Interview mit Leticia Wahl
Bei den Lübecker Jugendbuchtagen 2020 hatte die Blaue Seite die Gelegenheit, der Poetry Slammerin, Autorin und mit "Poet X" auch Übersetzerin Leticia Wahl einige Fragen zum Buch zu stellen.
Blaue Seite: Hättest du an Xiomaras Stelle früher mit der Lehrerin über die Situation zu Hause gesprochen? Da sie ja immer gesagt hat: „Was im Haus ist, bleibt im Haus.“
Leticia Wahl: Ich glaube, von außen betrachtet lässt sich immer leicht sagen. „Hättest du doch mal früher deinen Mund aufgemacht.“. Wenn man aber in so einer Situation ist, kann ich sehr gut nachvollziehen, dass man nicht direkt darüber spricht. Weil es sehr viel mit Scham und Angst und Druck zu tun hat. Ich hätte mir für sie gewünscht, dass sie es eher anspricht, damit da nicht so viel explodiert. Aber ich weiß nicht, ob ich es besser gemacht hätte.
Blaue Seite: Wie bist du beim Übersetzen vorgegangen? Hast du die erste Seite aufgeschlagen und es Stück für Stück übersetzt oder in Teilen durcheinander?
Leticia Wahl: Ich habe es einmal im Englischen komplett durchgelesen. Auch, um zu schauen, ob ich mir das Übersetzen selber zumute. Ich fand es sehr, sehr gut.
Es sind ja drei größere Teile/Kapitel. Und dann habe ich es nach diesen Kapiteln übersetzt. Ich habe mir für jedes Kapitel einen Monat Zeit genommen. Die einzelnen Kapitel habe ich ans Lektorat geschickt. Die kamen dann wieder zurück, wurden überarbeitet und so weiter.
Blaue Seite: Hast du manchmal Schreibblockaden und wenn ja, was tust du dagegen?
Leticia Wahl: Das Einzige, was hilft, ist schreiben – und die eigenen Blockaden überwinden. Ich habe meistens Schreibblockaden, weil ich einen zu hohen Anspruch an mich selbst habe und dann auf einmal sehr verkopft werde. Dann merke ich, ich muss dieses Verkopfte aus mir rauskriegen. Was mir dann hilft, ist assoziatives Schreiben. Das ist eine Übung, die ich jedem empfehlen kann: Man eine Uhr neben sich, stellt den Timer auf ungefähr drei Minuten, setzt den Stift an und schreibt alles auf, was man denkt, kreuz und quer über das Blatt. Selbst wenn man schreibt „Ich weiß nicht was ich schreiben soll“ oder „Morgen muss ich noch Hausaufgaben machen“. Wenn man sich darauf einlässt, kommt man in einen Flow, dann merkt man erst, was einem alles im Kopf umhergeht. Danach kann man das ein bisschen ordnen. Das hilft mir manchmal. Und man darf nicht vergessen, dass Schreiben ein Handwerk ist. Ich versuche jeden Tag, irgendwas zu schreiben, egal ob es nützlich für mich ist – also für die Bühne oder für Bücher – oder nicht. Solange man dranbleibt, ist das eine gute Methode.
Blaue Seite: Du bist ja bei Ladies Night aufgetreten und hast den Text „In der Regel geht´s mir gut“ vorgetragen, der ein bisschen frecher war, wie du sagtest. Wie waren die Reaktionen zu dem Text, dass du mit dem Thema so offen umgehst?
Leticia Wahl: Es hat ja auch eine gewisse Parallele zu dem Buch „Poet X“. Es ist generell ein Thema, über das viele nicht reden, das oft tabuisiert wird. Das finde ich total schwachsinnig, weil Dinge, über die du nicht redest, eine viel größere Dynamik entwickeln. Statt dass du einfach von vornherein sagst: „Jeder Mensch weiß, dass jede Frau alle vier Wochen blutet.“ Dann kann man einfach darüber sprechen. Natürlich ist das dann nicht so gesellschaftlich akzeptiert, wenn man es als junge Frau doch anspricht. Leider sind wir noch nicht an dem Punkt, an dem es einfach cool wäre. Wobei ich das Gefühl habe, dass immer mehr Leute über ihre Menstruation reden, was ich ziemlich lustig finde. Zu den Videos, die es im Internet von mir gibt, gibt es eigentlich immer sehr positive Kommentare. Mein erstes Video hat ein bisschen polarisiert. Da kamen natürlich auch konservative Meinungen wie: „Ey, was will dieses junge Mädchen da, nur weil sie jetzt vulgär ist.“ Ich konnte mich aber gut davon distanzieren. Weil ich wusste, das ist nicht mein Problem, das ist ein gesellschaftliches Problem. Es ist trotzdem unangenehm, damit auf der Bühne zu stehen. Aber dann muss man so lange weiter machen, bis es nicht mehr unangenehm ist. Es sollte das Ziel sein, dass man sich selber nicht mehr dafür schämt, sondern dass es normal ist.
