Interview

Interview mit Kathy A. Nuzum

Am 15. Oktober 2011 traf Kerrin Maria Kiesbye die amerikanische  Autorin Kathy A. Nuzum. Ihr Buch „Hundewinter“ war für den Deutschen  Jugendliteraturpreis 2011 in der Sparte Kinderbuch nominiert, hat den  Preis jedoch leider nicht gewonnen.

BS: Mir ist aufgefallen, dass Dessa Deans Vater sie immer mit  vollem Namen ruft, also Dessa Dean. Hat das einen bestimmten Grund?

K.A. Nuzum: Das ist so Brauch in bestimmten Teilen Nordamerikas. Es  war noch viel gebräuchlicher um 1930, während der Großen Depression.  Damals wurden die Menschen immer bei ihrem vollen Namen gerufen.

BS: Hatten Sie reale Vorbilder für Ihre Charaktere oder für das Leben, das sie leben?

K.A. Nuzum: Nein, keine speziellen Leute. Aber ich habe viel Zeit auf  einer Ranch im Süden Colorados verbracht. Sie gehört Freunden, die  mittlerweile ungefähr 80 Jahre alt sind. Sie haben mir viel darüber  erzählt, wie es während der Zeit der Großen Depression war. Manchmal  weckt eine Geschichte aus ihrem Leben mein Interesse. Dann nehme ich ein  wenig von dieser wahren Geschichte und flechte sie in meine Geschichte  ein.

BS: Sind diese Freunde Ihre Inspiration?

K.A. Nuzum: Nein, nicht wirklich. Aber der Hund ist ein echter! Wir  haben eine schoko-karamellfarbenen Hündin, ihr Name ist „Moot“ [das wird  ausgesprochen wie Muht, Anm. d. Übersetzerin]. Sie hat mich auf meinen  Ausflügen immer begleitet. Zweimal im Jahr habe ich meine Freunde auf  der Ranch besucht. Meine Kinder waren damals noch sehr klein und haben  viel geweint, dort auf der Ranch konnte ich mich erholen und in Ruhe  schreiben. Auf der Fahrt hat Moot sich im Mini-Van immer in den Spalt  zwischen den Sitzen auf den Boden gelegt. Die Fahrt hat ungefähr sechs  Stunden gedauert. Nach etwa einer Stunde fing sie jedes Mal an, sich  gegen mich zu lehnen und dort in genau derselben Position für die  restlichen fünf Stunden zu verharren.
Ich glaube, sie hatte immer etwas Heimweh und fühlte sich allein. Das Anlehnen hat ihr dabei geholfen, sich zu entspannen.
Der Hund, der sich immer an Dessa Dean’s Bett lehnt, basiert auf meiner Hündin Moot.

BS: Haben Sie zu einem Ihrer Tiere eine so enge Beziehung wie Dessa Dean zu ihrem Hund?

K.A. Nuzum: Wir haben zwei Pferde, ein Schwein, einen ganzen Stall  voller Hühner, fünf Hunde und drei Katzen. Wir leben auf einer kleinen  Farm, etwa 5 Morgen groß. Wir haben den ganzen Platz quasi mit Tieren  aufgefüllt. Ich habe eine sehr enge Bindung zu meinen Hunden. Manchmal  sogar zu eng, wenn ich sie in mein Bett lasse.

BS: Weshalb ist der Hund, der Dessa Dean zuläuft, im Englischen weiblich und im Deutschen männlich?

K.A. Nuzum: Ich glaube, ich kann das erklären. Dieser Punkt wurde  gestern während einer Podiumsdiskussion mit einigen Übersetzern  aufgebracht. Im Deutschen ist das Wort Hund maskulin. Es gibt einfach  keinen Weg, das zu umgehen.
Für die Übersetzer gab es keine Möglichkeit, die Dialoge so zu übersetzen, dass der Hund eine weibliche Figur darstellt.
Es ist im Prinzip das Geschlechtsproblem. Im Deutschen wird da stark  differenziert. So etwas gibt es im Englischen nicht, dort ist alles  geschlechtsneutral. Wenn man „bear“ sagt, ist diese Bezeichnung weder  maskulin noch feminin.
Ein anderer Übersetzer sagte, dass es auch in Bezug auf Dessa Dean’s von  männlichen Figuren beherrschte Welt interessant sei, weil der Hund dem  Ganzen eine weibliche Perspektive gibt. Dessa Dean hat dadurch eine  weibliche Bezugsfigur. Dieser Übersetzungsunterschied rührt von den  Sprachunterschieden her.

