Interview mit Stefan Krause
Bei den Lübecker Jugendbuchtagen 2020 konnte Kathrin Stefan Krause einige Fragen stellen. Der Synchronsprecher ist unter anderem die deutsche Stimme von Rollen wie "Hui Buh" und ist schon lange im Synchronsprechen tätig.
Blaue Seite: Denkst du, dass dir nur Rollen mit einem bestimmten Schema zugeteilt werden, oder bekommst du ganz verschiedene Rollen?
Stefan Krause: Bei Lesungen oder beim Synchronsprechen?
Blaue Seite: Beim Synchronsprechen.
Stefan Krause: Beim Synchronsprechen mache ich gerne Faxen. Und ich spreche gerne Rollen, die ein bisschen verrückter und schräger sind. Wo man sagt: „Das kann nicht jeder sprechen.“ Oder Rollen, die sehr böse sind. Ich sage immer: „Nett sein kann man im Leben – als Schauspieler ist es interessanter, einen fiesen Rechtsanwalt zu sprechen oder andere böse Menschen.“ Auch abgedrehte Rollen, die sehr komisch oder ein bisschen skurril sind, mag ich gerne.
Blaue Seite: Ich habe bei einigen Schauspielern gehört, dass sie verschiedene Rollen nie spielen würden. Hast du auch Tabus?
Stefan Krause: Ich mache eigentlich nur Synchronisierungen, Lesungen und Hörspiele. Wenn mir jemand eine Hauptrolle in einer militaristischen Serie vorschlagen würde, wäre ich nicht begeistert. Ich mag auch keine blutigen Sachen wie „The Walking Dead“. Die finde ich schrecklich. Oder „Game of Thrones“: Das ist Gewalt, Mord und Vergewaltigung, und alle finden das toll. Ich reiße mich da nicht drum und mache lieber einen lustigen Kinderfilm oder so etwas. Es gibt natürlich Gewalt, das muss man auch darstellen, aber ich mache das nicht gerne, wenn das nur Selbstzweck ist. Es kann natürlich immer passieren, dass ich drei Sätze in so einer Serie bekomme. Dann renne ich nicht gleich aus dem Atelier. Aber wenn mich jemand fragt: „Möchtest du bei dieser superbrutalen Cop-Serie dabei sein?“, dann sage ich: „Nein, eigentlich nicht.“ Aber man kann es sich nicht immer aussuchen.
Letztes Jahr habe ich viel Hörspiel gemacht. Da ist mir aufgefallen, dass die Leute bei „Jack the Ripper“ immer Blut haben wollten. Bei „Dracula“ ist das Blut eher gruselig, da ist das fast schon Comedy. Aber bei „Jack the Ripper“, der einfach sechs Frauen abmurkst, genießt das Publikum den Grusel – finde ich nicht so schön. Ich bin kein Freund von Brutalität und Gewalt. Und wenn ich genug zu tun habe, kann ich auch mal so eine Rolle ablehnen. Dann mache ich lieber etwas Verrücktes.
Blaue Seite: Du hast schon als Kind mit Synchronsprechen angefangen. Wie hat sich das bei der ersten Rolle angefühlt?
Stefan Krause: Ich habe mit Synchronrollen für's Fernsehen angefangen. Damals wurden auch Fernsehfilme mit 16mm-Filmmaterial synchronisiert. Wir haben quasi immer mit einer Leinwand gearbeitet, als Kind kannte ich gar nichts anderes. Erst in den 80er bis 90er Jahren wurde dann schon mit Bildschirmen gearbeitet. Jetzt gibt es kaum noch Ateliers, die eine so große Leinwand haben. Du guckst selbst einen großen Hollywood-Film auf dem Monitor. Der ist dann schon groß, mit anderthalb Metern Durchmesser. Aber früher war es wie im Kino. Ich habe mit zehn Jahren angefangen, das war natürlich sehr aufregend. Aber da ich vorher schon im Kinderchor war, war mir die Arbeit mit Mikros und Publikum nicht ganz fremd.
Blaue Seite: Es gibt viele Leute, die sich selber nicht gerne hören. Gab es jemals Momente, wo du Probleme mit deiner Stimme hattest?
Stefan Krause: Als Kind, wenn man zwölf oder dreizehn ist, mag man sich selbst sowieso manchmal nicht, oder es ist einem alles grottenpeinlich. Ich habe manchmal in der Schule erzählt, was ich so mache. Die Leute fragten dann: „Was sprichst du denn, Stefan?“ Das war mir ein bisschen peinlich. Aber jetzt kann ich dazu stehen, und es ist eher lustig, wenn ich manchmal fernsehe und feststelle: „Das bin doch ich!“ Ich erkenne meine Stimme also jetzt und mag sie inzwischen auch. Mit meiner Mutter, die sogar Schauspielerin war, konnte ich ins Kino gehen, wenn ich die Hauptrolle gesprochen hatte. Sie hat dann gesagt: „Toller Film!“ Dann habe ich gesagt: „Ja, da habe ich übrigens gesprochen.“ Sie hat das nicht erkannt. Und andere Leute, mit denen ich befreundet bin, die merken, dass ich das bin, wenn ich nur einmal atme.
