlich noch nicht, ob „4 gegen Z“ ähnlich erfolgreich wird – wurde es nicht. Jedenfalls habe ich den Namen „Friedebom“ gewählt, weil wir uns in unserer Klasse damals alle irgendwelche Namen gegeben und uns gegenseitig Autogramme auf die Hände geschrieben haben. Irgendjemand hat mir den wunderschönen Namen „Friedebom“ verpasst, ich weiß auch nicht wieso. Dann habe ich den als Künstlernamen genommen, weil meine Freunde und meine Klasse wussten, dass ich das bin, aber kein anderer mich damit in Verbindung bringen konnte.
BS: Und warum hast du den Künstlernamen wieder abgelegt?
Jonas Nay: Das hatte verschiedene Gründe. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich bei „4 gegen Z“ in der eigenen Schule bekannt war. Aber daran hat mein Name nichts geändert. Ich wollte dann zu dem stehen, was ich mache. Ich hätte mir einen total abgefahrenen Namen geben können. Aber ich fand es schön zu sagen, dass es mein Werk ist und es mit mir in Verbindung gebracht werden kann. Bisher sind es auch keine Teenie-Schwarm-Filme gewesen, wie „Rock it“. Der Hauptdarsteller ist übrigens ein Freund von mir. Disney- oder Warner-Produktionen haben natürlich eher das Potenzial, dass man gestalkt wird – in Deutschland ist das normalerweise sowieso nicht so krass. Bei meinen Filmen ist das relativ entspannt. Ich weiß nicht, ob sich das noch ändert, aber das Versteckspiel lohnt sich dann auch nicht mehr.
BS: Würdest du denn gerne mal in einem „Teenie-Film“ mitspielen?
Jonas Nay: Da ich sehr gerne meine Privatsphäre habe, bin ich sehr vorsichtig mit solchen Sachen. Ich hätte schon mal die Möglichkeit dazu gehabt. Vielleicht ergibt es sich noch, es muss aber ein tolles Drehbuch sein. Es gibt natürlich eine Menge Teenager, die alle ein Smartphone haben und einen auf Facebook finden und anschreiben. Dafür muss man sich bewusst entscheiden. Bisher habe ich das noch nicht.
BS: Dann haben wir noch eine Abschlussfrage, die wir jedes Mal stellen: Was assoziierst du mit einer blauen Seite?
Jonas Nay: Euch (lacht). Aber nur, weil du mir das schon vorher verraten hast. Ich hätte jetzt an einen blauen Brief aus der Schule gedacht oder an blaues Zigarettenpapier.
BS: Da fällt mir noch eine Frage ein: Mir ist aufgefallen, dass in deinen Filmen ziemlich viel geraucht wird. Muss der Schauspieler dann rauchen, wenn seine Rolle das vorsieht?
Jonas Nay: Rauchen kann man vortäuschen. Es gibt Kräuterzigaretten. Dann hast du zumindest nicht die Abhängigkeit, weil du kein Nikotin zu dir nimmst. Die schmecken ganz schlimm – als würdest du ein Lagerfeuer einatmen oder Tee rauchen. Aber man wird vorher gefragt, ob das okay ist. Man kann dann schon nein sagen. Dann fragen sie einen, ob man das mit Kräuterzigaretten machen würde. Wenn der Regisseur das unbedingt möchte und der Schauspieler nein sagt, dann kann dieser Schauspieler eben nicht die Rolle spielen. Aber das ist sehr, sehr selten. Eigentlich findet man immer Mittel und Wege, das vorzutäuschen. Man kann ja jemanden von hinten zeigen, während er raucht. Aber ich habe noch keinen Regisseur getroffen, dem das Rauchen so wichtig ist, dass da groß getrickst werden musste.
Ich bin kein Raucher und habe im Film trotzdem schon geraucht. Ich habe mich dann für die richtigen Zigaretten entschieden, weil diese Kräuterzigaretten einfach so dermaßen ekelig schmecken, dass man nicht mehr spielen kann. Das ist echt unfassbar, es zieht sich alles zusammen (lacht). Und du hustest viel mehr als bei jeder normalen Zigarette. Vielleicht ist es gesünder, ich weiß es nicht. Aber das muss man sich schon gut überlegen, weil man eine Szene aus mehreren Winkeln dreht, und das immer und immer wieder. Dann muss die Zigarette auch noch auf der gleichen Länge sein, das heißt man muss sie immer wieder anrauchen. Also rauchst du innerhalb einer Szene zwei Schachteln und dann wird dir richtig, richtig schlecht. So einige Schauspieler haben sich im Nachhinein geärgert, wenn es eine Gruppenszene gibt, die ganz oft wiederholt wird. Dann sitzt du den ganzen Tag nur im Anschnitt oder unscharf im Hintergrund und musst die ganze Zeit rauchen, weil du es vorher so entschieden hast.
BS: Gibt es denn etwas, das du für einen Film nie machen würdest, z. B. eine Glatze schneiden?
