Interview

Interview mit Cassandra Clare und Holly Black

Im November 2014 trafen die Blaue Seite-Redakteurinnen Estelle Oltmanns, Rahel Schwarz und Lone Glau die amerikanischen  Fantasy-Autorinnen Cassandra Clare und Holly Black im Atlantik Hotel in  Hamburg. Das international bekannte Autorenduo war zu diesem Zeitpunkt  auf Europatour, um ihren neuen Roman „Magisterium – Der Weg ins  Labyrinth“ vorzustellen. In der stilvollen und edlen Atmosphäre des  Hotels sprachen Rahel und Estelle mit den beiden über diesen Auftakt zu  einer spannenden, neuen Serie, Magie und über vieles mehr – aber lest  selbst. Lone hat dieses äußerst vielseitige und amüsante Interview mit  der Kamera festgehalten. Herzlichen Dank an Holly und Cassandra, die  sich außergewöhnlich viel Zeit für uns genommen haben!

Vor dem eigentlichen Interview mit den beiden Autorinnen  saßen wir mit Holly Black zusammen und warteten auf Cassandra Clare –  Teile dieses „inoffiziellen“ Interviews möchten wir euch nicht  vorenthalten:

Zu Beginn sprachen wir über Interviews und „Medientraining“: 

Holly Black: Autoren müssen oft lernen, wie man während Interviews  auf Fragen antwortet. Denn Fragen so zu beantworten, dass man das sagt,  was erwartet wird und was interessant ist, geschieht selten intuitiv.  Das hat auch etwas damit zu tun, dass viele Schriftsteller sehr  introvertiert sind. Ich erinnere mich daran, dass ich wahnsinnige Angst  bekam, als ich herausfand, dass Autoren auf Tour gehen. Ich dachte,  ich  hätte einen Job gewählt, bei dem ich sehr viel Zeit drinnen mit  Schreibenverbringen und keine anderen Leute sehen müsste. Das war der größte Vorzug an dieser Karriere (lacht). Bei der Aussicht,  raus und auf Tour gehen zu müssen, fragte ich mich, wie mir das nur  hatte passieren können. Mit dieser Angst wurde ich vor langer Zeit  konfrontiert. Und zwar, als ich zusammen mit Tony DiTerlizzi für die  „Spiderwick-Chroniken“ auf Tour war. Unser Verleger dachte bestimmt,  dass ich weglaufen und das Handtuch schmeißen würde. Man muss dazu  sagen, dass meine Knie wackelten und ich sehr blass war. Ich bin einfach  nie auf die Idee gekommen, dass ich so etwas tatsächlich tun müsste.  Ich habe sogar einen Kurs im College über öffentliche Auftritte und Rede  belegt. Aber ich habe nicht aufgepasst, da ich dachte, dass mich das  nicht betreffen würde. Als ich dann auf Tour war, wünschte ich mir, ich  hätte mich an den Kurs erinnern können.

BS: Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert? An was haben Sie gedacht, als Sie mit dem Schreiben begonnen haben?

Holly Black: Ich glaube, das, was uns am meisten inspiriert hat, war  das Überraschungsmoment. Auch Höhlen waren eine große Inspiration. Beide  können wir Geschichten davon erzählen, wie wir als Kinder Höhlen  besichtigt haben. Nicht umsonst spielt „Magisterium“ in Höhlen. Wir  beide kennen die seltsame Schönheit von Höhlen und den kinotauglichen  Aspekt dieser Orte. Darum haben wir in solchen Höhlen eine Schule für  Magier errichtet: Das „Magisterium“.

Cassandra  Clare: Wir wurden auch von Büchern inspiriert, die wir als Kinder  gelesen haben und in denen es sich darum dreht. zaubern zu lernen. Ich  denke dabei z. B. an „The Sword in the Stone“ von T. H. White, in dem  Merlin Arthur beibringt, Magie zu benutzen. Natürlich gibt es hunderte  von Büchern über Zauberschulen. ()Meine Mutter hatte die ihren und  unsere  Generation wuchs mit Harry Potter auf. Wir fragten uns also,  welche neue Generation von Büchern über Zauberschulen es geben wird. Was  können wir Neues erzählen? Für uns war es die Wendung innerhalb der  Handlung, die so noch nicht dagewesen ist.

