Interview mit Ellen Hopkins
Blaue Seite: Sie waren für den Jugendliteraturpreis mit Cranknominiert. Wie fühlt es sich an, dabei gewesen zu sein?
Ellen Hopkins: Es ist vergleichbar mit den großen Preisverleihungen in den Vereinigten Staaten. Im Finale gewesen zu sein fühlt sich so an, als ob man gewonnen hat, selbst wenn dem nicht so ist. Es ist etwas Besonderes, gerade dadurch, dass ich nicht in meinem eigenen Land nominiert wurde. Auch die Möglichkeit nach Frankfurt auf die Buchmesse zu kommen, ist sehr aufregend für mich.
BS: Waren Sie vorher schon einmal in Deutschland?
Ellen Hopkins: Nein. Ich werde im Frühling zurückkommen, weil ich an der internationalen Schule in Brüssel einen Vortrag halten werde. Dann nehme ich meinen Mann und meinen 15-jährigen Sohn mit.
BS: Die Geschichte von Crank basiert auf persönlichen Fakten aus dem Leben Ihrer Tochter. Hat sie es gelesen?
Ellen Hopkins: Sie hat es gelesen. Es gibt ja drei Bücher, da es eine Trilogie ist. Für das Zweite hat sie mir die Story stärker vorgegeben, aber als ich am ersten Buch, Crank, gearbeitet habe, befand sie sich gerade im Gefängnis. Es war für mich eine Möglichkeit zu erfahren, was mit ihr passiert ist, denn ich habe mir sehr viele Sorgen gemacht. Und dies wollte ich meinen Lesern vermitteln. Ich wollte unbedingt Leuten, die noch nicht damit in Kontakt gekommen sind, zeigen, dass eine Sucht viele Leben beeinflusst, nicht nur das des direkt Betroffenen. Ich habe dadurch viel gelernt und ich glaube, dass meine Leser das auch getan haben.
BS: Was denkt Ihre Tochter über die Bücher?
Ellen Hopkins: Sie hat sich damit arrangiert. Das ist auch der Grund, warum sie mir für das zweite Buch sehr viel von ihrer Geschichte erzählt hat. Über das erste Buch ist sie nicht gerade erfreut gewesen. Aber das hatte ich zunächst auch nicht geschrieben, um es zu veröffentlichen, sondern für mich persönlich.
BS: Hat sich Ihre Einstellung zum Thema Drogen geändert, nachdem Sie das Buch geschrieben haben?
Ellen Hopkins: – Ich kam zu der Erkenntnis, dass nicht sie diese … (Pause) nun meine Tochter hat ein paar wirklich nicht sehr schöne Sachen gemacht -, aber ich habe erkannt, dass die Droge dafür verantwortlich gewesen ist und nicht sie. Das war eine große Hilfe und es wurde dadurch auch viel leichter für mich, ihr zu verzeihen.
BS: Haben Sie selbst Erfahrungen mit Drogen gemacht?
Ellen Hopkins: Als ich zur Schule ging gab es Drogen, aber nicht diese. Also … nein. Ich meine, es gibt andere Sachen, die ich ausprobiert habe, aber da war nichts, was mir wirklich gefallen hat.
BS: Denken Sie, dass es heutzutage viele Jugendbücher gibt, die dieses Thema behandeln?
Ellen Hopkins: Es gibt ein paar. Die meisten sind eher biographisch als fiktiv erzählt. Und die Fiktiven … ehrlich? Also, ich glaube, dass viele von den Autoren selbst keine Erfahrungen mit den Auswirkungen von Drogen haben, und deswegen sind ihre Geschichten nicht gerade authentisch. Die wenigen Bücher zu finden, die das wirklich sind, ist sehr schwer.
BS: Würden Sie sagen, dass jeder eine zweite Chance verdient hat?
Ellen Hopkins: Natürlich. Zuerst muss man jedoch wissen, dass die Droge, um die es in Crank geht, wirklich sehr süchtig macht. Es braucht fast zwei Jahre, nur um sie wieder vollständig aus dem Körper zu entfernen, wenn man ihr so verfallen ist, wie es meine Tochter war. Man muss es wirklich richtig wollen, wieder clean zu werden! Und diese Droge gibt es auch im Gefängnis. Man kann dort irgendwie an sie herankommen, wenn man nur will. Meine Tochter lebt zurzeit über 800 Kilometer entfernt, aber ich bin ihr näher als zuvor. Manche dieser Dinge, die man wieder aufbauen muss, dauern sehr lange. Da gibt es dieses Baby am Ende des Buches, das wir adoptiert haben, also meinen Sohn. Es fällt ihm sehr schwer eine Beziehung zu meiner Tochter aufzubauen, da er sich von ihr verlassen fühlt. Wir arbeiten daran unsere Familie wieder zusammenzuführen, als eine wirkliche Familie und nicht nur als eine Gemeinschaft. Auch ihrer Schwester fiel es sehr schwer ihr zu verzeihen. Es ist wirklich hart.
BS: Also dient das Buch als Warnung vor Drogen oder dazu Abhängige besser zu verstehen?