Jonas Nay: Das war für „Homevideo“ mal im Gespräch. Ich habe dafür auch zugesagt. Sehr, sehr schweren Herzens. Aber da ich dann noch ein bisschen herumgejammert habe, haben sie es gelassen. Ich habe schon extreme Dinge vor der Kamera getan, die vielleicht nicht jeder gemacht hätte, aber mir dabei gesagt: „Okay, wenn das für die Geschichte und den Zuschauer wirklich wichtig ist, dann mache ich das.“ Zum Beispiel das Onanieren bei „Homevideo“, das die Mitschüler auf dem Video sehen: Das löst beim Zuschauer natürlich eine Menge aus, weil sie wissen, wie peinlich das in dem Moment ist.
Aber es gab auch Momente, in denen ich gesagt habe, dass es für mich wenig Sinn ergibt, in der Szene nackig herumzulaufen. Und dann gab es auch Szenen, in denen ich gesagt habe, dass wir das in dieser Deutlichkeit zeigen müssen, weil wir den Effekt für den Film brauchen. Ich bin gegen das Provozieren nur um des Provozierens willen.
Ich habe mal von einem Schauspieler gehört, der in einer Szene Pancakes aß. Seine reale Tochter war seine Filmpartnerin. Ihm war hinterher so schlecht, weil die Szene ständig neu gedreht werden musste. Essen und Rauchen sind also zwei Dinge, bei denen man sich gut überlegen sollte, ob man das tun will. Deswegen sieht man in Filmen Leute ganz viel im Essen stochern. Zum Ersten wird dir schlecht, zum Zweiten hast du immer dann, wenn du was sagen musst, den Mund voll. Das ist total nervig, weil du das gar nicht so koordinieren kannst. Zum Dritten, und das ist wirklich das Allerschlimmste an der Sache: Dadurch, dass du aus verschiedenen Winkeln drehst, gibt es einen Job am Set, der heißt Script und Continuity. Der sitzt nur da und schreibt auf, was du wann mit welchen Händen und den Augen machst.
Es gibt einen Master-Take, den der Regisseur in der einen Kameraeinstellung für geeignet hält. Wenn die Kamera sich dann weiterbewegt und von der anderen Seite aus gedreht wird, musst du alles genauso nochmal machen, damit das zusammengeschnitten werden kann. Für übermotivierte Schauspieler, die die verrücktesten Sachen machen und Dinge hin und her schieben, beispielsweise die Gabel mal nach links und mal nach rechts legen, ist Script und Continuity sehr wichtig.
Es gibt viele Websites, auf denen Leute über gefundene Anschlussfehler schreiben. Man kriegt es nie ganz perfekt hin und das muss es auch gar nicht sein. Aber es beeinträchtigt dich beim Spielen, wenn eine Frau zu dir kommt und sagt: „Bei dem Wort hast du das gemacht, dann hast du getrunken, dann hast du dich geräuspert, dir in die Haare gefasst und das machen wir jetzt nochmal genau so.“ Beim Essen ist das ganz fies.
BS: Gibt es Schauspieler, die auch nur so tun, als ob sie essen? Nur Kaubewegungen machen oder aus leeren Bechern trinken?
Jonas Nay: Ja, das gibt es. Man nimmt einfach viel kleinere Bissen als normal, damit man es schnell herunterschlucken kann. Es wird auch kein Alkohol getrunken, sondern Wasser. Nichts mit Kohlensäure, damit du nicht während des Sprechens aufstoßen musst. Es gibt so grundsätzliche Dinge, die beachtet werden, aber letzten Endes ist das keine Zauberei. Du musst nur darauf achten, dass du in deiner Rolle bleiben kannst, ohne dass du beeinträchtigt wirst. Du hast beim Drehen immer Scheinwerfer oder eine Angel mit einem Mikrofon über dem Kopf. Zusätzlich eine Kamera und drei Leute, also einer, der Schärfe zieht, einer, der die Kamera bewegt, einer, der die Kamera schwenkt – du hast die ganze Zeit Leute um dich herum, bei denen sich alles um dich dreht. Du probierst, dich nur auf deine Szene und dein Gegenüber zu konzentrieren. Wenn du dann noch koordinieren musst, zu essen, wird es irgendwann zu einem Tanz und du vergisst das Schauspielern. Das ist immer die Gefahr dabei.
BS: Wird am Ende viel aus dem Film herausgeschnitten?
Jonas Nay: Grob gesagt: Wenn man 90 Minuten Film hat, liegt ein Rohschnitt bei ca. 100 bis 130 Minuten. Oft ist der Rohschnitt noch sehr langatmig. Dann werden die Schnitte nochmal kürzer gemacht, immer wieder verkürzt, verdichtet, umgestellt. Da es pro Kameraeinstellung drei Takes gibt, also auch Dateien, die wirklich im Schnittprogramm benutzt werden, kann für eine zehnminütige Szene auch mal eine Stunde Material vorhanden sein. Da wird natürlich eine Menge geschnitten, da am Ende nur aus jeder Richtung das Schönste genommen wird.
