Interview mit Jonas Nay

Interview

Auf den 9. Lübecker Jugendbuchtagen im Januar 2015 hat Jonas Nay aus Michael Endes „Momo“ gelesen. Die Redaktion der Blauen Seite nutzte die Gelegenheit für ein Interview mit dem Musiker und Schauspieler.

Blaue Seite: Du hast vorhin aus „Momo“ vorgelesen. Sollte „Momo“ nochmal verfilmt werden, würdest du dann gern ein diesem Film mitspielen?

Jonas Nay: Ich wüsste jetzt nicht genau, wen ich da spielen würde. Wahrscheinlich Gigi. Der Film ist aus dem Jahr 1986. Der ist schon sehr liebevoll gemacht und Michael Ende hat mit Regie geführt. Manchmal kann man Filme auch einfach in ihrer Ursprungsform lassen, wenn sie gut sind. Ich mochte den Film sehr gerne und denke, man muss davon nicht unbedingt eine Neufassung drehen. Wenn, dann muss sie mit sehr viel Liebe gemacht werden – und dann würde ich mich für Gigi bewerben.


BS: Hast du früher viel gelesen?


Jonas Nay: Ja, es gab eine Phase, in der ich echt eine Leseratte war. Ich habe zwei Geschwister und wir haben in unserer Kindheit auch viel vorgelesen bekommen. Wenn ich nach Berlin fahre oder zu einem Dreh, dann nehme ich mir immer ein Hörbuch mit. Ich mag es immer noch, wenn mir vorgelesen wird. Das war auch der Grund, warum ich hier gesagt habe: „Auf jeden Fall möchte ich hier vorlesen!“. Ich finde, etwas vorgelesen zu bekommen, hat immer noch seine ganz eigene Magie.

BS: Findest du es leichter, in einem Film mitzuspielen, zu dem es schon eine Romanvorlage gibt, oder in einem Film, für den nur ein Drehbuch existiert? Wenn es vorher schon ein Buch gibt, sind die Erwartungen der Fans schließlich sehr hoch und ich kann mir vorstellen, dass das Druck ausübt.


Jonas Nay: Ich glaube, ich habe noch nie einen Film gedreht, der auf einem Roman basierte. Insofern kann ich das nicht beurteilen. Ich bemerke aber, dass Filme vom Buch abweichen. Oft ist es auch so, dass der Film gar nicht versucht, das Buch auf gleicher Ebene wiederzugeben. Der Film sollte dann eher als abgekoppeltes Kunstwerk betrachtet werden. Ich finde es wichtig, dass Regisseure, die Bücher verfilmen, etwas ganz Eigenes aus ihnen machen. Manchmal gelingt das sehr gut.

BS: Bei welchem Drehbuch würdest du sofort zusagen?


Jonas Nay: Das kann ich schwer sagen, ich bekomme schließlich immer wieder Drehbücher zu lesen. Ich kann dann auch nur bei einem kleinen Bruchteil zusagen, schließlich braucht jeder Film viel Zeit. In den Sommermonaten wird sehr viel gedreht, weil dann das Licht und das Wetter gut sind und viel draußen gedreht werden kann. Für diese Zeit bekomme ich daher mehr Angebote und muss mich dann entscheiden, zu welchem Casting ich gehe. Da habe ich mich bisher immer überraschen lassen. Welche für mich die spannendste Rolle ist, welche den größten Bogen zum Erzählen hat. Es sollte auf jeden Fall immer eine Herausforderung sein. Das klingt abgedroschen, aber es ist so. Ich suche mir immer etwas aus, das mich herausfordert. Damit ich im Nachhinein sagen kann: „Gut gemacht. Du hast es geschafft.“ Und ich brauche etwas Neues, das ich noch nicht gemacht habe. Davor habe ich dann auch ein wenig Angst. Aber ich möchte Neues ausprobieren und es schaffen. Oft übersteigen Geschichten aber meine Vorstellungskraft, daher wäre ich ein ganz schlechter Drehbuchautor. Das ist eine Kunst für sich, daher kann ich auch keine Rolle beschreiben, die perfekt für mich wäre.

BS: Du bist einer der gefragtesten Nachwuchsschauspieler im Moment und studierst gleichzeitig hier in Lübeck. Wie schaffst du das? Ich stelle mir das wahnsinnig stressig vor.


