Interview mit Katja Brandis (2021)
Im Rahmen eines Workshops bekamen Charlotte, Isabelle, Leo und Michelle die Möglichkeit hinter die Kulissen der Blauen Seite zu gucken und Autoren wie unter anderen Kirsten Boie zu interviewen. Das fertige Interview könnt ihr hier lesen:
Blaue Seite: Auf Wikipedia ist zu lesen, dass Katja Brandis ein Künstlerinnenname ist. Wieso schreiben Sie unter einem Künstlerinnennamen?
Katja Brandis: Ich habe schon immer mit Identitäten gespielt und mit Namen experimentiert. In meinen Schreibanfängen als Jugendliche gefiel es mir, einen Namen zu benutzen, den ich ausgesucht habe und nicht meine Eltern. Deshalb nannte ich mich Juliet Carpenter.
Mit „Katja Brandis“ war es so, dass meine ersten beiden Veröffentlichungen Sachbücher waren, ein Autorenratgeber und ein Handbuch zum Schuljahr im Ausland. Bei der Veröffentlichung meines ersten Romanes dachte ich mir dann: Niemand möchte einen Fantasy-Roman von einer Sachbuchautorin lesen – und niemand ein Sachbuch von einer Fantasy-Autorin. Deshalb habe ich mich entschlossen, für die Romane einen Künstlernamen zu benutzen. Der Name „Katja“ gefiel mir einfach, und „Brandis“ habe ich von meinem damaligen Lieblingsautoren Mark Brandis übernommen, dessen Science-Fiction-Romane ich bis heute toll finde. Leider ist er schon tot, aber ich habe mit seiner Witwe gemailt und so herausgefunden, dass es auch bei ihm ein Künstlername war, deshalb hatte sie nichts dagegen, dass ich ihn ehrenhalber weiterführe. Eigentlich eine ganz schräge Geschichte.
Blaue Seite: Wie kamen Sie als Elfjährige dazu, Bücher zu schreiben?
Kata Brandis: Das lag ganz einfach daran, dass ich nichts mehr zu lesen hatte! Ihr seid ja Leute, die gerne lesen, und wisst, wie blöd das ist. Es waren gerade Ferien und man konnte nichts draußen unternehmen, weil es zwei Wochen am Stück geregnet hat. Aus Langeweile habe ich beschlossen, eine eigene Geschichte zu schreiben – und das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich nie wieder aufgehört habe. Viele Leute, die als Jugendliche geschrieben haben, hören nach der Pubertät wieder auf. Aber ich habe das Schreiben immer gebraucht und es ist mir sehr, sehr wichtig. Ich schreibe immer noch wahnsinnig gerne, obwohl ich mittlerweile damit meinen Lebensunterhalt verdiene, was sehr praktisch ist. Denn es wäre ja blöd etwas zu machen, zu dem man sich zwingen muss.
Deswegen sag ich auch immer, dass Langweile ganz nützlich sein kann, weil man auf ganz neue Ideen kommt! Ich wäre nie darauf gekommen, eine Geschichte zu schreiben, wenn mir damals nicht so furchtbar langweilig gewesen wäre.
Blaue Seite: Was für ein Buch haben Sie damals geschrieben?
Katja Brandis: Das war eine Weltraumgeschichte über einen jungen Raumpiloten, denn damals haben mich Astronomie und Raumfahrt interessiert. Es liegen noch etwa zwanzig Manuskripte aus der Zeit in meiner Schublade – und da werden sie wahrscheinlich für immer da bleiben. Was einerseits traurig ist, andererseits denke ich mir: „Was man als Jugendliche schreibt, findet man vielleicht später gar nicht mehr so gut. Das muss nicht unbedingt veröffentlicht werden.“ Ich schreibe jetzt ganz viele andere Dinge, da muss ich die alten Sachen nicht wieder hervorholen.
Blaue Seite: Sie haben in ca. 20 Jahren 70 Bücher geschrieben. Wie oft schreiben Sie?