BS: Also werden weniger ganze Szenen als nur Szenenabschnitte herausgeschnitten?
Jonas Nay: Doch, ganze Szenen werden auch rausgeschnitten. Das sind oft mehr als man denkt und es sind nicht alle im Bonusprogramm der DVD. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn man vierzig Minuten über der vorgegebenen Zeit liegt: Dann fliegen auch zwanzig Minuten lange Szenen raus. Aber es kann auch sein, dass der Rohschnitt nur zehn Minuten zu viel hat und dann reicht es vielleicht, zwei Szenen rauszunehmen. „Wir sind jung, wir sind stark“ z. B. spielt viel mit Plansequenzen (Szenen, die nur aus einer einzigen, vergleichsweise langen Kameraeinstellung bestehen, Anm. d. Red.). Da wird also relativ wenig geschnitten, weil du ja ganze Szenen rausschmeißen müsstest. Das kommt auf den Film an.
BS: Würdest du gerne im Theater spielen, wenn das mit der Kamera so nervig ist?
Jonas Nay: Nein, versteh mich nicht falsch: Das ist nicht nervig, das gehört einfach zum Beruf. Man kann das auch nutzen – wenn man weiß, wie die Kamera einen anschaut, mit was für einer Brennweite beispielsweise. Ich bin eher ein technischer Schauspieler. Es gibt sehr viele, sehr gute, intuitive Schauspieler, denen der ganze technische Kram egal ist und bei denen es trotzdem total genial aussieht. Ich hingegen weiß ziemlich gut, was die Kamera macht und was wie wirkt. Das kann ich natürlich für mich nutzen. Es stört mich nicht, dass da eine Kamera ist. Ich bin niemand, der für große Bühnen und große Gesten gemacht ist, glaube ich. Bei mir passiert ganz viel im Gesicht – wenn was passiert (lacht). Die Theatralik, daher kommt ja das Wort, liegt mir nicht so. Für mich ist das wirklich Spannende dieses ganz Natürliche. Es ist gar nicht so leicht, einen normalen, natürlichen Sprechrhythmus in einem Dialog entstehen zu lassen, in dem die Leute wirklich aufeinander reagieren. Sodass du auch beim Fernsehen das Gefühl hast, dass die Darsteller das zum ersten Mal hören und darauf reagieren. Ich habe trotzdem – oder gerade deswegen – eine riesige Hochachtung vor dem Theater, weil diese große Gestik einfach nicht mein Ding ist. Mich interessiert vor allem das Kleine, Feine, was zwischen Menschen passiert. Das kann man im Kino oder Fernseher viel schöner einfangen. Im Theater kriegt die letzte Reihe gar nicht mit, was du mit deiner Augenbraue machst.
BS: Hast du eigentlich einen Lieblingsfilm?
Jonas Nay: Lieblingsfilm, ja. Das klingt jetzt absurd, aber ich habe in meinem Leben noch gar nicht so viele Filme gesehen. Ich habe in meiner Kindheit relativ wenig Fernsehen geguckt. Das einzige, was ich sehen durfte, war die Sendung mit der Maus. Ich habe mein Leben immer mit Musik und Sport gefüllt. Als ich dann ausgezogen bin und beim Fernsehen gearbeitet habe, habe ich auch enorm wenig fern geguckt. Ich war auch nicht so viel im Kino und hatte nie einen Fernseher. Ich habe jetzt zu Weihnachten meinen ersten Fernseher geschenkt bekommen. Davor habe ich über den Laptop Filme geguckt, aber das hielt sich in Grenzen. Nachdem ich jetzt drei, vier Jahre in der Branche gearbeitet habe, erwartet man von mir, dass ich mich in deutschen Filmen besser auskenne. Das muss ich langsam aufholen. Du kannst auch nicht Musiker sein und keinen anderen Musiker kennen.
BS: Und was ist dein Lieblingsfilm?
Jonas Nay: Es ist ein bisschen absurd, aber was mich so richtig geflasht hat, schon vor dem Vorspann – nach dem Vorspann hätte ich schon aus dem Kino gehen können und wäre glücklich gewesen – war „James Bond – Skyfall“. Die „Millennium“-Trilogie war auch toll oder „Fight Club“.
BS: Und Serien?
Jonas Nay:„Homeland“. Für mich sind die besten Serien aller Zeiten „Homeland“ und „New Girl“. Ich weiß, es ist total gruselig, aber ich liebe „New Girl“. Hast du das mal gesehen? Das ist so lustig. „New Girl“ ist der Wahnsinn. Und „Homeland“ war für mich die genialste Serie aller Zeiten. Jetzt gucke ich gerade „Sherlock“.
Okay, ihr Lieben, ich zisch ab. Vielen Dank.
BS: Danke, dass du da warst!