Jonas Nay: Ich schaffe es, ehrlich gesagt, nicht (lacht). Ich habe jetzt zwei Urlaubssemester hintereinander genommen und vorher vier Semester studiert. Aber ich habe so viel pausiert, dass ich jetzt wieder ins vierte eingestuft werde. Das ganze letzte Jahr habe ich gar nicht studiert, weil ich es nicht geschafft habe. Aus diesem Grund werde ich dieses Jahr nichts drehen, sondern nur Musik machen und studieren. Drehs nehmen einem viel Zeit weg. Außerdem hänge ich mich in meine Rollen rein und möchte das möglichst gut machen. Da bleibt Raum, noch zu studieren oder Musik zu machen. Bisher habe ich es irgendwie hingekriegt, dass ich immer beidem die Zeit eingeräumt habe. Ich habe sonst immer versucht, mal ein ganzes Semester am Stück oder zumindest zwei drei Monate an der Hochschule zu sein. In Lübeck ist die Hochschule aber relativ klein, gerade in dem Studiengang, den ich mache. Ich studiere „Musik vermitteln“ mit Jazz-Piano als Hauptfach. Das ist im Grunde so wie früher das Lehramtsstudium als Bachelor im Pop- und Jazz-Bereich. Wir sind ca. 25 Leute in diesem Jahrgang. Viel Unterricht verläuft quasi im Privaten. Also kann man ab und zu auch Fehlzeiten damit ausgleichen, dass man etwas mehr in der Woche macht. Das geht an größeren Unis und Hochschulen nicht, aber hier in Lübeck ist das flexibler.

BS: War das auch ein Grund, warum du ausgerechnet wieder nach Lübeck zurückgekommen bist? Viele Schauspieler bleiben in Berlin.


Jonas Nay: Die Hochschule war natürlich ein Grund. Ich habe vorher in Hamburg gelebt, dann in Rostock, habe ein Fernstudium zum Filmmusikkomponisten in Bonn absolviert und mich in Hannover und in Lübeck für das musikalische Studium beworben. Ich wurde dann auch in Hannover und Lübeck angenommen. Die Entscheidung fiel für Lübeck, da es eine schöne Hochschule ist – sie ist recht klein – und hier meine Familie lebt. Das ist mir enorm wichtig. Ich habe hier meine Band, Freunde, meinen Handballverein. Alles, was für mich dieses Heimatgefühl ausmacht, habe ich in Lübeck.
Viele Schauspieler und junge kreative Menschen, zieht es nach Berlin, weil sie da im pulsierenden Leben sind. Ich muss für meine Jobs schon ins pulsierende Leben. Oft wird ja in Großstädten gedreht oder es geht für Presseveranstaltungen und Ähnliches nach Berlin. Dann habe ich eher das Bedürfnis nach Ruhe und nach Heimat. Mich zieht es echt nicht mehr in die Fremde. Ich fühle mich manchmal ganz schön alt. Ich habe das letzte halbe Jahr in Berlin gelebt, weil ich dort vier Monate gedreht habe. Davor habe ich dreieinhalb Monate in Prag gedreht – dann lebt man halt im Hotel oder in irgendeinem Apartment. Das soll jetzt nicht traurig klingen, aber da kriegt man richtig Heimweh. Und ob das jetzt deine Familie ist oder nicht: Du brauchst immer deinen kleinen Kosmos und den habe ich hier in Lübeck gefunden. Den werde ich auch hier behalten. Dafür bin ich irgendwie zu wenig Weltenbummler. Ich bin sowieso immer überflutet von hunderttausend Eindrücken. Es passiert so unheimlich viel in kürzester Zeit – das muss man erst einmal verarbeiten.

BS: Ist es dir also wichtiger, ein paar Leute wirklich zu erreichen als viele oberflächlich anzusprechen?


Jonas Nay: Ich finde, alles hat seine Berechtigung. Es soll Unterhaltungsfilme geben – ich gucke mir die auch gerne an. Es ist schön, wenn Leute aus dem Kino kommen und herzlich gelacht haben und einen schönen Abend hatten, das finde ich total wichtig. Ich finde auch wichtig, dass politische oder soziale Dramen gedreht werden. Diese Filme muss es auch geben. Ich mag die Mischung. Mir persönlich geht es eigentlich nicht darum, wer die Filme letzten Endes guckt, die ich drehe. Mir geht es in erster Linie darum, ob ich mir da selbst gefalle. Natürlich kritisiert man sich selbst immer am meisten und hat tierischen Schiss, was die Leute dazu sagen. Aber das Allerwichtigste ist wirklich, dass du selbst damit leben kannst.