BS: Haben Sie sich selbst gewünscht auf so eine Zauberschule zu gehen, als Sie jünger waren?                                                                      

Cassandra Clare: Ich habe mir gewünscht, dass Magie wahr ist. Ich  habe mir gewünscht, dass Magie in mein Leben treten würde, z. B. in Form  von übernatürlichen Wesen. Ich wünschte mir Magie an meiner Schule und  Prinzen, Zaubersprüche und all diese Dinge. Ich wollte aber nie in ein  Internat oder überhaupt irgendwohin (allgemeines Lachen). In diesem  Zusammenhang kann ich mich also wirklich in den Protagonisten  Calhineinversetzen, denn er will auch nicht fort und auf diese Schule  gehen. Ich wollte, dass die Magie zu mir kommt.

BS: Wie definieren Sie Magie im echten Leben?

Holly Black: Ich bin in einem Haus aufgewachsen, von dem meine Mutter  immer sagte, dass es dort spukt. Sie glaubte sehr stark an  übernatürliche Kreaturen. Jedes Mal, wenn sie ihren Schlüssel verlegt  hatte, rief sie nach einem Geist, der Robby hieß. Sie sagte, dass sie  als kleines Mädchen mit Robby auf dem Dachboden gespielt hat. Man muss  dazu sagen, dass wir in dem Haus meiner Urgroßeltern lebten. Ich habe  diesen Geist nie gesehen, aber ich hatte meine ganze Kindheit über Angst  vor ihm. Ich bin also in einer Familie mit sehr starkem Glauben an das  Übernatürliche aufgewachsen. Daher habe ich eine sehr genaue  Vorstellung, was es bedeutet, Magie zu besitzen oder selbst magisch zu  sein. Vieles davon wurde durch meine Kindheit bzw. Erziehung  geprägt. Als Erwachsene habe ich mich ein wenig zu einer Skeptikerin  entwickelt. Als Kind aber habe ich wirklich an Geister und Feen geglaubt  und dass ich sie, wenn ich nur aufmerksam suchen würde, finden könnte.  Heutzutage glaube ich kaum noch daran. Allerdings wird behauptet, dass  man in seiner dunkelsten Stunde das anruft, von dem einem als Kind  beigebracht wurde, dass man daran glauben soll. Für mich sind das Feen  und Geister…

Cassandra Clare: Definition von Magie – wow. Das ist eine  hervorragende Frage! Meine Eltern glauben nicht an Übernatürliches. Ich  fand Magie durch das Lesen von Büchern. Für mich hatte das immer etwas  von Flucht – manchmal auch vor meinen Eltern. Viele, viele Jahre lang  hoffte ich, dass sich Magie und Zauberei als echt herausstellen.  Deswegen liebe ich Bücher, in denen Magie in unserer Welt ist und sich  dann als wahr entpuppt. Ich stelle mir dann immer vor, wie großartig  dass wäre.

BS: Wo wir gerade über Buchcharaktere sprechen: In welche Figur könnten Sie sich im echten Leben verlieben?

Holly Black: Ich glaube nicht, dass ich mich in einen meiner  Charaktere verlieben könnte. Das wäre, wie mich in mich selbst zu  verlieben. Für mich fühlt es sich an, als wäre ich ein Teil dieser  Personen.

Cassandra Clare: Du suchst dir einen meiner Charaktere aus und ich nehme mir einen von deinen.

Holly Black: Dann würde ich sehr gerne Will Herondale treffen, der  ist nämlich verrückt. Das gefällt mir an ihm. Außerdem mag er Bücher,  also könnten wir über Bücher reden. Aber auch ein Treffen mit Marc  Blackthorn aus der neuen Buchreihe fände ich interessant. Er ist  Halb-Elf, aufgewühlt und er ist vielleicht auch ein bisschen verrückt.

Cassandra Clare: Er spricht mit Parkuhren.

Holly Black: Das mag ich.

Cassandra Clare: Ich würde gerne Gabriel treffen. Denn er ist  heiß  und ein Vampir, was ziemlich cool ist. Außerdem ist er verrückt und ein  Franzose, also könnte er mir bei meinem Französisch helfen – das  benötigt echt ein bisschen Feinschliff. Und in „Magisterium“ wäre jeder  zu jung für mich.

