Interview mit Cassandra Clare und Holly Black
Im November 2014 trafen die Blaue Seite-Redakteurinnen Estelle Oltmanns, Rahel Schwarz und Lone Glau die amerikanischen Fantasy-Autorinnen Cassandra Clare und Holly Black im Atlantik Hotel in Hamburg. Das international bekannte Autorenduo war zu diesem Zeitpunkt auf Europatour, um ihren neuen Roman „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“ vorzustellen. In der stilvollen und edlen Atmosphäre des Hotels sprachen Rahel und Estelle mit den beiden über diesen Auftakt zu einer spannenden, neuen Serie, Magie und über vieles mehr – aber lest selbst. Lone hat dieses äußerst vielseitige und amüsante Interview mit der Kamera festgehalten. Herzlichen Dank an Holly und Cassandra, die sich außergewöhnlich viel Zeit für uns genommen haben!
Vor dem eigentlichen Interview mit den beiden Autorinnen saßen wir mit Holly Black zusammen und warteten auf Cassandra Clare – Teile dieses „inoffiziellen“ Interviews möchten wir euch nicht vorenthalten:
Zu Beginn sprachen wir über Interviews und „Medientraining“:
Holly Black: Autoren müssen oft lernen, wie man während Interviews auf Fragen antwortet. Denn Fragen so zu beantworten, dass man das sagt, was erwartet wird und was interessant ist, geschieht selten intuitiv. Das hat auch etwas damit zu tun, dass viele Schriftsteller sehr introvertiert sind. Ich erinnere mich daran, dass ich wahnsinnige Angst bekam, als ich herausfand, dass Autoren auf Tour gehen. Ich dachte, ich hätte einen Job gewählt, bei dem ich sehr viel Zeit drinnen mit Schreibenverbringen und keine anderen Leute sehen müsste. Das war der größte Vorzug an dieser Karriere (lacht). Bei der Aussicht, raus und auf Tour gehen zu müssen, fragte ich mich, wie mir das nur hatte passieren können. Mit dieser Angst wurde ich vor langer Zeit konfrontiert. Und zwar, als ich zusammen mit Tony DiTerlizzi für die „Spiderwick-Chroniken“ auf Tour war. Unser Verleger dachte bestimmt, dass ich weglaufen und das Handtuch schmeißen würde. Man muss dazu sagen, dass meine Knie wackelten und ich sehr blass war. Ich bin einfach nie auf die Idee gekommen, dass ich so etwas tatsächlich tun müsste. Ich habe sogar einen Kurs im College über öffentliche Auftritte und Rede belegt. Aber ich habe nicht aufgepasst, da ich dachte, dass mich das nicht betreffen würde. Als ich dann auf Tour war, wünschte ich mir, ich hätte mich an den Kurs erinnern können.
BS: Glauben Sie, dass Ihnen dieser Kurs geholfen hätte? Denn ich glaube, dass Extrovertiertheit in dem Charakter einer Person begründet liegt.
Holly Black: Da hast du absolut Recht. Ich glaube, dass es Menschen gibt, die großartige Redner sind und wirklich großartige Entertainer. Ich denke aber, dass du dich immer verbessern kannst – insbesondere, wenn man so wie ich früher schon bei dem Gedanken verrückt geworden ist, öffentlich auftreten zu müssen. Ich habe deshalb ein hohes Maß an Sympathie für Leute, die in Interviews sagen: „Ich weiß es nicht! Ich kann dir keine Antwort auf deine Frage geben!“ Denn es ist schwierig zu wissen, wie man eine Frage beantworten soll. Man muss verstehen, dass man eine Geschichte zu erzählen hat, die Hintergrundgeschichte. Als der Film zu den „Spiderwick-Chroniken“ rauskam, wurden Tony und ich einem „Medientraining“ unterzogen. Solltet ihr euch jemals gefragt haben, wie so ein Training aussieht, dann müsst ihr es euch so vorstellen: Sie interviewen dich und nehmen das auf Video auf. Anschließend musst du es dir anschauen – immer und immer wieder. Sie lassen dich analysieren, wie du aussiehst und was du hättest besser machen können. Das ist alles, was Medientraining ausmacht.
BS: Ich stelle mir das schrecklich vor. Ich finde es seltsam, meine eigene Stimme zu hören, denn ich nehme sie dann anders als beim normalen Sprechen wahr. Ich hinterfrage dann ihre Wirkung auf andere Weise und ob ich an ihr arbeiten muss, um authentisch zu klingen.