Ellen Hopkins: Beides. Meine Tochter war wirklich ein Kind, von dem man dies alles niemals erwartet hätte. Sie war eine gute Schülerin und sie war wunderschön. Sie hätte große Ziele in ihrem Leben haben können.
Ich möchte jüngere Leser dazu bringen sich ihrer Möglichkeiten bewusst zu werden. Ich habe acht Bücher geschrieben, die sich alle mit dem Thema „Entscheidungen“ beschäftigen. Man kann sich entscheiden, ob man Drogen ausprobiert oder nicht. Wenn man diese Informationen hat, versteht man vielleicht, dass es etwas ist, was man gar nicht will. Und hoffentlich kann ich meine Leser davon abbringen. Es ist eine Droge, die viele Generationen bis heute beeinflusst hat. So viele haben ihre Eltern an dieser Sucht verloren und ich möchte ihnen sagen, dass es nicht ihre Schuld war – Eure Eltern sind nicht euretwegen gestorben, es war die Droge, die sie euch weggenommen hat! Das ist wichtig. Und das zweite Buch befasst sich auch genau damit, denn es ist aus der Sicht des Kindes als Teenager geschrieben.
BS: Die Buchreihe um Crank ist sehr persönlich. Wie viel aus Ihrem Alltag verwenden sie normalerweise für Ihre Bücher?
Ellen Hopkins: Nicht unbedingt so viel von mir. Eher von Familienmitgliedern, Freunden und mittlerweile auch von meinen Lesern. Viele meiner Leser teilen mit mir ihre Geschichte. Ich will sie nicht aufschreiben, denn vielleicht wollen sie es ja eines Tages selber machen, aber ich habe mit einigen betroffenen Familien korrespondiert, damit meine Bücher noch informativer werden.
BS: Ist es für Sie persönlich schwierig gewesen in der Versform zu schreiben?
Ellen Hopkins: Sehr schwer. Ich weiß nicht, wie das Buch in der deutschen Übersetzung klingt, weil ich kein Deutsch spreche. Ich habe mit dem Übersetzer gesprochen und er hatte Schwierigkeiten damit, denn deutsche Formulierungen neigen dazu, länger zu sein als englische. Deshalb musste er selbst sorgfältig geeignete Wörter finden, um die Form so getreu wie möglich zu übertragen. Es war für ihn also eine genauso große Herausforderung wie für mich.
BS: Denken Sie also, dass es besser wäre, Bücher in der Originalsprache zu lesen?
Ellen Hopkins: Ich bin mir sicher, dass es mit einem guten Übersetzer möglich ist, genau dasselbe auch in einer anderen Sprache zu vermitteln. Meine Lektorin hatte jemanden für die Übersetzung und jemanden, der den Text noch einmal gelesen hat, und ich denke auch deswegen ist die Übersetzung ins Deutsche sehr gelungen.
BS: Wir fanden es sehr beeindruckend, dass die Worte am Anfang oder Ende der Zeilen untereinander gelesen ebenfalls Sätze ergaben. Wie sind Sie darauf gekommen?
Das ist sozusagen mein Markenzeichen, das ich selbst entwickelt habe. Es ist etwas, was man in allen meinen Büchern finden kann. Sobald meine Leser dahinter kommen, was ich dadurch vermitteln möchte, beginnen sie, diese Arbeit zu schätzen. In meinem Buch Identical geht es um Zwillinge und jedes Mal, wenn ich zwischen den beiden Mädchen gewechselt habe, haben diese kleinen Gedichte des einen, die des anderen gespiegelt, während sich die großen Gedichte sehr voneinander unterschieden. Ihre Erfahrungen waren also andere, trotz ihrer Ähnlichkeiten.
BS: Das hört sich sehr kompliziert an.
Ellen Hopkins: Das war es auch. Während des Schreibens habe ich mich immer gefragt: „Warum tue ich das? Ich weiß es nicht!“ (lacht)
BS: Wie in Crank können Freunde einen sehr beeinflussen. Was bedeutet Freundschaft für Sie?
Ellen Hopkins: Alle meine Freunde sind Autoren, was wirklich großartig ist, denn wir sind alle oft zuhause und sitzen vor unseren Computern und durch den gemeinsamen Beruf können wir uns gegenseitig sehr gut verstehen. Und wenn ich mal ein Problem habe, rufe ich sie einfach an. Ich habe fabelhafte Freunde! Ohne sie wäre mein Leben echt sehr düster!
BS: Kristina bekommt ein Tattoo im Buch. Sind Sie selbst tätowiert?
Ellen Hopkins: (lacht) Ich bin ein totaler Angsthase! Die Ohrringe waren schon schlimm genug! Piercings, Tattoos … Ich habe viele Freunde, die das machen, aber ich … na ja. (lacht) Aber ich kenne auch ein paar Leser, die sich einige meiner Worte haben tätowieren lassen, also meine Verse. Und ich kenne mindestens ein Dutzend Leser, die sich den letzten Satz von „Impulse“, nämlich „a perfect paper airplane“ tätowieren ließen. Ich habe keine Tattoos – Meine Worte werden tätowiert!