Holly Black: Viel zu jung.

BS: Tipps für Schattenjäger, Hexenmeister oder Leute mit  sonstigen magischen Fähigkeiten: Was können sie tun, um richtig gut in  dem zu sein, was sie tun?

Holly Black: Die einzigen Ratschläge, die ich dir geben kann, sind  die für Autoren. Das Schwierige daran, Bücher zu schreiben, Dämonen zu  jagen und die Elemente zu beherrschen, ist , dass wahrscheinlich niemand  anderes in deinem Umfeld das Gleiche tut. Du bist auf dich allein  gestellt. Eventuell versteht auch deine Familie nicht, was du vorhast  (lacht). Viele Leute raten dir, dass du an dich selbst glauben musst.  Aber es ist okay, wenn du Zweifel hast. Du darfst nur dein Ziel nicht  aus den Augen verlieren. Und du musst einfach weitermachen, mit dem, was  du tust. Dann solltest du vielleicht auch jemand anderen finden, der  auch die Elemente beherrschen möchte (lacht) oder Bücher schreiben oder  Dämonen bekämpfen. So kannst du nämlich konstruktive Kritik üben (kann  sich vor Lachen kaum noch halten).

Cassandra  Clare: Stimmt genau. Ich würde sagen, dass du dich auf deine Freunde  verlassen musst. Und die Botschaft von „City of Bones“ und „Magisterium“  ist die Gleiche: Es geht um Freundschaft und Treue. Niemand, in beiden  Buchreihen, könnte seine Ziele ohne seine Freunde erreichen. Also  vertraue auf deine Freunde.

 BS: Stichwort Freundschaft: Wie hat Ihre Zusammenarbeit an „Magisterium“ funktioniert?

Holly Black: Wir haben eine spezielle Technik. Die haben wir auch unserem Verleger David Levithan erklärt. Der hat selbst an einigen Büchern wie z. B. „Will Grayson,  Will Grayson“ oder „Nick und Nora – Soundtrack einer Nacht“ (mit John  Green bzw. Rachel Cohen, Anm. d. Red.) mitgearbeitet. Als wir ihm unsere  Technik erläuterten, erklärte er uns für verrückt. Er sagte: „Das  könnte ich nicht tun, ich hätte John umgebracht und Rachel hätte mich  umgebracht.“

Wir machen es so: Eine von uns beiden setzt sich hin, schreibt  zwischen 200 und 500 Wörtern und reicht den Computer dann an die andere  weiter. Die überschreibt dann diese Wörter, überarbeitet sie also. Dann  fügt sie neue 200 bis 500 Wörter hinzu usw. Das machen wir immer, wenn  wir irgendwo hängenbleiben oder wenn wir einen Teil abschließen. Ich  hoffe, dass wir auf diese Art dem Buch eine Stimme gegeben haben, die  weder Cassies noch meine Stimme ist, sondern Calls Stimme.

Cassandra Clare: Viele coproduzierte Romane, z. B. „Will Grayson, Will Grayson“,   erzählen die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Jeder Autor  übernimmt also einen anderen Blickwinkel. Aber das wollten wir nicht.  Denn die Geschichte in „Magisterium“ verlangte es, dass alles aus Calls  Sicht erzählt wird. Niemand darf mehr wissen als Call. Wir hoffen also,  Call durch das gegenseitige Ergänzen unserer Texte seine eigene,  einzigartige Stimme zu geben.

BS: Es gab also keinen Streit zwischen Ihnen?

Holly Black: Das würde ich nicht sagen, nein.

Cassandra: Wir streiten uns. Die Leute fragen uns aber immer, ob wir  über die wirklich großen Dinge streiten, wie z. B., ob eine Figur stirbt  oder ob zwei Charaktere sich verlieben. Darüber streiten wir uns  allerdings nicht. Stattdessen streiten wir uns über sehr kleine Dinge:  Es ging einmal um die Szene, in der Erin zum ersten Mal Calls Magie  benutzt. Danach kommen Lehrer dazu und ich wollte, dass sie ein bisschen  reden, bevor die Lehrer kommen. Holly wollte das nicht. Also haben wir  uns gestritten, sogar so sehr, dass unsere Freundin Sarah in Tränen  ausgebrochen und rausgegangen ist. Als sie eine halbe Stunde später  wiederkam, hatten wir uns aber wieder vertragen.