BS: Wen oder was würden Sie gern bei sich haben, wenn Sie ein Leben wie Dessa Dean führen müssten?

K.A. Nuzum:  Moot. Ich würde meinen Hund mitnehmen. Und ich würde  meinen Mann mitnehmen. Das wäre das Sicherste. Obwohl es nervig werden  könnte. (lacht) Aber er könnte das Holz hacken. Und er hat einen sehr  guten Orientierungssinn, deswegen würde er in einem Schneesturm nach  Hause finden. Ich wäre verloren! Es könnte anstrengend werden, aber ich  würde meinen Mann auch mitnehmen.

BS: Haben Sie schon einmal eine Begegnung mit einem echten Bären gehabt?

K.A. Nuzum: Nur im Zoo. Aber einige der Bärengeschichte stammen von  meinem Freund von der Ranch in Colorado. Die Ranch liegt in einer sehr  bewaldeten, bergigen Gegend, sodass es dort zahlreiche Bären gibt. Die  sind aber bei weitem nicht so aggressiv wie etwa Grizzlybären in Alaska.  Das sind sehr aggressive und gemeine Kreaturen. Braunbären und  Schwarzbären sind meist sehr zurückgezogen und meiden den Kontakt mit  Menschen. Mir wurden schon Millionen Geschichten über Bären erzählt, die  in Häuser einbrechen und alles aufessen – aber ob die wahr sind, kann  man nie genau sagen.

BS: Wie haben Sie es geschafft, die Rückblenden so realistisch zu schreiben?

K.A. Nuzum: Ich habe viel über Panik- und Angstattacken recherchiert.  Es waren hauptsächlich die Recherche und meine Vorstellungskraft, die  mir geholfen haben, diese Szenen zu schreiben. Ich habe auch viel mit  einem guten Freund gesprochen, der Diabetes hat. Über die Jahre habe ich  gesehen, wie er auf Insulin reagiert hat und wie es ihm ging, wenn er  nicht genug oder das Falsche gegessen hatte. Ein schneller Anstieg des  Blutzuckers kann einen Menschen sehr schnell umbringen. Dadurch wusste  ich etwas über Diabetes und Panik- und Angstattacken. Den Rest hat meine  Fantasie übernommen.
Und natürlich gibt es in Colorado auch Schneestürme. Das Gefühl kenne ich von mir selbst! 

BS: Weshalb ist die Geschichte so traurig und ernst?

K.A. Nuzum: Ich weiß es nicht, ich glaube das ist einfach der  traurige, ernste Teil in mir. Ich würde liebend gern witzige Bücher  schreiben. Aber wenn ich das mache und sie meiner Agentin schicke,  gefallen sie ihr nicht. Sie mag es, wenn ich grausam bin! (lacht)
Es gibt eine merkwürdige Regel, die besagt, dass Kinderbücher von  Kindern handeln müssen, die von den Erwachsenen in ihrem Leben emotional  abgeschottet sind. Sie müssen entweder tot oder gefühlsmäßig weit weg  von ihnen sein. Ich benutze die Spannung, die von einem solchen Kind  ausgeht, all ihre Sorgen, ihre Einsamkeit, die Tatsache, dass sie vieles  allein bewältigen müssen, um es spannend zu machen. Ich glaube, Kindern  kann es Schwierigkeiten bereiten, mit dem Buch klarzukommen. Es ist  eine sehr tragische Geschichte. Ich kann nicht genau sagen, warum. Ich  hab einfach ein Stück Papier genommen und angefangen, zu schreiben – das  hier ist das, was dabei rausgekommen ist! (lacht)
Während des Winters, als ich wieder einmal auf der Farm meiner Freunde  war, lag ich eingekuschelt unter vielen Decken in meinem Bett. Das Haus  hat keine Heizung, aber ich hatte meine elektrische Heizdecke auf der  höchsten Stufe.
Ich lag unter meinen tausend Decken und Moot lag neben mir auf dem Boden  und hatte sich an mein Bett gelehnt. Fünf Stunden später wachte ich auf  und es hatte begonnen zu schneien. Vielleicht habe ich an diesem  kalten, grauen Wintertag angefangen, diese traurige Geschichte zu  schreiben. Als ich aus dem Fenster guckte und die Schneeflocken  betrachtete.