Katja Brandis: Im Grunde bin ich am glücklichsten, wenn ich so richtig in eine Geschichte eintauchen kann. Deshalb versuche ich das möglichst oft zu erleben. So hat es sich ergeben, dass ich drei Bücher im Jahr schreibe; davon zwei Walkers-Romane und meistens noch ein dicker Jugendroman. Meine Schreibzeit ist immer so von 8 bis 13 Uhr, danach kommt mein Sohn aus der Schule. Ich verbringe auch gerne Zeit mit meiner Familie. Außerdem gibt es ja viele Sachen neben dem Schreiben, die ein Autor machen muss: Ich muss Klappentexte verfassen, mir die Coverentwürfe anschauen oder mit meinem Agenten telefonieren. Heute Vormittag hatte ich ein Treffen mit Filmleuten, weil es für Woodwalkers eine Anfrage für eine Verfilmung gibt. Außerdem kriege ich im Schnitt zwanzig Leserbriefe pro Tag, die muss ich auch irgendwann beantworten – es ist ja blöd, wenn einem keiner zurückschreibt. Ich beantworte alle, das ist mir ganz wichtig. Aber dafür brauche ich natürlich auch Zeit.
Das alles mache ich meistens nachmittags, da kann ich mich nicht mehr ganz so gut konzentrieren, deshalb reicht es für das Schreiben nicht mehr. Aber für ein Telefonat mit meinem Verlag reicht es auf jeden Fall.
Blaue Seite: Bringt es Spaß, so viel zu schreiben?
Katja Brandis: Ja, mir macht es wirklich Spaß. Das Problem ist nur, dass ich jedes Projekt vorher erstmal an einen Verlag verkaufen muss. Denn ich lebe ja davon und muss auch Geld verdienen. Aber ich habe auch schon mal ein Manuskript verfasst, ohne vorher einen Verlag zu fragen. Da habe ich drei Monate sozusagen ohne Gehalt gearbeitet, aber das war es mir Wert. Denn ich wollte das Buch unbedingt schreiben, obwohl ich es dann selbst herausbringen musste. Solche Sachen gönne ich mir manchmal, bevor ich denke, dass ich etwas nur schreibe, weil der Verlag es will. Damit würde ich mich selbst verraten. Von daher bin ich sehr froh, dass ich so bekannt bin. Denn so kann ich auch die Projekte veröffentlichen, die ich wirklich anpacken möchte.
Blaue Seite: Wie lange brauchen Sie, um ein Buch zu schreiben?
Katja Brandis: Was schätzt ihr denn so?
Blaue Seite: Ein paar Monate. Für lange, dicke Bücher vielleicht ein halbes Jahr.
Katja Brandis: Sehr gut! Das ist richtig. Für Khyona, einen ganz dicken Wälzer, habe ich tatsächlich sechs Monate gebraucht. Die Walkers-Romane sind dünner, nur ca. 300 Seiten, so etwas schreibe ich in drei Monaten. Die viele Action macht es mir leichter. Wenn ich einen Dialog mit Holly schreibe, macht es total Spaß, weil sie so frech und witzig ist. Das schreibt sich fasst von selber und flutscht richtig gut. Sonst würde ich das gar nicht in drei Monaten schaffen.
Blaue Seite: Haben Sie schon mal Gedichte geschrieben?
Katja Brandis: Normalerweise schreibe ich keine Gedichte. Aber in einem meiner Daresh-Romane kommt ein KämpferDichter vor, deshalb wollte ich Gedichte für ihn schreiben. Da dachte ich: „Aber ich kann nicht dichten. Wie soll ich das jetzt machen?“ Ich habe mich dann in ihn hineinversetzt und in seiner Rolle konnte ich plötzlich dichten. Ich finde, sie sind gut geworden. Aber ich habe danach nie wieder Gedichte geschrieben.