Ich denke, solange man sich produktiv streitet, ist das okay.  Meistens endet es auch damit, dass weder Holly noch ich gewinnen,  sondern wir einen Kompromiss finden.

Holly Black: Der Grund für diesen Streit war wahrscheinlich, dass wir  beide das schreiben wollten, was wir sonst auch geschrieben hätten.  Jetzt mussten wir uns aber dem anderen anpassen. In diesem Fall gab es  übrigens keinen Kompromiss.

Cassandra Clare: Nein, in diesem Streit ausnahmsweise nicht. Den habe ich gewonnen (beide lachen).

BS: Wissen Sie schon etwas über eine Verfilmung von „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“?

Holly Black: Ja, es wurde von Constantin Film in Betracht gezogen.  Und wir haben schon ein Drehbuch geschrieben, aber das müssen wir noch  einmal überarbeiten. Danach wird es hoffentlich weitergehen.  Filmoptionen sind aber natürlich keine Versprechen.

Cassandra Clare: Letztens war ich in Los Angeles und habe da auch mit  Constantin über das Drehbuch geredet. Jetzt sind wir an dem Punkt  angelangt, an dem sie nach einem Regisseur suchen werden. Hoffentlich  will jemand diesen Job.

BS: Gibt es Neuigkeiten zu dem zweiten Film von „City of Bones“?

Cassandra Clare: Ja, es gab die Ankündigung, dass der zweite Teil  nicht als Film, sondern als Serie verfilmt werden soll. Das war auch der  Grund, weshalb ich in Los Angeles war. Denn sie arbeiten jetzt gerade  daran und ich wollte mit dem Showrunner (Verantwortlicher fürs  Tagesgeschäft einer Serienproduktion, Anm. d. Red.) sprechen. Das mit  der Serie ist interessant, weil es bedeutet, dass sie wieder von vorne  anfangen müssen.

BS: Sie werden also nicht die gleichen Schauspieler einsetzten.

Cassandra Clare: Ich wäre überrascht, wenn sie das täten.  Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Aber Filmschauspieler wollen  oftmals nicht ins Fernsehgeschäft wechseln, weil die Projekte viel  länger dauern. Das nimmt mindestens neun Monate deines Jahres in  Anspruch, sodass du nebenbei keine Filme drehen kannst. Es wird also  sehr auf die einzelnen Schauspieler und ihre individuellen Pläne  ankommen.

Da aber die Schauspieler aus dem Film sehr beliebt waren, wäre ich froh, wenn sie wieder dabei wären.

BS: Wenn Sie sich für die „Magisterium“-Verfilmung Ihre Traum-Schauspieler, Ihre Traum-Besetzung auswählen dürften, wer wäre das?

Holly Black: Die Figuren sind so jung. Die Frage ist also schwierig,  weil es nicht so viele Schauspieler in dem Alter gibt, aus denen man  auswählen könnte.

Cassandra Clare: Oder zumindest keine, die wir kennen. Wir gucken den  Disney Channel schließlich nicht so oft (lacht). Aber wenn junge  Schauspieler gecastet werden, finde ich es besser, wenn völlig  Unbekannte genommen werden. Dann kann der gespielte Charakter sozusagen  auf den unbekannten Schauspieler geprägt werden.

BS: Wie z. B. bei den Schauspielern von Harry Potter.

Cassandra Clare: Ja, genau! Es gab einfach keine elf- oder  zwölfjährigen Schauspieler. Also mussten sie nach jungen Menschen  suchen, die entsprechend aussahen oder das Passende ausstrahlten.

Holly Black: Und das ist auch gut so, denn so hat man eine größere Auswahl an Leuten, die man sich angucken kann.

BS: Mit Holly haben wir vorhin schon über das Atlantik Hotel geredet. Wie gefällt es Ihnen?  

Cassandra Clare: Es ist riesig. Ich glaube, es könnte hier spuken.  Jedes Mal, wenn ich in mein Zimmer komme, ist mein Fenster offen –  obwohl ich weiß, dass ich es geschlossen habe. Ist es ein altes Hotel?

RedakteurRedakteur: Estelle, Rahel
FotosFotos: Hanna
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