BS: Ohne Alkohol kein Spaß, das denken viele Jugendliche heutzutage. Wie war es in Ihrer Generation?
Ellen Hopkins: Ich denke, es war damals genauso. Ich persönlich mochte keinen Alkohol. Ich war also kein großer Biertrinker. Allerdings war es ein wichtiges Thema in der Schule. Wenn man es kontrollieren kann – auch ich trinke ab und zu ein Glas Wein, auch zwei oder drei wenn ich mit Freunden unterwegs bin – ist es okay. Es ist nur … es gibt einen neuen Trend, der sich „Komasaufen“ nennt, bei dem man das Trinken wirklich übertreibt und das ist ein großes Problem. Denn dadurch entstehen große Konflikte, besonders für Mädchen mit Jungs oder so. Auch allein, wenn man betrunken fährt. Genau dieses „Komasaufen“ ist es, was man versuchen sollte zu vermeiden, und nicht den Alkohol.
BS: Also denken Sie nicht, dass Alkohol wie Drogen verboten werden sollten?
Ellen Hopkins: Ich habe viel darüber nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass Drogen legalisiert werden sollten. Ich denke nicht, dass die Leute davon abgehalten werden etwas zu nehmen, indem man es ihnen verbietet. Informationen und Aufklärung würden viel mehr bewirken. Diese ganzen Probleme mit Mexiko und dem Drogenschmuggel und der Kriminalität würde es nicht mehr geben, wenn Drogen legalisiert würden. Die Regierung könnte genauso wie mit Alkohol verfahren und dafür Steuern erheben.
BS: Was ist Ihre radikalste politisch-gesellschaftliche Einstellung?
Ellen Hopkins: Ich bin sehr liberal eingestellt und total für persönliche Freiheit und Wahlen! Und für mich repräsentiert genau das die demokratische, also die liberale Partei. Ich bin auch für homosexuelle Ehen – Wieso sollte die Regierung entscheiden können, wen wir heiraten und wen nicht? Meiner Meinung nach ist das sehr wichtig und ich rede auch viel darüber.
BS: Gibt es etwas, was Sie Ihren Lesern gerne sagen möchten?
Ellen Hopkins: Durch die Verse leben die Bücher mehr als durch die Geschichte, die sie erzählen. Und ich wünsche mir, dass die Leser in Deutschland nicht das Buch sehen und denken: „Uurgh, das sind ja Gedichte!“ wenn sie das Buch nehmen, sondern dass sie sich einmal versuchsweise darauf einlassen.
BS: Diese Frage bezieht sich nicht auf das Buch: Nennen Sie eine Sache, die Sie hassen, aber andere lieben.
Ellen Hopkins: Hm. Wow, das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, aber ich hasse alle Arten von Vorurteilen. Davon gibt es einige, besonders momentan in den Vereinigten Staaten, wo der Rassismus sehr stark aufkommt. Und ich verabscheue Rassismus. Ich hasse es, dass manche Leute ihre Religion für jemand anderen aufgeben. Wir sind alle Menschen und wir haben einen Schöpfer, einen Gott, und deswegen hasse ich auch diese Spaltung – besonders in meinem Land! Ich weiß nicht, ob ich in diesem Punkt auch für Deutschland sprechen kann … .
BS: Beenden Sie bitte diesen Satz: „Total glücklich bin ich, wenn …“
Ellen Hopkins: … ich zuhause bin. Ich reise sehr viel – über ein Drittel des Jahres – zu Festivals, Leseveranstaltungen und so. Es ist wirklich großartig hier zu sein, aber ich liebe es zuhause und mit meiner Familie und meinen Hunden zusammen zu sein. Die sind dann immer so nach dem Motto „Wer bist du nochmal?“. (lacht)
BS: Wie viele Hunde haben Sie?
Ellen Hopkins: Zwei Deutsche Schäferhunde.
BS: Und reisen Sie am meisten in Amerika? Oder auch in Europa?
Ellen Hopkins: Ich war ein paar Mal in Australien, dann in Italien und jetzt bin ich hier und werde im Frühling wieder zurückkommen. Es ist also sehr international und es macht auch viel Spaß!
BS: Als begeisterte Autorin sind Sie sicherlich auch eine leidenschaftliche Leserin. Wie viele Bücher haben Sie zuhause?
Ellen Hopkins: Oh Gott. Tausend vielleicht? Ich habe sie über Jahre hinweg gesammelt.
BS: Bevorzugen Sie ein bestimmtes Genre?
Ellen Hopkins: Ich liebe Horror, wie zum Beispiel Stephen King. Zurzeit lese ich jedoch sehr viele Jugendbücher, aber ich bin kein großer Fantasyfan. Ich habe ein paar solcher Bücher gelesen, meistens weil sie von befreundeten Autoren geschrieben sind, aber es ist nicht mein Lieblingsgenre. Ich lese lieber die Art von Büchern, die ich selbst schreibe.
BS: Was lesen Sie zurzeit?
Ellen Hopkins: „Still Missing – Kein Entkommen“ von Chevy Stevens.
BS: Was hat für Sie eine blaue Seite?
Ellen Hopkins: Begeisterungsfähigkeit. Und etwas Willkommenes.