Interview mit Katja Brandis und Hans-Peter Ziemek
Interviewer: Mara Ostertag und Nina Vadersen
Wie sind Sie auf die Idee von Ruf Der Tiefe gekommen?
Ziemek: Es begann damit, dass ich im Jahr 2008 bei einer Tagung, bei der es um fantastische Literatur ging, einen Vortrag über die Geschichte der Science Fiction im Bezug auf das Thema Meer gehalten habe. Mein Fazit war, dass die tatsächliche Forschung manchmal viel fantastischer ist als das, was so in den Geschichten auftaucht. Nach diesem Vortrag sprach mich die Lektorin Julia Röhlig vom Beltz Verlag an und fragte nach Ideen für weitere oder andere Geschichten. Im Prinzip sind auf der Rückfahrt von der Tagung Leon und Lucy entstanden und die Idee fand der Verlag auch erstmal ganz spannend. Allerdings kam dann die ernüchternde Erkenntnis, dass ich eben kein Jugendbuchautor bin.
Brandis: Ja, und mich hat der Verlag auch angesprochen, ob ich nicht etwas für sie schreiben wolle zum Thema Meer. Ich habe ihnen auch eine Idee vorgeschlagen, aber sie haben dann entschieden, sie wollen doch lieber einen Naturwissenschaftler als Autor. Da ich eben Geisteswissenschaftlerin bin, hatte sich die Sache also erledigt. Doch dann hat die Lektorin uns gegenseitig die Adressen gegeben, und wir haben beschlossen, wir machen das einfach zusammen, und unsere Stärken ergänzen sich eigentlich ganz gut.
In welcher spielt Zeit spiel das Buch eigentlich genau?
Ziemek: Also, gedacht ist das Jahr 2018.
Brandis: Wir wollten nicht, dass es in einer ganz fernen Zukunft spielt, damit sich die Leser auch leichter mit dem, was die Figuren tun, identifizieren können. Deswegen haben wir die nahe Zukunft gewählt und uns überlegt, was alles passieren könnte. Damit die Leser wissen, was haben wir uns ausgedacht und was nicht, gibt es dieses Nachwort.
Und wie war die Zusammenarbeit? Haben Sie sich getroffen oder hat jeder einen Teil gemacht?
Brandis: Also, wir haben uns erstmal ganz viel per Mail ausgetauscht, über die Handlung, die Personen und wie die Handlung verlaufen könnte und so weiter. Es hat ein Jahr gedauert, bis wir das so weit stehen hatten. Wir haben uns natürlich auch getroffen und haben z.B. zusammen die Figuren gebrainstormt.
Ziemek: Es war dann noch notwendig, sehr viele Gespräche mit Experten zu führen. Erst einmal haben wir uns schlau gemacht, was die Fachliteratur und die Filme angeht, die es zu dem Thema gibt und dann mussten wir aber auch mit vielen Menschen reden, die sich im Bereich der Wissenschaft mit den Themen, die für das Buch wichtig sind, auskennen. Es gab auch Reisen zu den verschiedenen Orten, die wir teilweise gemeinsam, teilweise getrennt gemacht haben, um die Informationen zu bekommen.
Brandis: Genau, die Recherchen waren recht aufwendig, weil man sich erstmal in das Thema Tiefsee einarbeiten musste. Es war sehr spannend, so viele Wissenschaftler zu interviewen und dabei eine Menge Neues zu erfahren.
Ziemek: Dann ist der Punkt irgendwann gekommen, wo sich die Autorin zurückzieht.
Brandis: Ich habe dann einfach das Manuskript geschrieben.
Ziemek: Und erst nachdem dann das gesamte Manuskript stand und auch Katja damit zufrieden war, kam die Geschichte wieder zu mir. Wir hatten vorher viel darüber geredet, ich hatte mir auch selbst überlegt, was passiert mit diesen Figuren und plötzlich hat man dann die Geschichte in der Hand und das war ganz, ganz spannend. Daraus folgte dann noch mal wieder so ein Hin und Her per Mail und per Telefon. Dann wieder Rückmeldung von den Testlesern. Dann kam die Phase, in der die Lektorin ihre Meinung dazu sagen musste und das Ganze auch zusammen bringen musste, sodass es insgesamt eigentlich zwei Jahre gedauert hat, bis das Ganze fertig war.
Waren die zwei Jahre inklusive Schreib- und Recherchierzeit?
Brandis: Inklusive allem zwei Jahre. Die reine Schreibzeit war kürzer, das waren ungefähr zweieinhalb Monate.
Wie haben Sie recherchiert? Mit direkten Gesprächen oder auch mit dem Internet und Büchern?