Mit der Aufmerksamkeit ist das schon komisch. Ich erkenne meine eigene Stimme, aber manchmal weiß ich gar nicht, worum es in dem Film ging. Ich habe allerdings auch viele kurze Rollen. Aber ich bin im Reinen mit meiner Stimme.
Blaue Seite: Kannst du dann überhaupt noch Filme gucken, ohne Freunde und Kollegen zu hören oder die Art der Synchronisation zu analysieren?
Stefan Krause: Das ist eine Synchronsprecher-Krankheit. Meine Schwester hat immer gesagt: „Ich kann mit euch keinen Film gucken, wenn ihr immer überlegt, wer da spricht.“ Mein Vater war nämlich auch im Synchron-Studio – als Regisseur. Ich habe mir das wirklich abgewöhnt und rede dann nicht darüber. Das ist auch besser so. Sonst ist das ein Spoiler, wenn du im Kino sagst: „Ach, die Person spricht die Figur, das war doch sonst immer anders.“
Blaue Seite: Wie sehr nimmst du Rollen an, vor allem größere? Wird man Rollen, die man über Jahre spricht, je wieder los?
Stefan Krause: Es gibt Rollen wie Hui Buh, die ich jetzt schon 30 über 10 Jahre lang spreche. Da schlage ich das Manuskript auf und habe dann (spricht in Hui-Buh-Stimme) plötzlich diese Stimme. Da geht das, aber ich mache das wirklich nur ein paar Mal im Jahr. Ich spreche ja alles Mögliche: Kinderserien, Spielfilme, und es wechselt immer wieder.
Ich finde es schwierig, wenn man sehr festgelegt wird. Vor ein paar Jahren war ich bei dem Probesprechen für „SpongeBob“. Später war ich erleichtert, dass ich die Rolle nicht bekommen habe. Der Kollege macht das toll, und ich kenne ihn auch schon seit Jahrzehnten. Und der kann oft schwer andere Rollen annehmen, weil alle sagen, das sei ja SpongeBob.
Es macht mich sehr viel vielfältiger, ich kann eigentlich alles machen. Ich spreche je nach Rolle sehr unterschiedlich. In einer Lesung verändere ich meine Stimme auch immer, damit das Publikum weiß, wer spricht, ohne dass ich es vorlese.
Blaue Seite: Merkst du manchmal in echten Gesprächen, dass eine Rolle aus dir spricht?
Stefan Krause: Nein, gar nicht. Aber ich habe viele Freunde, die so etwas machen. Wenn ich zum Beispiel abends bei einem Glas Wein mit der deutschen Stimme von XY zusammensitze, erwarte ich fast, dass jemand dazukommt und fragt: „Sind Sie nicht die deutsche Stimme von XY?“
Oliver Rohrbeck von den Drei Fragezeichen sprechen wahrscheinlich auch ganz viele Leute an. Es ist gut, dass ich nicht so prominent bin. So werde ich nicht oft angequatscht. Dadurch kann ich relativ gut anonym leben. Ich fahre U-Bahn oder Zug und Leute sehen etwas in ihrem Notebook und ich denke: „Komisch, ich könnte jetzt sagen: ‚Was Sie da hören, das habe ich gesprochen.‘“ Ich mache das nicht. Aber da fällt mir dann auf, dass ich in der Öffentlichkeit präsent bin, aber als Person damit gar nicht in Verbindung gebracht werde.
Blaue Seite: Ist das wie ein kleines Geheimnis?
Stefan Krause: Ja, schon. In einer Zeitung nannte mich mal jemand „einen Hobbit in Kreuzberg“. Weil ich in Berlin-Kreuzberg lebe und niemand ahnt, dass ich mich dort verstecke. Ich trete zwar gern auf und spiele auch gern Musik mit meiner Band. Aber Synchronsprechen mag ich besonders gerne, weil ich am Mikrofon die Sau rauslassen und trotzdem unerkannt einkaufen gehen kann. Mir ist diese Anonymität ganz wichtig.
Blaue Seite: Lässt das Sprechen einer Figur Platz für Interpretation? Kannst du auch deine eigenen Ideen einbringen, und versuchst du das überhaupt?
Stefan Krause: Man sagt ja, wenn jemand schlecht spielt, dann kannst du es durch Synchronisation fast besser machen. Andererseits wird oft erwartet, dass die Synchronstimme genau wie die Originalstimme klingen soll. Das ist oft so bei Disney-Filmen. Das finde ich manchmal schwierig. Natürlich will ich genauso gut sein wie die Person, die ich spreche. Also versuche ich, wenn etwas gut ist, es zu „matchen“, also genau so zu treffen. Aber ich mir auch: Wir sind Schauspieler und keine Stimmimitatoren. Das ist genau die Gratwanderung.
Ein Beispiel: Der Kollege, der damals Gandalf in den „Herr der Ringe“-Filmen gesprochen hat, Joachim Höppner, ist traurigerweise gestorben. Im „Hobbit“ hat dann Eckart Dux aus Hamburg Gandalf gesprochen. Im Netz haben sich daraufhin irgendwelche Fans beschwert und gesagt: „Nein, das ist nicht die Stimme, die wir wollen. Warum gibt es keine talentierten Stimmimitatoren?“ Eckart Dux ist ein toller Schauspieler, er hat aber natürlich nicht dieselbe Stimme wie Joachim Höppner. Manche Leute sagen dann: „Nein, das soll immer gleich klingen.“ Das ist wie bei McDonald‘s: „Ich möchte den selben Burger in Singapur und in Hamburg und in Amsterdam haben, und der soll immer gleich schmecken.“
Wenn ein Kollege stirbt, gibt es natürlich die Frage, wie der ersetzt wird. Man versucht dann, ähnlich zu sprechen. Aber es gibt immer eine Gratwanderung zwischen eigener Interpretation und dem, was das Original vorgibt.
Du quatschst nicht auf das Original drauf. Eigentlich hörst du dir an, wie die zu sprechende Person das macht, und dann versucht man, sich daran entlang zu hangeln. Das Original zu hören, kann nie schaden, das ist schon eine Leitschnur für unsere Arbeit. Es gibt aber immer Geschichten, da kann man ein bisschen variieren. Es ist nicht in Beton gegossen, sondern man kann etwas mit der Rolle und der Stimme spielen.
Blaue Seite: Was war bisher deine Lieblingsrolle?
Stefan Krause: Das ist schwierig. Bei lustigen Sachen würde ich vielleicht „Karlsson vom Dach“ nennen. Bei anspruchsvollen Sachen wäre das „Capote“, weil ich da wirklich voll in diese Rolle gehen musste. Das ist das Anspruchsvollste, aber da bin ich sehr stolz drauf. Das hätte ganz anders kommen können: Auf die Rolle haben 20 Leute vorgesprochen. Aber sie haben mich ausgewählt. Ich habe dann gesagt, dass ich diesen Schauspieler nicht nachmachen kann. Einige fragen: „Sprichst du jetzt immer Philip Seymour Hoffman?“ Und ich antworte: „Nein, ich spreche ihn, wie er da in dieser Rolle ist.“ Ich bin nicht die Übersetzungsstimme seiner Alltagsstimme, sondern für diese Interpretation zuständig.
Es gibt ein paar Highlights wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Klub der toten Dichter“. Alle paar Jahre gibt es einen Film, bei dem man sagt: „Das ist ein Hammer, den würde ich mir auch nochmal angucken.“ Und wo ich sage: „Das habe ich gut gemacht.“ Andererseits ist es nicht so, dass wenn ich eine Rolle doof finde, ich das halbherzig mache. Gerade wenn ich finde, dass der Schauspieler furchtbar auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm ist, versuche ich, etwas Besseres daraus zu machen. Es gibt natürlich Filme, bei denen es viel mehr Spaß macht als bei anderen. Bei machen Filmen mache ich eben gutes Handwerk, aber da fließt nicht mein Herzblut. Es gibt aber auch Sprecher, die sagen: „Das ist ja nur eine Kinderserie.“ Das könnte ich nicht, da nimmt man den Job nicht ernst und letztendlich auch nicht das Publikum. Und manchmal gibt es auch Filme, die ich blöd finde, und andere Leute finden die ganz toll.
Blaue Seite: Und jetzt noch unsere Abschlussfrage, die wir immer stellen: Was stellst du dir unter einer blauen Seite vor?
Stefan Krause: Ich kann frei assoziieren?
Blaue Seite: Komplett frei.
Stefan Krause: Bei blauer Seite denke ich immer an die blaue Stunde und Dämmerung. Ich kenne die Gelben Seiten, das ist was anderes. Die blauen Seiten, da habe ich eher so ein Licht vor Augen, wenn die Sonne im Winter weg ist und alles so bläulich wirkt.
Blaue Seite: Das ist eine schöne Assoziation.
Stefan Krause: Und was ist die richtige Antwort?
Blaue Seite: Es gibt keine richtige Antwort. Das ist immer nur eine freie Assoziation. Wir hatten auch schon mal die betrunkenen Gelben Seiten, es ist alles möglich.
Stefan Krause: Nicht, dass ich da jetzt irgendwas falsch gemacht habe. Bei Gelben Seiten denkt man ja sofort an Werbung und was Farben angeht: Grün die ökologischen Seiten, Rosa wie Prinzessin Lillifee und bei Blau denke ich gar nicht an Jungs, sondern die blaue Stunde, wo man nach Feierabend vielleicht auch liest.