BS: Wie gefällt Ihnen der deutsche Titel?

K.A. Nuzum: Ich mag ihn sehr. Wirklich sehr. Ein Teil davon ist  einfach nur der Klang. Hundewinter. Er erzählt ein kleines bisschen  davon, worum es in dem Buch geht. Ich bin sehr zufrieden damit. Meine  Lektorin von Carlsen hatte die Idee. Ich wurde nicht mit in die  Entscheidung einbezogen, aber ich habe mich sehr gefreut, als sie mir  davon erzählte.

BS: Können Sie Einfluss auf die Übersetzung des Titels nehmen?

K.A. Nuzum: Ich denke, wenn er mir absolut nicht gefallen hätte,  hätte ich ihn kritisieren können und er wäre geändert worden. Aber  normalerweise entscheidet das der Verlag, er ist verantwortlich für den  Titel und das Cover. Sie haben einen sehr viel besseren Überblick, wie  der Büchermarkt gerade aussieht und welcher Titel bzw. welches Cover der  Altersgruppe am besten gefallen würde. Ich vertraue ihnen da.

BS: Gefällt Ihnen denn das deutsche Cover?

K.A. Nuzum: Ich liebe es! Besonders der Hund gefällt mir sehr. Das  Titelbild gefällt mir am besten. Es zeigt einen kleinen Teil der  Geschichte. Das ist großartig!

BS: Haben Sie besondere Rituale während Sie schreiben oder einen Lieblingsplatz in Ihrem Haus?

K.A. Nuzum: Ja, eine lange Zeit habe ich mir meinen Laptop genommen,  mich mit meinen Hunden und Katzen auf mein Bett gesetzt und dort meine  Geschichten geschrieben. Und während der Sommermonate, wenn alles im  Haus schlief und es ruhig war, habe ich mich mit meinem Laptop in einen  bequemen Sessel gesetzt und nachts ein paar Stunden geschrieben. Ich  wechsele immer zwischen den Ritualen.

BS: Sind Sie stolz darauf, dass Ihr Buch für den Jugendliteraturpreis nominiert wurde?

K.A. Nuzum: Alle waren gestern Abend nach der Preisverleihung besorgt.  Meine Lektoren und die Leute von Carlsen waren traurig, weil mein Buch  nicht gewonnen hat. Aber ich war überhaupt nicht traurig oder sauer.
Mein Mann und ich hatten hier einfach eine wundervolle Zeit. Wir sind  schon letzte Woche angekommen und sind privat ein bisschen  umhergefahren. Wir waren in Heidelberg und haben uns viele Museen und  Ausstellungen angesehen. Und jetzt sind wir hier in Frankfurt und hatten  eine wunderbare Reise. Ich wurde so geehrt und hatte eine tolle Zeit!

BS: Würden Sie sich freuen, wenn „A small white scar“, ein weiteres Kinderbuch von Ihnen, ins Deutsch übersetzt werden würde?

K.A. Nuzum: Ich würde das begrüßen, aber es ist unwahrscheinlich. Die  Geschichte ist sehr amerikanisch, sie dreht sich um Cowboys und Rodeo,  nicht gerade deutsche Dinge. Es ist zu amerikanisch, als dass es  deutsche Leser interessieren könnte.

BS: Was assoziieren Sie mit einer „Blauen Seite“? Was hat eine blaue Seite für Sie?

K.A. Nuzum: In Bezug auf die Farbe denke ich an die Blue Mountains.  Das ist ein Gebirge in Amerika. Emotional gesehen denke ich an den  Ausdruck „I feel blue“ [z. dt.: Ich fühle mich niedergeschlagen]. Ich  würde mich niedergeschlagen fühlen, wenn ich in einer Berghütte  feststecken würde, aber sicher nicht, wenn ich bei meinen Freunden und  meinen Tieren wäre.

BS: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben!

K.A. Nuzum: Es war mir eine Freude! 

RedakteurRedakteur: Kerrin
Titel von Nuzum, K.A.
22. Dezember 2011
von Kerrin
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