Holly Black: Ja, genau so ist das auch beim Medientraining. Aber man lernt daraus, insbesondere, wenn man sich selbst auf Video sieht.
Anschließend versuchte Holly Black, „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“ auf Deutsch zu signieren:
BS: Könnten Sie bitte das Buch für die Bücherpiraten signieren, während wir auf Cassandra warten?
Holly Black: Ja, natürlich. Ich könnte es auf Deutsch versuchen. Nicht, weil ich so clever bin, sondern weil ihr mir eure Visitenkarte gegeben habt (lacht). (Signiert unsere Ausgabe von „Magisterium“ für die Bücherpiraten – bzw. die „Bookpirates“.) Ich habe es jetzt doch auf Englisch signiert. Ich weiß zwar, das „The“ „Das“ in Deutsch heißt, aber ich kann „for“ nicht auf Deutsch schreiben.
BS: „For“ ist „für“ (f, u with two dots on top and r) auf Deutsch.
Holly Black: Gut, dann schreibe ich die Widmung jetzt auch noch auf Deutsch in das Buch. Sozusagen in zweifacher Ausführung (lacht). Und zwar auf dem Kopf – dann ist es dem Layout von „Magisterium“ angepasst.
In der Ausgabe von „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“ der Bücherpiraten steht jetzt „For the Bookpirates“ und „Für das Bücherpiraten“. Nach dieser zweisprachigen Signierstunde kam Cassandra Clare hinzu und unser „offizielles“, gemeinsames Interview begann:
BS: Die erste Frage möchte ich an Sie beide richten: Sie haben viele Fantasy-Bücher in den letzten Jahren geschrieben. Uns würde interessieren, was Leser und Leserinnen von Ihrem neuen Buch bzw. Ihrer neuen Serie erwarten können.
Holly Black: Interessante Frage. Ich denke, wir wollten vor allem eine Geschichte schreiben und uns dabei bekannter Elemente bedienen und die Leser aber gleichzeitig überraschen. Es gibt ein paar Dinge, über die wir nicht sprechen können, bevor das zweite Buch veröffentlicht ist. Denn einiges, das darin vorkommt, hat Einfluss darauf, wie sich die Serie weiterentwickelt. Wir haben lange über diese Geschichte gesprochen, sie jahrelang zwischen uns hin und her geschoben und versucht, die jeweils andere dazu zu kriegen, sie zu schreiben. Erst, als wir merkten, dass wir es gemeinsam umsetzen wollen, erwachte diese Geschichte zum Leben.
Cassandra Clare: Es stimmt: Wir haben viele Fantasy-Bücher unabhängig voneinander geschrieben und deshalb wissen wir beide normalerweise, wie sich die Dinge in diesen Büchern entwickeln. Für unser gemeinsames Projekt wollten wir allerdings eine Situation schaffen, in der die Entwicklung der Handlung erst bekannt scheint, dann aber doch eine ganz andere Richtung einschlägt. Mehr dürfen wir nicht verraten. Nur, dass die Leute sich auf eine Überraschung freuen können.
BS: Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert? An was haben Sie gedacht, als Sie mit dem Schreiben begonnen haben?
Holly Black: Ich glaube, das, was uns am meisten inspiriert hat, war das Überraschungsmoment. Auch Höhlen waren eine große Inspiration. Beide können wir Geschichten davon erzählen, wie wir als Kinder Höhlen besichtigt haben. Nicht umsonst spielt „Magisterium“ in Höhlen. Wir beide kennen die seltsame Schönheit von Höhlen und den kinotauglichen Aspekt dieser Orte. Darum haben wir in solchen Höhlen eine Schule für Magier errichtet: Das „Magisterium“.
Cassandra Clare: Wir wurden auch von Büchern inspiriert, die wir als Kinder gelesen haben und in denen es sich darum dreht. zaubern zu lernen. Ich denke dabei z. B. an „The Sword in the Stone“ von T. H. White, in dem Merlin Arthur beibringt, Magie zu benutzen. Natürlich gibt es hunderte von Büchern über Zauberschulen. ()Meine Mutter hatte die ihren und unsere Generation wuchs mit Harry Potter auf. Wir fragten uns also, welche neue Generation von Büchern über Zauberschulen es geben wird. Was können wir Neues erzählen? Für uns war es die Wendung innerhalb der Handlung, die so noch nicht dagewesen ist.