Blaue Seite: Sie haben erzählt, dass Reisen Sie inspiriert. Reisen Sie gerne, weil Sie so besser auf Ideen kommen? Machen Sie Recherchereisen?
Katja Brandis: Einerseits reise ich oft wegen meiner Bücher. Für Khyona beispielsweise bin ich drei Wochen nach Island gefahren und habe mir dort speziell die Schauplätze angeschaut, die im Roman vorkommen sollten. Danach wusste ich genau wie es aussieht und wie es sich anfühlt. Man kann vor Ort so viel sehen und erleben.
Für Seawalkers habe ich es genauso gemacht: Ich habe mir vorher überlegt, was ich schreiben will. Dann bin ich hingefahren und habe mir die Schauplätze ausgesucht, die es alle wirklich gibt. Ich hatte den guten Vorsatz, alle Meerestiere kennenzulernen die im Roman vorkommen. Das habe ich auch geschafft – bis auf den Tigerhai. Ich habe sieben Bullenhaie gesehen, aber leider keinen Tigerhai.
Auf der anderen Seite kommen mir auf der Reise auch Ideen. Ich bin zum Beispiel einfach so in den Yellowstone National Park gefahren und hatte dort die Idee für Woodwalkers.
Dort kann man eine Menge wilder Tiere treffen: Einmal lag ein Elch hinter dem Waschhäuschen und der Ranger hat gesagt, dass wir vorsichtig sein sollen, weil ein Grizzlybär auf dem Campingplatz war. Das erlebt man natürlich nicht hier in Deutschland, wo man mit etwas Glück mal ein Reh sieht. Nachdem ich in Australien ganz viele Tiere beobachtet habe, habe ich Koalaträume geschrieben.
Es macht mir auch Spaß, fremde Länder, andere Kulturen und neue Menschen kennenzulernen. Ich hoffe, dass ich nach der Corona-Zeit endlich wieder Reisen kann. Ich bin die letzten eineinhalb Jahre nur daheim gewesen.
Blaue Seite: Sie haben von Zeiten erzählt, in denen sie ausschließlich Ideen sammeln. Hören Sie dabei Musik?
Katja Brandis: Beim Ideensammeln nicht, weil es mich ablenken würde. Aber während des Schreibens höre ich immer Musik. Ich habe für jeden Roman einen eigenen Soundtrack. Das muss von der Stimmung passen: Wenn ich eine traurige Szene schreibe, muss ich die dazu traurige Musik hören, sonst wird das nichts.
Wenn ich Ideen sammle, brauche ich gar keine Musik! Ich hatte mal einen richtig tollen Urlaub auf Korsika – da hatte ich insgesamt sieben Buchideen, das war schon ungewöhnlich viel. Besonders, wenn ich gerade mal nichts mache, kommt bei mir die Ideen- und Gedankenmaschine in Gang. Dann sprudeln alle Ideen raus, die ich über Jahre angesammelt hatte. Wenn mein Gehirn im Leerlauf ist, kommen immer ganz viele seltsame Sachen raus.
Blaue Seite: Wie sind Sie auf die Idee zu den Woodwalkers gekommen?
Katja Brandis: Das war auf der Reise zum Yellowstone-Nationalpark. Wir haben dort viele wilde Tiere beobachtet. Zum Beispiel haben wir in einem Tal eine Bisonherde gesehen und uns angeschlichen. Irgendwann habe ich gedacht: „Wir beobachten hier Tiere – aber vielleicht beobachten die auch uns. Was machen die eigentlich, wenn wir nicht hinschauen?“ Da lag der Gedanke nahe, dass manche vielleicht eine Menschen- und Tiergestalt haben. Die habe ich Woodwalkers genannt, und daraus ist die Reihe entstanden.
Blaue Seite: Sie haben erzählt, dass Sie viel Kontakt mit Fans haben. Wie machen Sie das?
