Interview mit Barbara Steinitz
Blaue Seite: Welche Rolle spielen Anpassung und die Meinung anderer in Ihrem Leben?
Barbara Steinitz: Ich glaube, dass man es schon als Kind mitbekommt, wenn man Sachen auf andere Weise macht. Vielleicht sagen die Leute dann: „Du bist ja komisch.“ Ich hab als Kind viel mit Jungs gespielt und mich mehr für Baumhausbauen und Pfeil und Bogen interessiert als für Puppen. Und natürlich haben dann manche Mädchen mal gefragt, warum ich nicht mit Barbies spielen würde.
Solche Sachen kennt jeder Mensch. Jeder hat etwas Besonderes, das nicht mit der Norm geht. Solche Vorfälle ziehen sich durchs ganze Leben. Ich war viel im Ausland und habe zum Beispiel nach dem Abitur ein soziales Jahr in England gemacht. Da ist mir selbst zum ersten Mal aufgefallen, dass man häufig Sätze zu hören bekommt wie „Das ist ja typisch deutsch!“ Als ich während des Studiums in Spanien war, wurde mir immer gesagt: „Du bist so lustig und du lachst so gerne, weil du schon so lange in Spanien lebst. Ich habe darauf erwidert: „Was denkt ihr denn über die Deutschen?“ „Na ja, die Deutschen sind immer pünktlich und so.“. Irgendwann fängt man an, die eigene Nationalität zu verteidigen, und umgekehrt bemerkt man im eigenen Land, wie viel Klischees wir über Menschen anderer Nationalitäten hoch halten. Oft geht man aber auch zurück und findet selbst Dinge, bei denen man denkt: „Typisch deutsch, das nervt mich!“ oder: „Das finde ich toll in meinem Land.“
Blaue Seite: Und wie viel Wert legen Sie als Erwachsene darauf, was andere von Ihnen denken?
Barbara Steinitz: Ich würde sagen, ziemlich wenig. Allein durch die Arbeit mache ich das, was ich als Kind immer gerne gemacht habe – zeichnen und handwerklich tätig sein. Inzwischen mache ich auch beim Theater mein eigenes Ding. Und das ist nicht gerade ein „normaler“, gradliniger Weg. Natürlich möchte ich, dass das, was ich tue und in was ich so viel Mühe und Herzblut stecke den Menschen gefällt und ich sie damit begeistern kann. Meistens ist das auch der Fall, aber es gab natürlich auch Fälle, in denen ich zu hören bekam: „Schönes Stück, aber das passt nicht zu unserem Festival“ oder „Suchen sie mal einen anderen Verlag für Ihre Illustrationen“. Das schmerzt natürlich, aber es ist auch wichtig zu erkennen und zu akzeptieren, dass man es nicht allen recht machen kann.
Blaue Seite: Inwieweit basiert das Buch „Schnurzpiepegal“ auf Ihren eigenen Erfahrungen? Sie hatten ja mal einen Rauhaardackel.
Barbara Steinitz: Ich kam nicht durch meinen Hund auf die Geschichte. Die Idee entstand vor allem durch Beobachtung. Die Idee zu der Geschichte kam mir während eines Studienaufenthaltes in Barcelona, ich habe sehr viel Zeit mit dem Skizzenbuch auf der Straße verbracht, habe Leute beobachtet und gezeichnet. Ich habe dort extrem auffällig viele Leute gesehen, die ihren Hunden sehr ähnlich sahen. Das ist ja auch ein altes, bekanntes Thema. Daraus habe ich dann die Geschichte zu „Schnurzpiepegal“ gesponnen. Und natürlich habe ich einen besonderen Bezug zu Hunden, weil ich mit einem aufgewachsen bin.
Blaue Seite: Gab es in Barcelona jemanden, der seinem Hund nicht ähnlich sah?
Barbara Steinitz: Bestimmt. Aber Leonora und Joschka mit ihren Hunden habe ich dort nicht gesehen, die sind nur in meinem Kopf spazieren gegangen und dann auf's Papier gewandert.
Blaue Seite: Was war als Kind Ihr Lieblingsbilderbuch?
Barbara Steinitz: Die Geschichten, die ich sehr geliebt und auch nachgespielt habe, waren z.B. „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren und „Momo“ und „Das Traumfresserchen“ von Michael Ende. Und so viele mehr, meine Schwestern und ich sind mit unzähligen Büchern aufgewachsen. Die Illustrationen von Ilon Wikland, Reinhard Michl und Paul Flora habe ich als Kind gerne nachgezeichnet – auch wenn das nur Kopien waren, habe ich dabei viel gelernt. Wir hatten das Glück, dass meine unsere Eltern uns viel vorgelesen haben. Ich mochte auch die vielen Märchen gerne, darunter die Erzählungen von Hauff, Andersen und den Gebrüder Grimm natürlich. Andersens Märchen habe ich sehr gemocht, weil die sehr melancholisch sind – ein bisschen traurig. Diese Wehmut hat mich genauso angesprochen wie die lustigen Geschichten. Die Illustratorin, die ich absolut geliebt habe, war Annegerd Fuchshuber.
Blaue Seite: Und Ihre eigenen Bücher? Hätten Sie die als Kinder gemocht?
Barbara Steinitz: Das kann ich nicht sagen, ich bin jetzt schon erwachsen, aber ich hoffe es (lacht).
Blaue Seite: Und war es eine bewusste Entscheidung, eher für Kinder zu schreiben?
Barbara Steinitz: Ich glaube nicht, dass ich speziell für Kinder schreibe. Ich schreibe eine Geschichte, die mich selber interessiert. Deshalb glaube ich, dass alle guten Kinderbücher auch gute Bücher für Erwachsene und Jugendliche sind. Auch die Papiertheaterstücke, die wir aufführen, sind meistens für Kinder, werden aber auch von Erwachsenen gerne gesehen. Das kommt wahrscheinlich daher, dass mein primärer Beruf Illustratorin ist und Bücher mit vielen Bildern in Deutschland meistens nur Kinderbücher sind. Frankreich hat da eine ganz andere Kultur. Viele hierzulande sagen ja: „Comics sind für Kinder!“ Aber es gibt auch Comics für Erwachsene. Da haben Frankreich und Belgien eine ganz andere Tradition. Wenn wir zum Beispiel unsere Papiertheaterstücke spielen, sage ich immer, dass die Erwachsenen nicht einfach ihre Kinder abladen und dann weggehen sollen, sondern dass sie die Veranstaltung genauso genießen können. Wir haben unsere Geschichten oft auch nur vor einem erwachsenen Publikum oder mal im Seniorenheim aufgeführt. Insofern ist es keine aktive Entscheidung von mir, nur für Kinder zu schreiben. Natürlich passe ich den Text an, wenn es als Kinderbuch erscheinen soll, damit er auch verständlich ist.
Ich glaube, ich habe generell einfach Spaß am Beobachten von Leuten. Ich mag diese kleinen Geschichten, die auf der Straße liegen. Bei denen man denkt, das seien eher so Kleinigkeiten, die bei näherer Betrachtung aber ganz außergewöhnlich erscheinen. Am liebsten mag ich Vorfälle, die ganz verrückt sind.
Blaue Seite: Wie wichtig ist es Ihnen, dass die Botschaft in Ihren Büchern bei den Kindern ankommt?
Barbara Steinitz: Das ist mir sehr wichtig. Man muss natürlich darauf achten, dass die Sprache altersgerecht ist, aber dafür gibt es in den Verlagen Lektoren, die einem helfen. Ich frage außerdem oft Freunde, meine Schwestern und auch meine Neffen nach ihrer Meinung. Und man kann auch darauf vertrauen, dass Kinder meist wesentlich mehr begreifen als viele Erwachsene ihnen zutrauen. Kinder beobachten und begreifen oft so viel mehr als die Großen und stellen Fragen, die uns selbst zum Nachdenken bringen
Blaue Seite: Was würden Ihnen Ihre Geschichten ohne Bilder bedeuten?
Barbara Steinitz: Ich habe eigentlich so gut wie nie meine Texte ohne meine eigenen Bilder veröffentlicht. Wenn ich zeichne und dazu schreibe, können Text und Bild einander ergänzen, das ist ein sehr spannender Arbeitsprozess. Ich fände es auch interessant, wenn ich mal etwas schreiben und jemand anderes dazu illustrieren würde.
Blaue Seite: Sie schreiben, illustrieren, musizieren und veranstalten ihr Papier- und Figurentheater. Wenn Sie sich für den Rest Ihres Lebens für eine Sache entscheiden müssten, welche wäre es?
Barbara Steinitz: Das ist wie die Frage: „Lieber italienische, asiatische oder doch österreichische Küche?“ Die Abwechslung macht's. Wenn du auf einer Antwort bestehst: das Papier- und Figurentheater, weil das im Prinzip alles vereint: Zeichnen, Schreiben, die Musik, Theaterspielen, der Kontakt zum Publikum, Reisen, sowohl die Arbeit alleine als auch im Ensemble… Das ist sehr spannend und macht mich sehr glücklich.
Blaue Seite: Manchmal übernehmen Sie auch nur einen Teil eines Gesamtprojekts. Haben Sie manchmal das Bedürfnis, in die vorgefertigten Elemente einzugreifen, weil Sie das ganz anders gemacht hätten?
Barbara Steinitz: Ich hatte schon mal den Gedanken, etwas gerne anders zu machen. Aber wenn mir die Ästhetik gar nicht gefallen würde, würde ich bei dem Projekt auch nicht mitmachen. Wenn mir die Bilder anderer gefallen, obwohl oder gerade weil das ein ganz anderer Stil ist als meiner, finde ich das fantastisch. Ich habe so viele tolle Kollegen, die in einem ganz anderen Stil illustrieren. Genau das ist ja auch das Schöne: Jeder hat einen eigenen Geschmack und andere Fähigkeiten. Ich finde es spannend wenn man feststellen kann „Oh, das ist aber toll gelöst!“" oder: „Da wäre ich nicht drauf gekommen.“.
Blaue Seite: Wie würden Sie denn Ihren eigenen Zeichenstil beschreiben?
Barbara Steinitz: Er geht sehr in Richtung Karikatur.
Blaue Seite: Haben Sie denn auch Karikaturen gezeichnet?
Barbara Steinitz: Nur für mich. In der Schule habe ich auch ein paar Comics gezeichnet, aber ich bin keine Comiczeichnerin. Im Prinzip gehen die Illustrationen von „Schnurzpiepegal“ sehr stark in Richtung Karikatur. Ich habe mal ein Schulbuch für Latein illustriert. Da hieß es oft: „Können die Nasen da vielleicht ein bisschen kürzer sein?“ „Kann der dicke Römer da auf der Liege vielleicht ein bisschen dünner sein?“ Ich verstehe zwar, dass die Bilder eine gewisse Form wahren müssen – aber wenn die Form sehr beschränkt ist, finde ich es auch anstrengend.
Blaue Seite: Also sind Sie künstlerisch eher ein Freigeist, der gerne seine eigenen Ideen durchsetzen möchte?
Barbara Steinitz: Ja, klar! Ich finde es auch spannend, wenn jemand ganz bestimmte Vorstellungen hat und ich diese bestmöglich umsetzen soll. Aber ich muss immer noch meinen Freiraum haben, um meinen eigenen Stil und meine Ideen darin wiederzuerkennen und zu entwickeln zu können. Ich hatte einmal eine Anfrage eines Verlages und habe einen Auftrag angenommen – erst am Ende hat sich herausgestellt, dass sie einen ganz anderen Stil suchten. Ich bin nicht dahintergekommen, was sie eigentlich haben wollten und warum sie nicht von vornherein einen anderen Illustrator oder eine andere Illustratorin gefragt hatten. Einen neuen Stil auszuprobieren finde ich manchmal auch ganz spannend, weil man ein paar neue Sachen dazulernt. Aber in einem eigenen Buchprojekt will ich meinen eigenen Stil verwirklichen.
Blaue Seite: Danke schön. Dann jetzt noch eine letzte Frage, die wir allen Interviewpartnern stellen. Was bedeutet für Sie eine blaue Seite? Was stellen Sie sich darunter vor?
Barbara Steinitz: Eine blaue Seite ... (Stille) Ich denke an so etwas wie einen Bluescreen beim Film. Also etwas, das hinter etwas steht und wo später etwas eingefügt wird.
Blaue Seite: Trifft ja ganz gut auf unsere Seite zu.
Barbara Steinitz: Ja.