Brandis: Wie Herr Ziemek schon erzählt hat, wir haben ganz viele Interviews geführt, auch persönlich vor Ort. Aber natürlich mussten wir auch immer wieder mal ins Internet. Z.B. habe ich nachgeguckt, wie denn der Seenotrettungskreuzer in einer bestimmten Gegend in Hawaii heißt. Durchs Netz bekommt man das schnell raus, früher hätte ich so etwas nur mit großem Aufwand recherchieren können. Deswegen ist das Internet einfach höllisch praktisch für solche Details, die man schnell braucht. Oder wie ist die Adresse von dem McDonald´s in Hilo oder so was. Das sind alles Details, die machen die Geschichte glaubwürdig. Aber generell haben wir uns schon eher aus Sachbüchern, Dokumentarfilmen und aus Interviews mit Wissenschaftlern informiert.
Ziemek: Es tauchen in dem Buch Ruf der Tiefe auch Personen auf, die es wirklich gibt. Zum Beispiel Colin Devey vom Meeresforschungsinstitut IFM-GEOMAR, einem unserer Interviewpartner. Er ist einer der bekanntesten Vulkanologen, den es derzeit weltweit gibt, und außerdem hat er uns auch als Person sehr fasziniert. Devey war selbst schon mit dem Tauchboot in ein paar tausend Metern Tiefe und kann darüber auch ganz toll erzählen.
Brandis: Er ist auch super nett.
Ziemek: Und klar, Leon muss den irgendwoher kennen oder es sollte irgendeinen anderen Bezug geben. Der musste da irgendwie mit rein.
Und was für Bücher und Filme waren das?
Brandis: Ich habe in der Planungsphase noch mal einen Film geschaut, der mich sehr beeindruckt hat, The Abyss von James Cameron aus dem Jahr 1989. Da kommt das mit dem Flüssigkeitstauchen auch in einer kurzen Szene vor. Auch Im Rausch Der Tiefe mag ich sehr, das ist ein Lieblingsfilm von mir.
Ziemek: The Abyss war damals sehr wegweisend. Genau wie Cameron das auch mit dem Film Avatar plötzlich war. Er ist einfach ein Regisseur, der kreative Ideen hat und diese innovativ umsetzt.
Brandis: James Cameron taucht ja auch selber in die Tiefsee. Er war auch schon mit einem Tauchboot unterwegs.
Sie haben ja gerade erzählt, dass Sie auch zu den Orten gereist sind. Waren Sie auch auf Hawaii?
Brandis: Ich war schon einmal in Hawaii, genau deswegen haben wir unter anderem Hawaii als Schauplatz ausgewählt. Aber auch, weil sich das Meer in der Gegend sehr gut eignet. Es ist sehr tief, bis 6.000 m runter um die Hawaii Insel herum.
Sind Sie dort auch selber mal getaucht?
Brandis: Ja, ich bin dort auch getaucht. Dort gibt es super tolle Meeresschildkröten und Haie. Ich war ganz begeistert. Ein paar Delfine habe ich ebenfalls dort kennen gelernt. Sogar eine Krake habe ich gesehen beim Tauchen, aber die war sehr scheu und ist gleich weg, als sie mich gesehen hat.
Und wie sind Sie zum Tauchen gekommen?
Brandis: Also, ich habe angefangen mit Schnorcheln, wie die meisten. Mit 19 habe ich angefangen mit dem Gerätetauchen und bin dann überall getaucht, wie in Ägypten, Australien, Thailand. Auf den Malediven habe ich Rochen und Haie, in Hawaii und Ägypten Delfine gesehen. Das macht mir immer noch sehr viel Spaß und deswegen war ich natürlich sicher recht gut geeignet, um dieses Buch mit Herrn Ziemek zusammen zu schreiben. Auch, weil ich das Meer einfach liebe.
Ziemek: Ich bleibe lieber oberhalb der Wasserlinie. Aber wenn wir keine Liebe zum Meer und zum Wasser hätten, wäre es, glaube ich, gar nicht möglich gewesen, die Tiefsee in diese Form darzustellen. Ich hätte selber Angst, allein da unten zu sein. Aber für Leon ist das kein Problem. Das muss man sich mal vorstellen:, ich bin ganz alleine, ich sehe nichts um mich herum, es ist dunkel und ich empfinde das als meine Heimat. Dies geht auch nur, wenn man eine ganz tiefe Verbundenheit mit dem Wasser hat und es nicht nur als angsterfülltes Element sieht.
Brandis: Also, wir sind beide nicht wasserscheu.
Wenn Sie am gleichen Programm wie Leon teilnehmen würden, mit welchem Tier würden Sie am liebsten zusammenarbeiten?
Brandis: Ich habe mir ja schon durch meinen DelfinTeam-Romane die Delfine ausgesucht. Aber seit ich mehr über Kraken weiß, finde ich Kraken äußerst faszinierend. Wir waren ja neulich auch mit einem Kraken auf Lesereise, der war so putzig, ich hätte den sofort adoptiert.
Wieso eigentlich gerade ein Kraken?