Blaue Seite: In dem Film „Eat Pray Love“ reist die Frau nach Italien. Dort heißt es, dass jeder Mensch sein eigenes Wort hat – nicht als Berufsbezeichnung, sondern irgendein Wort, das die Person ausmacht oder beschreibt. Weißt du, was dein Wort wäre?
Leticia Wahl: Was mich umschreibt?
Blaue Seite: Einfach ein Wort, das du mit dir verbindest, das jetzt zum Beispiel nicht Poetry-Slammerin ist.
Leticia Wahl: „Schlicht und ergreifend“ – sind aber drei Wörter. Es ist aber auch schwer, einen ganzen Menschen in ein Wort zu legen. Oder du sagst einfach, du bist unbeschreiblich. Ich glaube, das nehme ich: „unbeschreiblich“.
Blaue Seite: Gibt es etwas in deinem Leben, das du gerne rückgängig machen würdest?
Leticia Wahl: Ich sage mal so: Es gibt schon ein paar Situationen, bei denen ich mir denke: „Das hätte ich mir einfach sparen können.“ Aber nichtsdestotrotz glaube ich, dass alles gut war, wie es passiert ist. Es hat mich zu der Person gemacht, die ich jetzt bin. Ich trage alle meine Wunden, Spuren und schönen Erfahrungen, die ich dadurch gemacht habe, sehr stolz. Aber man muss auch sagen, dass man sich das ein wenig schön reden muss, wenn doofe Sachen passiert sind.
Blaue Seite: Seit wann spielst du Klavier und wie begleitet es dein Leben?
Leticia Wahl: Ich spiele, seit ich 5 oder 6 Jahre alt bin und es begleitet mich schon mein ganzes Leben. Ich hatte bis zur 13. Klasse Unterricht. Und meine Eltern waren so süß, mir zum Abitur ein E-Piano zu schenken, damit ich das mit in eine WG nehmen und leise spielen kann, ohne dass es jemanden stört. Ich habe ja auch ein Soloprogramm. Wenn ich nicht gerade bei Slams auftrete, singe ich oder verbinde Spoken-Word mit Musik. Das Klavier ist mein ewiger Begleiter. Ist für einen ewigen Begleiter zwar scheiße schwer, aber es lohnt sich.
Blaue Seite: Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus?
Leticia Wahl: So ein perfekter Alltag-Tag oder so ein perfekter Tag im Leben, der übelst krass ist?
Blaue Seite: Wenn du dir irgendwas aussuchen könntest.
Leticia Wahl: Der perfekte Alltag ist: einfach wach werden, dann trinkt man erst mal einen Kaffee und muss nicht tausend Mails beantworten, weil man sie schon drei Wochen nicht beantwortet hat. Dann arbeitet man ein bisschen an dem, was einem Spaß macht und inspiriert. Später trifft man sich mit Freunden und geht schlafen. Das ist so der perfekte Alltag. Vielleicht spielt man zwischendurch noch eine Runde Fifa und isst Chips dabei.
Blaue Seite: Hast du irgendein Lieblingszitat oder Motto, das dich prägt oder begleitet?
Leticia Wahl: Es gibt mehrere, aber am liebsten mag ich Zitate von Erich Kästner. Beispielsweise: „Moral: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Oder: „Seien wir mal ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich.“ Mein eigenes Lieblingszitat ist: „No risk, no risk. No fun, no fun.“
Blaue Seite: Was stellst du dir unter einer blauen Seite vor?
Leticia Wahl: Ich stell mir die blaue Seite vor wie ein Schiff auf dem Meer, die jeder beschreiben kann. Und zusammen ist es eine spannende Reise. Eine Geschichte, die alle zusammen schreiben.