BS: Und wie ist es, wenn du dir jetzt im Nachhinein „4 gegen Z“ anguckst? Viele von uns kennen die Serie. Gefällt es dir oder ist dir das peinlich?


Jonas Nay: Nein, quatsch, das ist mir nicht peinlich. Ich habe das tatsächlich länger nicht mehr geguckt. Meine damalige Freundin hatte eine kleine Schwester. Wenn die bei uns in Rostock zu Besuch war, hat sie sich immer „4 gegen Z“ angeguckt und manchmal habe ich mitgeguckt. Ich finde das nach wie vor eine süß gemachte Serie. Es ist als Mysterie-Serie für Kinder gedacht und man merkt schon, dass da Fantasie und Liebe drinsteckt. Das kann man natürlich nicht mit Projekten wie „Wir sind jung, wir sind stark“ vergleichen, die für ein politisch interessiertes Publikum gemacht sind. Deswegen ist es aber nicht schlechter. Nein, ich finde das überhaupt nicht peinlich, ich finde das ganz lustig. Wenn man als kleiner Junge vor eine Kamera gestellt wird und keine Ahnung von Schauspielerei hat, hat man ja einen ganz intuitiven Zugang. Es war damals auch ein Spiel. Ich habe damit zwei Jahre meine Lebens neben der Schule zugebracht, das musste gleichzeitig Freizeit und Job sein. Ich habe viel mehr gearbeitet als die meisten Jungen in meinem Alter und musste dann abends die Schule nachholen. Das war schon heftig. Aber natürlich hat man nicht zwei Jahre lang unter Starkstrom gearbeitet. Es ist aber im Nachhinein lustig zu sehen, was entsteht, wenn Kinder fröhlich vor der Kamera spielen.

BS: Und warum hast du den Künstlernamen wieder abgelegt?


Jonas Nay:
Das hatte verschiedene Gründe. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich bei „4 gegen Z“ in der eigenen Schule bekannt war. Aber daran hat mein Name nichts geändert. Ich wollte dann zu dem stehen, was ich mache. Ich hätte mir einen total abgefahrenen Namen geben können. Aber ich fand es schön zu sagen, dass es mein Werk ist und es mit mir in Verbindung gebracht werden kann. Bisher sind es auch keine Teenie-Schwarm-Filme gewesen, wie „Rock it“. Der Hauptdarsteller ist übrigens ein Freund von mir. Disney- oder Warner-Produktionen haben natürlich eher das Potenzial, dass man gestalkt wird – in Deutschland ist das normalerweise sowieso nicht so krass. Bei meinen Filmen ist das relativ entspannt. Ich weiß nicht, ob sich das noch ändert, aber das Versteckspiel lohnt sich dann auch nicht mehr.

BS: Würdest du denn gerne mal in einem „Teenie-Film“ mitspielen?


Jonas Nay:
Da ich sehr gerne meine Privatsphäre habe, bin ich sehr vorsichtig mit solchen Sachen. Ich hätte schon mal die Möglichkeit dazu gehabt. Vielleicht ergibt es sich noch, es muss aber ein tolles Drehbuch sein. Es gibt natürlich eine Menge Teenager, die alle ein Smartphone haben und einen auf Facebook finden und anschreiben. Dafür muss man sich bewusst entscheiden. Bisher habe ich das noch nicht.

BS: Dann haben wir noch eine Abschlussfrage, die wir jedes Mal stellen: Was assoziierst du mit einer blauen Seite?
Jonas Nay:
Euch (lacht). Aber nur, weil du mir das schon vorher verraten hast. Ich hätte jetzt an einen blauen Brief aus der Schule gedacht oder an blaues Zigarettenpapier.

BS: Gibt es Schauspieler, die auch nur so tun, als ob sie essen? Nur Kaubewegungen machen oder aus leeren Bechern trinken?


Jonas Nay:
Ja, das gibt es. Man nimmt einfach viel kleinere Bissen als normal, damit man es schnell herunterschlucken kann. Es wird auch kein Alkohol getrunken, sondern Wasser. Nichts mit Kohlensäure, damit du nicht während des Sprechens aufstoßen musst. Es gibt so grundsätzliche Dinge, die beachtet werden, aber letzten Endes ist das keine Zauberei. Du musst nur darauf achten, dass du in deiner Rolle bleiben kannst, ohne dass du beeinträchtigt wirst. Du hast beim Drehen immer Scheinwerfer oder eine Angel mit einem Mikrofon über dem Kopf. Zusätzlich eine Kamera und drei Leute, also einer, der Schärfe zieht, einer, der die Kamera bewegt, einer, der die Kamera schwenkt – du hast die ganze Zeit Leute um dich herum, bei denen sich alles um dich dreht. Du probierst, dich nur auf deine Szene und dein Gegenüber zu konzentrieren. Wenn du dann noch koordinieren musst, zu essen, wird es irgendwann zu einem Tanz und du vergisst das Schauspielern. Das ist immer die Gefahr dabei.

BS: Wird am Ende viel aus dem Film herausgeschnitten?


Jonas Nay:
Grob gesagt: Wenn man 90 Minuten Film hat, liegt ein Rohschnitt bei ca. 100 bis 130 Minuten. Oft ist der Rohschnitt noch sehr langatmig. Dann werden die Schnitte nochmal kürzer gemacht, immer wieder verkürzt, verdichtet, umgestellt. Da es pro Kameraeinstellung drei Takes gibt, also auch Dateien, die wirklich im Schnittprogramm benutzt werden, kann für eine zehnminütige Szene auch mal eine Stunde Material vorhanden sein. Da wird natürlich eine Menge geschnitten, da am Ende nur aus jeder Richtung das Schönste genommen wird.

BS: Also werden weniger ganze Szenen als nur Szenenabschnitte herausgeschnitten?


Jonas Nay:
Doch, ganze Szenen werden auch rausgeschnitten. Das sind oft mehr als man denkt und es sind nicht alle im Bonusprogramm der DVD. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn man vierzig Minuten über der vorgegebenen Zeit liegt: Dann fliegen auch zwanzig Minuten lange Szenen raus. Aber es kann auch sein, dass der Rohschnitt nur zehn Minuten zu viel hat und dann reicht es vielleicht, zwei Szenen rauszunehmen. „Wir sind jung, wir sind stark“ z. B. spielt viel mit Plansequenzen (Szenen, die nur aus einer einzigen, vergleichsweise langen Kameraeinstellung bestehen, Anm. d. Red.). Da wird also relativ wenig geschnitten, weil du ja ganze Szenen rausschmeißen müsstest. Das kommt auf den Film an.

BS: Würdest du gerne im Theater spielen, wenn das mit der Kamera so nervig ist?


Jonas Nay:
Nein, versteh mich nicht falsch: Das ist nicht nervig, das gehört einfach zum Beruf. Man kann das auch nutzen – wenn man weiß, wie die Kamera einen anschaut, mit was für einer Brennweite beispielsweise. Ich bin eher ein technischer Schauspieler. Es gibt sehr viele, sehr gute, intuitive Schauspieler, denen der ganze technische Kram egal ist und bei denen es trotzdem total genial aussieht. Ich hingegen weiß ziemlich gut, was die Kamera macht und was wie wirkt. Das kann ich natürlich für mich nutzen. Es stört mich nicht, dass da eine Kamera ist. Ich bin niemand, der für große Bühnen und große Gesten gemacht ist, glaube ich. Bei mir passiert ganz viel im Gesicht – wenn was passiert (lacht). Die Theatralik, daher kommt ja das Wort, liegt mir nicht so. Für mich ist das wirklich Spannende dieses ganz Natürliche. Es ist gar nicht so leicht, einen normalen, natürlichen Sprechrhythmus in einem Dialog entstehen zu lassen, in dem die Leute wirklich aufeinander reagieren. Sodass du auch beim Fernsehen das Gefühl hast, dass die Darsteller das zum ersten Mal hören und darauf reagieren. Ich habe trotzdem – oder gerade deswegen – eine riesige Hochachtung vor dem Theater, weil diese große Gestik einfach nicht mein Ding ist. Mich interessiert vor allem das Kleine, Feine, was zwischen Menschen passiert. Das kann man im Kino oder Fernseher viel schöner einfangen. Im Theater kriegt die letzte Reihe gar nicht mit, was du mit deiner Augenbraue machst.

RedakteurRedakteur: Linnea
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