BS: Haben Sie sich selbst gewünscht auf so eine Zauberschule zu gehen, als Sie jünger waren?
Cassandra Clare: Ich habe mir gewünscht, dass Magie wahr ist. Ich habe mir gewünscht, dass Magie in mein Leben treten würde, z. B. in Form von übernatürlichen Wesen. Ich wünschte mir Magie an meiner Schule und Prinzen, Zaubersprüche und all diese Dinge. Ich wollte aber nie in ein Internat oder überhaupt irgendwohin (allgemeines Lachen). In diesem Zusammenhang kann ich mich also wirklich in den Protagonisten Calhineinversetzen, denn er will auch nicht fort und auf diese Schule gehen. Ich wollte, dass die Magie zu mir kommt.
BS: Wie definieren Sie Magie im echten Leben?
Holly Black: Ich bin in einem Haus aufgewachsen, von dem meine Mutter immer sagte, dass es dort spukt. Sie glaubte sehr stark an übernatürliche Kreaturen. Jedes Mal, wenn sie ihren Schlüssel verlegt hatte, rief sie nach einem Geist, der Robby hieß. Sie sagte, dass sie als kleines Mädchen mit Robby auf dem Dachboden gespielt hat. Man muss dazu sagen, dass wir in dem Haus meiner Urgroßeltern lebten. Ich habe diesen Geist nie gesehen, aber ich hatte meine ganze Kindheit über Angst vor ihm. Ich bin also in einer Familie mit sehr starkem Glauben an das Übernatürliche aufgewachsen. Daher habe ich eine sehr genaue Vorstellung, was es bedeutet, Magie zu besitzen oder selbst magisch zu sein. Vieles davon wurde durch meine Kindheit bzw. Erziehung geprägt. Als Erwachsene habe ich mich ein wenig zu einer Skeptikerin entwickelt. Als Kind aber habe ich wirklich an Geister und Feen geglaubt und dass ich sie, wenn ich nur aufmerksam suchen würde, finden könnte. Heutzutage glaube ich kaum noch daran. Allerdings wird behauptet, dass man in seiner dunkelsten Stunde das anruft, von dem einem als Kind beigebracht wurde, dass man daran glauben soll. Für mich sind das Feen und Geister…
Cassandra Clare: Definition von Magie – wow. Das ist eine hervorragende Frage! Meine Eltern glauben nicht an Übernatürliches. Ich fand Magie durch das Lesen von Büchern. Für mich hatte das immer etwas von Flucht – manchmal auch vor meinen Eltern. Viele, viele Jahre lang hoffte ich, dass sich Magie und Zauberei als echt herausstellen. Deswegen liebe ich Bücher, in denen Magie in unserer Welt ist und sich dann als wahr entpuppt. Ich stelle mir dann immer vor, wie großartig dass wäre.
BS: Was war die letzte magische Sache, die Ihren Weg gekreuzt hat?
Cassandra Clare: Ich habe Hollys Haus gehütet, als sie nicht da war. Sie hat einen Turm in ihrem Haus. Jede Nacht haben mein Mann und ich uns in ihrem Gästezimmer schlafen gelegt und vorher die Tür zum Turm verschlossen. Jeden Morgen stand die Tür wieder offen. Das hat uns ein bisschen verrückt gemacht. Wir haben die Tür immer wieder geschlossen und auch sichergestellt, dass die Katze sie nicht öffnen kann. Sie war also definitiv verschlossen. Ich rief Holly an und fragte, ob wir Mehl vor die Tür streuen könnten, um Fußabdrücke auf dem Boden sichtbar zu machen. Sie antwortete „Nein, reizt den Geist nicht!“ (allgemeines Lachen) Also habe ich nie herausgefunden, was da vor sich ging. Ich glaube schon, dass es in ihrem Haus spuken könnte.