Katja Brandis: Man kann auf meiner Website Kommentare schreiben – die einfacheren Fragen, die oft ähnlich sind, beantwortet meine Assistentin Sabine, die komplizierteren beantworte ich selbst. Man kann mir auch eine Mail schreiben, z. B. um Autogrammkarten anzufordern. Dann schicke ich die Autogrammkarten los und beantworte die Fragen. Außerdem habe ich einen eigenen YouTube-Kanal. Da mache ich einmal im Monat eine Fragestunde: Man kann im Chat Fragen stellen, und ich beantworte immer ungefähr 40 Fragen. Das ist schon eine Menge. Einmal im Monat mache ich Verlosungen und alle möglichen Aktionen. Zweimal im Jahr mache ich Fan-Fiction- und Fan-Art-Wettbewerbe. Beim letzten Mal wurden etwa 500 Geschichten und 500 Bilder eingereicht – das war schon ordentlich Arbeit. Für meinen Roman „Ruf der Tiefe“ habe ich auch einen Trailer-Wettbewerb veranstaltet. Da sind tolle Sachen eingereicht worden. Die zwei Gewinner-Trailer könnt ihr euch gerne auf meinem Kanal anschauen. Und weil es so gut geklappt hat, gibt es im Herbst noch einen Trailer-Wettbewerb.
Es macht mir total Spaß, mit den Fans Kontakt zu haben. Ich bin den Fans dankbar und sie sind mir dankbar, dass ich trotz der vielen Arbeit so viel Zeit für sie habe
Seitenumbruch
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Blaue Seite: Wie gehen Sie mit Hate um?
Katja Brandis: Ja, ab und zu kriege ich tatsächlich komische Mails. Einmal schrieb mir eine Bibliothekarin, die fand alles an meinen Büchern verwerflich, schlecht und böse. Da habe ich gesagt: „Nennen Sie mir ein Beispiel und was so schlimm daran ist.“ Es kam keine Antwort mehr. Manche sagen, ich würde die Jugend verderben: Einmal hat eine Mutter mir geschrieben, das Buch wäre zu brutal und ihre Tochter musste weinen. Das war aber schon im Band vier. Ich habe gefragt, wie sie auf die anderen Bände reagiert hat, denn da gibt es auch gefährliche Szenen und Situationen. Das hatte ihr offenbar nichts ausgemacht, nur diese eine Szene, in der ein Eulenwandler von einem Krokodilwandler versehentlich gefressen wurde und ins Krankenhaus musste. Das hat sie anscheinend total geschockt. Das tut mir natürlich leid. Ich mag keine blutigen Bücher, aber bei mir wird schon ernsthaft gekämpft. Das muss man einfach wissen. Deswegen ist das Buch erst ab zehn Jahren. Ich glaube, dieses Mädchen war erst acht, also war sie noch ein bisschen zu jung.
Ab und zu kriege ich dann Hate-Mails von Lesern, die irgendwas doof fanden, z. B. dass es viel zu viele Beziehungen gebe oder dass ich dicke Leute dissen würde. Das habe ich aber anders gesehen. Und die Leserin konnte auch keine entsprechende Stelle nennen. Bei Vorwürfen frage ich immer nach, bis ich herauskriege, was dahintersteckt. Meistens lässt sich das klären oder erklären.
Und: So etwas ist zum Glück selten. Die meisten Leserbriefe sind wahnsinnig nett.
Blaue Seite: In welche literarische Welt würden Sie gerne eintauchen, um dort zu leben?
Katja Brandis: Das ist eine schwere Entscheidung. Ich glaube in der Woodwalkers-Welt würde ich mich schon sehr wohl fühlen, aber gibt noch 10.000 andere literarischen Welten …
Jetzt fällt mir eine ein! Kennt ihr die Romane von Walter Moers? Er hat ein Reich erfunden, das heißt Zamonien. Das ist wirklich schräg und witzig. Da würde ich gerne Urlaub machen – aber ich würde nicht hinziehen wollen. Das wäre mir ein bisschen zu schräg, glaub ich.
Blaue Seite: Das war unsere letzte Frage. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben!