Interview

Interview mit Marcel Feige

Blaue Seite: Machst Du einen Unterschied zwischen Thriller schreiben und Biografie schreiben? Magst Du eines der beiden lieber als das andere?

Marcel Feige: Ja, auf jeden Fall gibt es einen Unterschied. Wobei, ich bin überzeugt, beim Romanschreiben kommt mir die Tatsache sehr zugute, dass ich auch Biografien verfasse.
Während ich einen Roman schreibe, muss ich natürlich eine Vielzahl Figuren erfinden. Ich muss diese Figuren anschaulich gestalten, ihr Leben schildern, ihnen einen Charakter einhauchen. Der Leser muss mit meinen Personen mitfühlen können. Er muss zu der Überzeugung gelangen, dass meine Romanfiguren sehr realistisch sind.
Ich glaube, dass mir dies dank meiner Arbeit an Biografien leicht fällt, da ich gelernt habe, in das Leben realer Personen einzutauchen, in ihr Leben, ihr Erwachsenwerden, ihren Charakter, dessen Veränderungen – und dies alles spannend zu beschreiben.
Genau das muss ich auch bei einem Roman machen, nur dass es sich dabei um fiktive Personen handelt. Und das Leben dieser fiktiven Figuren muss ich ebenso spannend erzählen können. Da es mir bei einem Sachbuch gut gelingt, das Leben der Person anschaulich zu beschreiben – zumindest entnehme ich dies den Stimmen meiner Leser und Kritiker, denke ich, dass mir dies in meinen Romanen auch gut gelingt.

Blaue Seite: Wie viel Zeit muss in ein Projekt wie "I Don't Have A Gun" investiert werden?

Marcel Feige: Das ist schwer zu sagen. Ich stecke mir natürlich vorab einen gewissen Zeitrahmen. Zum Beispiel sage ich mir: Länger als fünf Monate darf die Arbeit an dem Buch nicht dauern, weil ich ja irgendwann auch wieder ein neues Projekt beginnen möchte. Oder noch andere Dinge zu erledigen habe.
Aber grundsätzlich unterscheidet sich der Zeitrahmen von Buch zu Buch. Bei der Biografie von Nina Hagen brauchte ich 14 Monate. Das Projekt über Sido hat mich sechs Monate gekostet. Tattoo-Theo war innerhalb von drei Monaten fertig. Bei Kurt Cobain waren es fünf Monate.
Manchmal überschreite ich auch den Zeitrahmen, den ich mir im Vorfeld gesteckt habe. Denn ich weiß ja vorher nicht, was mir bei den Recherchen alles widerfährt. Ob ich jemanden kennenlerne, der mir noch mehr über die zu biografierende Person erzählen kann. Ob sich dadurch Möglichkeiten ergeben, noch tiefer in das Leben der Person einzutauchen.
Wie genau die Recherchen ablaufen, lässt sich daher schwer planen. Bei Nina Hagen beispielsweise sprach ich mit über 100 Wegbegleitern, von ihrer Mutter über ihre Schulfreunde, Liebhaber und Lehrer bis hin zu ehemaligen Musikerkollegen und Plattenproduzenten – wirklich alle. Sowas braucht natürlich Zeit. Man muss diese Leute zunächst kontaktieren und sie kennenlernen – die meisten haben ja auch nicht sofort Zeit für mich. Also muss ich Termine organisieren, die unter Umständen erst in ein oder zwei Monaten stattfinden ... Auf diese Weise zieht sich die Recherche in die Länge.
Die Recherche ist in der Regel das zeitaufwendigste. Das Schreiben der Biografie ist danach nur Handwerk. Ich schreibe alles das, was ich in Erfahrung habe bringen können, nur noch runter.

BS: Hast Du während der Recherche- und Schreibarbeiten viel Nirvana gehört?

