Malvinas Erinnerungen sind ein Fotoalbum lauter weißer Flecken. Sie will sich nicht zurückerinnern, sie kann nicht an jene Freitagnachmittage denken, als sie nach dem Klavierunterricht zu ihren Großeltern musste. Ihre Großvater, der jene schrecklichen Dinge tat, auf dem Sofa im Salon, beim Knistern der Schallplatten. In der Badewanne, beim Geruch von weißem Schaum und Ölen.
Ihre Großmutter, die von allem wusste und doch wegsah. Obwohl Malvina sie doch so sehr liebte.
Und jetzt ist ihre Großmutter tot. Es sind Frühjahrsferien und Malvina muss jeden Tag zu ihrem Opa. Weil er alt und einsam ist, sagen Malvinas Eltern, die ihr einfach nicht zuhören wollen.
Malvina wagt es nicht, etwas zu sagen, jemandem von all dem zu erzählen. Doch dann lernt sie Klatsche kennen, diesen seltsamen Jungen, dessen richtigen Namen sie nicht weiß. Und Klatsche spürt, dass mit Malvina etwas nicht stimmt.
Auzug aus dem Buch:
Jetzt müsste ich sagen, wie traurig ich das finde, dass niemand Ahnung von mir hat, aber in meinem Hals sitzt immer noch dieser Kloß. Ich versuche, ihn zu schlucken, aber der Kloß bleibt beharrlich in meiner Kehle stecken, bis ich meine, ich muss daran ersticken. Pauls Arm auf meiner Schulter macht das Ganze noch schlimmer. Wenn der Arm nicht wäre, könnte ich von der Kühlerhaube springen und so tun, als würde ich das auch finden. Ich würde den Kloß schlucken und lachen. Opa hat mich von allen am liebsten. Ich würde sagen: Genau, Opa hat mich von allen am liebsten, das weiß ich doch. Ich kann spüren, wie leicht dieser Satz über meine Lippen kommen würde, wie ich damit meine Gedanken fortwische, aus meinem Kopf lösche, damit alles wieder in Ordnung ist. Gibt es Tintenkiller für Gedanken? Und für Gefühle? Den sollte mal jemand erfinden.
Beate Teresa Hanikas Geschichte über die dreizehnjährige Malvina, die seit Jahren von ihrem Großvater sexuell Missbraucht wird, führt vorsichtig an das schwierige Thema heran, ohne Malvina schwach und würdelos darzustellen. Die wahren Ausmaße von Malvinas Not werden dem Leser erst nach und nach bewusst, wie ein bedrohlicher Schatten, der von Seite zu Seite weiter wächst und schließlich das Mädchen zu verschlingen droht.
Und doch bleibt immer diese Hoffnung, Malvinas Erinnerungen an ihre beste Freundin Lizzy und die Begegnung mit dem Jungen Klatsche, der so unausstehlich erscheint und den sie doch nicht vergessen kann.
Die Ignoranz der Familie, die Ausweglosigkeit der Situation scheinen das Mädchen zu zerdrücken und doch beweist Malvina eine beeindruckende Stärke. Rotkäppchen muss weinen, ist ein starkes, emotionales und einfühlsames Buch, eine Geschichte die sich der Wahrheit verschreibt und doch so poetisch und anrührend ist.