Ziemek: Wenn man sich die alten Autoren anschaut, da tauchen die Kraken immer als böse auf – zum Beispiel in Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer. Andere Autoren verwenden auch oft böse Kraken. Ich dachte, wenn im Buch wirklich ein Meeresorganismus auftaucht, dann muss es ein Krake sein, der zeigt, wie intelligent diese Tiergruppe ist. Sie sollten nicht als Fieslinge rüberkommen, sondern auch zeigen, was sie Tolles können. Von daher konnte es nur ein Kraken sein.
Haben sie als Kind schon Geschichten oder Gedichte geschrieben?
Brandis: Oh ja, ich habe mit elf Jahren schon angefangen, weil mir langweilig war und ich nichts mehr zu lesen hatte. Da habe ich gedacht, ich schreibe einfach selber was und das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich immer weiter gemacht habe. Am meisten geschrieben habe ich so mit vierzehn und fünfzehn Jahren. Aus dieser Zeit habe ich noch große Stapel in der Schublade. Bis es dann wirklich mit dem Veröffentlichen geklappt hat, hat es noch sehr lange gedauert. 1996 kam dann mein erstes Buch raus, aber ein Sachbuch. Ich wollte eigentlich endlich mal Romane veröffentlichen. Das hat dann 2002 geklappt, mit dem Fantasyroman „Der Verrat der Feuer-Gilde“. Später kamen noch Abenteuerromane hinzu.
Was für Geschichten waren das, die Sie früher geschrieben haben?
Brandis: Das waren lustigerweise auch Zukunftsromane, mit einem jungen Raumpiloten in der Hauptrolle. Ich war damals total verknallt in den. Deswegen konnte ich mich auch zehn Bücher lang nicht von ihm lösen, bis ich gesagt habe, jetzt ist aber endlich mal Schluss.
Haben sie diese Geschichten Leuten zum Lesen gegeben?
Brandis: Ja, in meiner Schule kursierten die. Ich war wie eine Leihbibliothek, was aber sehr tapfer war von den Lesern, weil das damals in einer winzigen Schrift mit einem ganz schlechten Drucker ausgedruckt waren und dann auch noch ohne sämtliche Umlaute, weil ich eine amerikanische Tastatur benutzte! Es war tapfer, dass meine Mitschüler es überhaupt gelesen haben. Es war ein kritisches Publikum, aber sie haben es gelesen, das fand ich klasse.
Ziemek: Gute Frage! Also, es gab Situationen, in denen ich Menschen Sachen vorgelesen habe. Außerdem habe ich meinen Kindern Geschichten erzählt, als sie klein waren. Wir hatten beispielsweise in der Nähe des Hauses einen Turm mit zwei roten Lichtern. Als wir an einem nebligen Nachmittag im Herbst spazieren gingen, da sind die Phosphatdrachen entstanden. Wir sind unter einem großem Kabel, welches über der Straße hing, durch gegangen und das war dann das Dimensionstor und wir standen plötzlich in der Welt der Phosphatdrachen. Daraus ist wirklich eine ganze Story geworden. Man kann meine Kinder fragen, die wissen das auch heute noch ganz genau. Aber dies ist nur etwas, was erzählt wurde. Eine Familiengeschichte, welche man immer behalten wird.
Brandis: Bei uns ist das auch so, wir haben eine Familientradition, dass wir uns Geschichten erzählen und ausdenken. Auf diese Art sind viele Monstergeschichten entstanden, aus denen demnächst sehr wahrscheinlich ein Buch werden wird.
Woher kommen die Ideen für Ihre Bücher? Einfach so nebenbei?
Brandis: Also, als Autorin muss man ja eigentlich immer Ideen haben. Deshalb setzte ich mich manchmal ganz bewusst hin und sage, ich entwickele jetzt drei Tage lang einfach nur Ideen. Manchmal ist es aber auch ein Zufall. Einmal z.B. habe ich mich über einen Spiegel-Artikel ganz furchtbar aufgeregt und daraus ist eine Idee entstanden. Es ist immer ganz unterschiedlich.
Ziemek: Bei mir ist es so, dass ich mir, seit ich denken kann, Geschichten ausgedacht habe und dass ich mir überlegt habe, wie könnte es werden, wenn das und das passiert. Oder es war auch so, dass ich, wenn ich irgendwas gesehen oder erlebt habe, mich gefragt habe, was könnte daraus entstehen. Das geht mir heute auch noch so.. Genau so war es bei Ruf der Tiefe. Es gibt noch viele, viele andere Themen, bei denen ich plötzlich denke, das könnte jetzt so oder so funktionieren.
Was hat für sie eine blaue Seite?
Brandis: Das Meer hat eine sehr blaue Seite.
Ziemek: Das würde mir auch als erstes jetzt einfallen. Wasser ist halt blau, daher ist das ja unheimlich gut passend.
Vielen Dank für dieses Interview!