Holly Black: Ich habe nie irgendetwas gesehen. Ich würde das aber gerne. Denn dass ich noch nie richtige übernatürliche Erfahrungen gemacht habe, ist die Quelle meiner Traurigkeit. Was ich aber interessant fand, waren die Events für die „Spiderwick-Chroniken“. Tony und ich haben immer ein großes, rotes Buch mitgenommen. Jeder, der wollte, konnte seine eigenen Erfahrungen mit Feen in diesem Buch niederschreiben. Das war großartig, denn Kinder wie auch Erwachsene haben all diese kleinen, seltsamen Geschichten hineingeschrieben. Mir gefiel daran, dass sich die Geistergeschichten sehr ähneln – und auch Cassies Geschichte. Es sind Geschichten über ganz kurze Momente, z. B.: „Aus dem Augenwinkel sah ich einen kleinen Mann. Er rannte unter mein Bett und dann war er verschwunden.“ Oder: „ Ich sah ein Licht vor meinem Fenster und als ich dem Licht sehr nahe kam, ging es plötzlich aus.“ Ich finde es großartig, dass es so viele Geschichten waren, die die verschiedensten Menschen erlebt hatten. Man sagt, dass jede Familie eine eigene Geistergeschichte zu erzählen weiß.
Cassandra Clare: Das stimmt.
Holly Black: Es war interessant, bei wie vielen Leuten das stimmt. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass ich dachte: „Da könnte was dran sein.“
BS: Wo wir gerade dabei sind, von Ihren Fans zu sprechen, auch von denen, die sie getroffen haben: „Magisterium“ wurde von Ihnen im April angekündigt und diesen Herbst veröffentlicht. Schon jetzt sind soziale Netzwerke, wie z.B. Tumblr, voll mit Fanart und Ähnlichem. Erstaunt sie das? Gibt Ihnen das etwas zurück?
Holly Black: Wenn man etwas kreiert, ist man oft auf sich allein gestellt, in diesem Fall waren wir zu zweit.
Cassandra Clare: Genau.
Holly Black: Aber es waren eben nur wir beide, die sich zusammensetzten und versuchten, ein gutes Buch zu schreiben. Es ist toll, wenn man dann plötzlich mit Leuten darüber sprechen kann. Leute, denen klar ist, dass die Charaktere für uns real sind und die sich über sie eine Meinung bilden, über sie nachdenken. Wenn man ein Buch schreibt, fühlt es sich oft so an, als ob man einen Freund hat, den niemand sonst kennt. Wenn das Buch dann veröffentlicht wird, ist es so, als ob man diesen Freund all seinen anderen Freunden vorstellt. Und die mögen dann diesen „Freund“ oder nicht. Sie können also auch anfangen, sich über diese Person eine Meinung zu bilden und nachzudenken. Es ist ein schönes Gefühl, etwas teilen zu können und es nicht nur im eigenen Kopf zu haben.
Cassandra Clare: Dem stimme ich zu. Es fühlt sich an, als ob man eine Fantasy-Welt erfunden hat. Und nun leben dort andere Leute mit dir zusammen. Das ist sehr schön, wenn du dich nicht mehr alleine für die Erlebnisse deiner Charaktere interessierst, sondern auch all diese anderen Leute. Das ist wunderbar. Es ist, wie als würde man die Vorstellungskraft miteinander teilen. Ich liebe Fanart und all die Spekulationen – viele haben starke Meinungen und stellen Vermutungen an, wer mit wem zusammen sein wird, obwohl erst ein Buch erschienen ist. Für viele sind die Entscheidungen schon getroffen worden (alle lachen).
BS: Cassandra, Sie haben schon Zauberschulen angesprochen und den Umstand, dass Sie gerne Magie in Ihrem Leben hätten. In der Zauberschule in Ihrem Buch lernen die angehenden Magier und Magierinnen ihre Kräfte und auch die Elemente zu kontrollieren. Wenn Sie sich ein Element aussuchen könnten: Welches würden Sie gerne kontrollieren können?
Cassandra Clare: Ich würde „Chaos“ wählen. Nicht nur, weil es das ungewöhnlichste der Elemente ist, sondern weil für mich „Chaos“ das Element aller Möglichkeiten ist: Mit „Chaos“ kann man alles machen. Das macht es für mich aufregend.
Holly Black: Kann ich diese Frage auch beantworten?
BS: Gerne.
Holly Black: Ich denke, ich würde gerne Wasser kontrollieren, weil …
Cassandra Clare: Wegen deiner Haare. (Holly Black hat blaue Haare.)
Holly Black: Ich mag diesen Gedanken: Meine Haare sind schon blau, also ist Wasser wie ich und ich würde nie wieder stilles Wasser trinken müssen – all das Wasser würde Kohlensäure beinhalten. (Allgemeines Lachen)
Cassandra Clare: Das ist eine gute Idee. Ich wette, ich könnte auch kohlensäurehaltiges Wasser mit „Chaos“ erzeugen.