Marcel Feige:
Ja, das gehörte unbedingt dazu. Das mache ich übrigens immer, wenn ich eine Biografie schreibe. Ich setze mich mit der Musik der Person auseinander.
Ich kann zum Beispiel Hiphop kaum etwas abgewinnen, aber in jener Zeit, als ich die Sido-Biografie schrieb, hörte ich fast ausnahmslos Sidos Musik. Einfach, um ein Gefühl für ihn zu bekommen. Nicht anders war es bei Nina Hagen. Punk war für mich eine abstruse Abart von Rockmusik. Aber als ich das Nina Hagen-Buch schrieb, hörte ich Ninas Alben rauf und runter.
Und so war das auch mit Kurt Cobain. Als Kurt und Nirvana Anfang der 90er Jahre groß geworden sind, hörte ich ganz andere Musik, gleichwohl ich den Hype um Grunge mitbekam.
In den fünf Monaten, in denen ich nun an der Cobain-Biografie arbeitete, lief fast ausnahmslos Nirvana auf meiner Stereoanlage.
Cool war, als ich mit drei Freunden in die USA flog. Wir nahmen uns bei unserer Ankunft in Los Angeles einen Mietwagen, reisten die Westküste von San Diego, San Francisco hoch nach Aberdeen und Seattle. Und dabei lief Nirvana im CD-Player. Das war schon sehr erhebend, auf den Spuren von Kurt Cobain zu sein und dabei seine Musik zu hören.

BS: Hast Du ein Lieblingslied von Nirvana?

Marcel Feige: Ein Lieblingslied nicht, aber das Album "Nevermind" wird zu Recht als Meilenstein gelobt. Es ist sehr musikalisch, sehr rockig, sehr melodisch, sehr rhythmisch. Ich glaube, "Nevermind" bringt die ganze Genialität von Kurt Cobain auf den Punkt.
Wenn ich also sagen müsste, welches Album von ihm ich auf eine einsame Insel mitnehme, wäre es wohl "Nevermind".

BS: Findest Du, dass es ein Lied gibt, das Kurts Leben oder seine Einstellung perfekt beschreibt?

Marcel Feige: "Smells Like Teen Spirit" und "Come As You Are", das sind die beiden Lieder, die am besten ausdrücken, was Kurt Cobain gefühlt und wie er seine Musik gedacht hat. "Come As You Are" findet sich ja auch auf dem Ortsschild in Aberdeen – eine Huldigung an das berühmteste Kind der Stadt.

BS: Kannst Du Dich in irgendwiefern mit Kurt Cobain identifizieren oder seine Entscheidungen nachvollziehen?

Marcel Feige: Sagen wir mal so, mein Lebensstil ist das nicht. Oder zumindest nur in Teilen. Ich komme ja selber aus einer Subkultur und habe Techno mitgemacht, also als Techno wirklich noch ganz klein war, in Undergroundclubs, als noch kein Mensch Techno überhaupt kannte. Ich kenne dieses Gefühl, wenn man wirklich Underground ist ... Wenn da dieses Ding etwas ganz Neues ist, eine ganz neue Musik, die noch nie jemand gehört hat. Das ist sensationell. Man möchte dann auch nichts anderes mehr. Man richtet sein ganzes Leben nach dieser Musik aus.
Deshalb, glaube ich, kann ich Kurt nachempfinden. Er hat auch für seine Musik gelebt. Aber das, was später mit ihm geschehen ist, damit kann ich mich überhaupt nicht identifizieren, vor allem seine traurige Vorgeschichte ... Ich selbst komme aus einer heilen Familie. Meine Eltern sind nicht geschieden und ich verstehe mich sehr gut mit ihnen. Natürlich gab es – gerade in meiner Pubertät – auch mal Reibereien, aber dieses Drogenleben, das Kurt geführt hat, das wäre nichts für mich.
In meiner Cobain-Biografie habe ich versucht darzustellen, warum Kurt überhaupt dieses Drogenleben geführt und ein so trauriges Ende gefunden hat. Das hatte nämlich seine guten Gründe...

RedakteurRedakteur: Kerrin
FotosFotos: Daria
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