Holly Black: Das wären dann sehr große Blasen. Ich weiß nicht, ob ich „Chaos-Wasser“ trinken würde. (Während Holly Black antwortet, imitiert Cassandra Clare das Geräusch von zischendem, kohlensäurehaltigem Wasser.)
BS: In „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“ sind Call und die anderen mit ihrer Magie Teil der Normalität. Glauben Sie, dass es auch in unserem Alltag Magie gibt und ein ganz normaler Mensch Magie ausüben kann?
Holly Black: Vielleicht. Ich habe sehr viele Studien dazu gelesen, weil ich mir so sehr wünsche, dass das alles wahr ist. Aber wenn es Magie gäbe, glaube ich, dass jeder sie benutzen könnte. Ich glaube an ein Magie-System der Gleichberechtigung. Und ich würde gerne daran glauben, dass es Magie in dieser Welt gibt. Dennoch habe ich noch einige Zweifel (lacht). Was glaubst du, Cassandra? Gibt es im wahren Leben wirklich Magie?
Cassandra Clare: Ich würde es gerne glauben. Ich bin Jüdin und wir stammen von einer langen Ahnenreihe ab, die an Mystisches glauben. Also glaube ich wohl auch an Mystisches. Wenn ich nur fest genug an etwas glaube, wird es auch eintreten.
BS: Wenn Sie durch ein magisches Portal gehen und in eine Welt gelangen könnten, die Sie sich wünschen: Was für ein imaginärer Charakter wären Sie dann gerne?
Cassandra Clare: Wenn ich mich für eine meiner Welten entscheiden müsste, würde ich als Hexenmeister in die Schattenjäger-Welt gehen. Denn Hexenmeister können dort als einzige Magie ausüben. Außerdem können sie unendlich leben, was prima wäre. Und man muss kein Blut trinken – das fände ich ekelhaft.
Wenn ich eine Welt aus Hollys Büchern auswählen sollte, würde ich die Welt der Trilogie „Weißer Fluch“ wählen. Denn in dieser Welt gibt es verschiedene Arten von Magie und jeder hat seine speziellen Fähigkeiten. Da würde ich gerne ein Erinnerungs-Magier sein, weil ich dann die Erinnerungen anderer Leute verändern könnte. Das wäre großartig.
Holly Black: Wenn ich in eine meiner Welten gehen könnte, würde ich als Fee in die Welt aus „Elfentochter“ reisen. Aber in Cassandras Welt wäre ich nicht gerne Fee. Die stecken gerade in großen Schwierigkeiten.
Cassandra Clare: In sehr, sehr großen Schwierigkeiten.
Holly Black: (Zu Cassandra Clare) Ich denke, du hast Recht mit den Hexenmeistern in deiner Welt. Das wäre wirklich cool. Besonders toll fände ich es, ein komplett blauer Hexenmeister zu sein.
Cassandra Clare: Eher Marineblau oder eher helleres Blau?
Holly Black: Eher Marineblau (lacht).
Cassandra Clare: Okay, wir werden sehen, was wir tun können: Marineblauer Hexenmeister mit dem Namen „Holly“.
BS: Wo wir gerade über Buchcharaktere sprechen: In welche Figur könnten Sie sich im echten Leben verlieben?
Holly Black: Ich glaube nicht, dass ich mich in einen meiner Charaktere verlieben könnte. Das wäre, wie mich in mich selbst zu verlieben. Für mich fühlt es sich an, als wäre ich ein Teil dieser Personen.
Cassandra Clare: Du suchst dir einen meiner Charaktere aus und ich nehme mir einen von deinen.
Holly Black: Dann würde ich sehr gerne Will Herondale treffen, der ist nämlich verrückt. Das gefällt mir an ihm. Außerdem mag er Bücher, also könnten wir über Bücher reden. Aber auch ein Treffen mit Marc Blackthorn aus der neuen Buchreihe fände ich interessant. Er ist Halb-Elf, aufgewühlt und er ist vielleicht auch ein bisschen verrückt.
Cassandra Clare: Er spricht mit Parkuhren.
Holly Black: Das mag ich.
Cassandra Clare: Ich würde gerne Gabriel treffen. Denn er ist heiß und ein Vampir, was ziemlich cool ist. Außerdem ist er verrückt und ein Franzose, also könnte er mir bei meinem Französisch helfen – das benötigt echt ein bisschen Feinschliff. Und in „Magisterium“ wäre jeder zu jung für mich.
Holly Black: Viel zu jung.
BS: Tipps für Schattenjäger, Hexenmeister oder Leute mit sonstigen magischen Fähigkeiten: Was können sie tun, um richtig gut in dem zu sein, was sie tun?
Holly Black: Die einzigen Ratschläge, die ich dir geben kann, sind die für Autoren. Das Schwierige daran, Bücher zu schreiben, Dämonen zu jagen und die Elemente zu beherrschen, ist , dass wahrscheinlich niemand anderes in deinem Umfeld das Gleiche tut. Du bist auf dich allein gestellt. Eventuell versteht auch deine Familie nicht, was du vorhast (lacht). Viele Leute raten dir, dass du an dich selbst glauben musst. Aber es ist okay, wenn du Zweifel hast. Du darfst nur dein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Und du musst einfach weitermachen, mit dem, was du tust. Dann solltest du vielleicht auch jemand anderen finden, der auch die Elemente beherrschen möchte (lacht) oder Bücher schreiben oder Dämonen bekämpfen. So kannst du nämlich konstruktive Kritik üben (kann sich vor Lachen kaum noch halten).
Cassandra Clare: Stimmt genau. Ich würde sagen, dass du dich auf deine Freunde verlassen musst. Und die Botschaft von „City of Bones“ und „Magisterium“ ist die Gleiche: Es geht um Freundschaft und Treue. Niemand, in beiden Buchreihen, könnte seine Ziele ohne seine Freunde erreichen. Also vertraue auf deine Freunde.
BS: Stichwort Freundschaft: Wie hat Ihre Zusammenarbeit an „Magisterium“ funktioniert?
Holly Black: Wir haben eine spezielle Technik. Die haben wir auch unserem Verleger David Levithan erklärt. Der hat selbst an einigen Büchern wie z. B. „Will Grayson, Will Grayson“ oder „Nick und Nora – Soundtrack einer Nacht“ (mit John Green bzw. Rachel Cohen, Anm. d. Red.) mitgearbeitet. Als wir ihm unsere Technik erläuterten, erklärte er uns für verrückt. Er sagte: „Das könnte ich nicht tun, ich hätte John umgebracht und Rachel hätte mich umgebracht.“
Wir machen es so: Eine von uns beiden setzt sich hin, schreibt zwischen 200 und 500 Wörtern und reicht den Computer dann an die andere weiter. Die überschreibt dann diese Wörter, überarbeitet sie also. Dann fügt sie neue 200 bis 500 Wörter hinzu usw. Das machen wir immer, wenn wir irgendwo hängenbleiben oder wenn wir einen Teil abschließen. Ich hoffe, dass wir auf diese Art dem Buch eine Stimme gegeben haben, die weder Cassies noch meine Stimme ist, sondern Calls Stimme.
Cassandra Clare: Viele coproduzierte Romane, z. B. „Will Grayson, Will Grayson“, erzählen die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Jeder Autor übernimmt also einen anderen Blickwinkel. Aber das wollten wir nicht. Denn die Geschichte in „Magisterium“ verlangte es, dass alles aus Calls Sicht erzählt wird. Niemand darf mehr wissen als Call. Wir hoffen also, Call durch das gegenseitige Ergänzen unserer Texte seine eigene, einzigartige Stimme zu geben.
BS: Es gab also keinen Streit zwischen Ihnen?
Holly Black: Das würde ich nicht sagen, nein.
Cassandra: Wir streiten uns. Die Leute fragen uns aber immer, ob wir über die wirklich großen Dinge streiten, wie z. B., ob eine Figur stirbt oder ob zwei Charaktere sich verlieben. Darüber streiten wir uns allerdings nicht. Stattdessen streiten wir uns über sehr kleine Dinge: Es ging einmal um die Szene, in der Erin zum ersten Mal Calls Magie benutzt. Danach kommen Lehrer dazu und ich wollte, dass sie ein bisschen reden, bevor die Lehrer kommen. Holly wollte das nicht. Also haben wir uns gestritten, sogar so sehr, dass unsere Freundin Sarah in Tränen ausgebrochen und rausgegangen ist. Als sie eine halbe Stunde später wiederkam, hatten wir uns aber wieder vertragen.
Ich denke, solange man sich produktiv streitet, ist das okay. Meistens endet es auch damit, dass weder Holly noch ich gewinnen, sondern wir einen Kompromiss finden.
Holly Black: Der Grund für diesen Streit war wahrscheinlich, dass wir beide das schreiben wollten, was wir sonst auch geschrieben hätten. Jetzt mussten wir uns aber dem anderen anpassen. In diesem Fall gab es übrigens keinen Kompromiss.
Cassandra Clare: Nein, in diesem Streit ausnahmsweise nicht. Den habe ich gewonnen (beide lachen).
BS: Wissen Sie schon etwas über eine Verfilmung von „Magisterium – Der Weg ins Labyrinth“?
Holly Black: Ja, es wurde von Constantin Film in Betracht gezogen. Und wir haben schon ein Drehbuch geschrieben, aber das müssen wir noch einmal überarbeiten. Danach wird es hoffentlich weitergehen. Filmoptionen sind aber natürlich keine Versprechen.
Cassandra Clare: Letztens war ich in Los Angeles und habe da auch mit Constantin über das Drehbuch geredet. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem sie nach einem Regisseur suchen werden. Hoffentlich will jemand diesen Job.
BS: Gibt es Neuigkeiten zu dem zweiten Film von „City of Bones“?
Cassandra Clare: Ja, es gab die Ankündigung, dass der zweite Teil nicht als Film, sondern als Serie verfilmt werden soll. Das war auch der Grund, weshalb ich in Los Angeles war. Denn sie arbeiten jetzt gerade daran und ich wollte mit dem Showrunner (Verantwortlicher fürs Tagesgeschäft einer Serienproduktion, Anm. d. Red.) sprechen. Das mit der Serie ist interessant, weil es bedeutet, dass sie wieder von vorne anfangen müssen.
BS: Sie werden also nicht die gleichen Schauspieler einsetzten.
Cassandra Clare: Ich wäre überrascht, wenn sie das täten. Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Aber Filmschauspieler wollen oftmals nicht ins Fernsehgeschäft wechseln, weil die Projekte viel länger dauern. Das nimmt mindestens neun Monate deines Jahres in Anspruch, sodass du nebenbei keine Filme drehen kannst. Es wird also sehr auf die einzelnen Schauspieler und ihre individuellen Pläne ankommen.
Da aber die Schauspieler aus dem Film sehr beliebt waren, wäre ich froh, wenn sie wieder dabei wären.
BS: Wenn Sie sich für die „Magisterium“-Verfilmung Ihre Traum-Schauspieler, Ihre Traum-Besetzung auswählen dürften, wer wäre das?
Holly Black: Die Figuren sind so jung. Die Frage ist also schwierig, weil es nicht so viele Schauspieler in dem Alter gibt, aus denen man auswählen könnte.
Cassandra Clare: Oder zumindest keine, die wir kennen. Wir gucken den Disney Channel schließlich nicht so oft (lacht). Aber wenn junge Schauspieler gecastet werden, finde ich es besser, wenn völlig Unbekannte genommen werden. Dann kann der gespielte Charakter sozusagen auf den unbekannten Schauspieler geprägt werden.
BS: Wie z. B. bei den Schauspielern von Harry Potter.
Cassandra Clare: Ja, genau! Es gab einfach keine elf- oder zwölfjährigen Schauspieler. Also mussten sie nach jungen Menschen suchen, die entsprechend aussahen oder das Passende ausstrahlten.
Holly Black: Und das ist auch gut so, denn so hat man eine größere Auswahl an Leuten, die man sich angucken kann.
BS: Mit Holly haben wir vorhin schon über das Atlantik Hotel geredet. Wie gefällt es Ihnen?
Cassandra Clare: Es ist riesig. Ich glaube, es könnte hier spuken. Jedes Mal, wenn ich in mein Zimmer komme, ist mein Fenster offen – obwohl ich weiß, dass ich es geschlossen habe. Ist es ein altes Hotel?
BS: Ja, es ist sehr alt.
Cassandra Clare: Sehr alt? Ich finde es schön. Wir waren vorher in Antwerpen. Da waren wir in einem kleinen, sehr schicken und modernen Hotel. Und jetzt sind wir hier und alles ist alt und wunderschön. Es ist interessant, den Unterschied zu sehen. Holly meinte auch: „Dieses Hotel ist extravagant! Es ist so riesig.“
Holly Black: Es ist riesig und ich habe einen Schlüssel.
Cassandra Clare: Ja, und zwar einen wirklichen Schlüssel. Normalerweise gibt es immer diese Plastikkarten, die hasse ich.
Holly Black: Mir gefällt es hier.
BS: Nehmen Sie sich manchmal auch die kleinen Shampoo-Flaschen aus den Hotelzimmern mit?
Cassandra Clare: Ja, ich nehme immer Shampoo und Conditioner mit. Denn meine Großmutter ist während der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre aufgewachsen. Also hatte sie die Angewohnheit, alles mitzunehmen, was gratis war. Immer, wenn wir in ein Hotel gegangen sind, hat sie Shampoo, Conditioner, Zahnbürsten und alles andere mitgenommen. Als sie gestorben ist, haben wir tausende Shampoo-Flaschen aus Hotels wiedergefunden. Das hat mich sehr beeindruckt.
Holly Black: Und du dachtest dir, dass du eines Tages auch mal so eine Sammlung haben willst?
Cassandra Clare: Ich kann einfach nicht daran vorbeigehen. Ich sehe diese Shampoo-Flasche und denke: „Sie ist gratis, ich muss sie mitnehmen.“
Holly Black: Ich nehme es nur mit, wenn ich es wirklich mag.
Cassandra Clare: Wie verschieden wir doch sind (lacht).
BS: Wann haben Sie zuletzt einen Brief auf Papier geschrieben?
Cassandra Clare: Das ist eine gute Frage.
Holly Black: Ich habe gerade, bevor ich abgereist bin, zehn Briefe für mein neues Buch per Hand geschrieben. Dann habe ich sie schnell um fünf Uhr morgens in einen Umschlag gepackt – kurz, bevor der Flieger ging.
Cassandra Clare: Normalerweise schreibe ich nicht auf Papier. Aber mein letzter Brief, den ich so geschrieben habe, ging an meinen Verleger in Brasilien, um ihm dafür zu danken, mich nach Brasilien gebracht zu haben. So etwas per Hand zu schreiben, ist einfach schöner.
BS: Schreiben Sie gerne Postkarten?
Cassandra Clare: Ich schreibe wirklich sehr gerne Postkarten. Aber wenn wir touren, haben wir dafür kaum Zeit. Als ich ein Kind war, habe ich meinem Großvater jedes Mal eine Postkarte aus dem Urlaub geschrieben. Nach seinem Tod habe ich diese Schachtel gefunden, in der nur Postkarten von mir drin waren, die ich von überall her gesendet hatte: Aus Indien, Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, Großbritannien, Kanada, von überall.
Es ist zwar auch schön, eine Mail zu bekommen, aber es schafft nicht die gleichen Erinnerungen.
Holly Black: Es ist lange her, dass ich eine Postkarte geschrieben habe. Aber als ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war, ging ich in ein Kunst-Ferienlager. Mit den Leuten, die ich da getroffen habe, bin ich über Briefe und Pakete in Kontakt geblieben. Wir haben wirklich seltsame Dinge versendet, wie Bagels und Pop Tarts mit Schrift darauf. Versehen mit einer Briefmarke wurde das dann versendet. Man kann wirklich komische Dinge mit der amerikanischen Post verschicken.
Cassandra Clare: Nicht überall.
Holly Black: Nicht mal mehr in den USA. Aber damals haben wir sehr viele seltsame Dinge versendet.
BS: Jetzt unsere traditionelle letzte Frage: Was verbinden Sie mit einer blauen Seite?
Cassandra Clare: Ich assoziiere das mit dem College.
Holly Black: Ja, das „Blaue Buch“. Darin haben wir unsere Tests geschrieben.
Cassandra Clare: Das betraf die Fächer Geschichte und Englisch. Wenn wir in diesen Fächern einen Test schreiben sollten, dann mussten wir den ins „Blaue Buch“ schreiben. Jetzt, da bin ich mir fast sicher, schreiben sie das an Computern. Aber wir waren vielleicht die letzte Generation, die so etwas tatsächlich noch auf Papier geschrieben hat.
BS: Ist das eine schöne Erinnerung?
Cassandra Clare: Ja! Ich mochte das College.
BS: Dann wünschen wir Ihnen noch einen schönen Aufenthalt. Es war schön, Sie beide kennenzulernen. Vielen Dank!
Holly Black: Ja, wir danken euch für das Interview.
Cassandra Clare: Das hat echt Spaß gemacht!
Holly Black: Es war schön, euch kennenzulernen.