Interview mit Morton Rhue
Kerrin Kiesbye, Mara Ostertag und Lina-Marie Ostertag von der Blauen Seite hatten im Oktober 2012 die Chance, den amerikanischen Autor Todd Strasser zu treffen und zu interviewen. Todd Strasser hat, u.a. unter seinem Pseudonym Morton Rhue, viele Bücher für Jugendliche geschrieben.
Blaue Seite: Warum schreiben Sie unter zwei verschiedenen Namen?
Morton Rhue: An meinem ersten Buch habe ich sehr lange geschrieben. Schließlich sollte es im September erscheinen. Im Juni bat mich mein Lektor „Die Welle“ zu schreiben. Beide Bücher erschienen dann zur selben Zeit und da ich noch unbekannt war, schlug mein Lektor vor, eins der Bücher unter einem anderen Namen zu veröffentlichen. Er meinte, dass sich die Bücher dann besser verkaufen würden. Ich habe die deutschen Bedeutungen meines Namens, also „Tod“ und „Straße“ ins Französische übersetzt und dabei entstand der Name „Morton Rhue“.
BS: Und jetzt entscheiden Sie sich bei jedem neuen Buch zwischen den beiden Namen?
Morton Rhue: Wenn ich eher ernste Bücher für den Ravensburger Verlag schreibe, werden diese unter dem Namen „Morton Rhue“ veröffentlicht. Aber wenn ich Mystery-Thriller für Carlsen schreibe, erscheinen sie unter meinem Namen „Todd Strasser“, damit die Leute, die meine „Morton-Rhue-Bücher“ kennen, den Autor wiedererkennen, aber wissen, dass es kein typisches „Morton-Rhue-Buch“ ist.
BS: Sie haben gesagt, dass Ihr Lektor Sie gebeten hat, „Die Welle“ zu schreiben. War die Idee zu diesem Buch denn Ihre eigene oder die Ihres Lektors?
Morton Rhue: Der Lehrer, der das Experiment tatsächlich durchgeführt hat, hat einen Bericht darüber geschrieben, aber das war kein Text für Jugendliche. Als mein Lektor diesen Bericht gelesen hat, hatte er die Idee, dass man daraus ein gutes Buch für Teenager machen könnte. Also war es meine Aufgabe, aus dem zehnseitigen Bericht ein Buch zu machen, das so spannend und unterhaltsam ist, dass ein Teenager Lust hat, es zu lesen.
BS: Denken Sie, dass das, was in „Die Welle“ passiert, auch jetzt noch einmal wirklich passieren könnte?
Morton Rhue: Ja, so etwas passiert immer wieder. Vielleicht nicht im selben Ausmaß wie in „Die Welle“, aber immer wieder lassen sich Leute von den Ideen anderer mitreißen. Darum wollte ich auch unbedingt diese Geschichte schreiben. „Die Welle“ ist eine Mahnung an Jugendliche, selbstständig zu denken.
BS: Haben Sie den deutschen Film „Die Welle“ gesehen?
Morton Rhue: Ja, den habe ich mir angeguckt.
BS: Mochten Sie den Film?
Morton Rhue: Der Film hat mir gut gefallen. Ich fand es gut, wie das Buch im Film umgesetzt wurde. Es hat mir auch gefallen, dass das Buch nach dem Fernsehfilm von 1981/82 noch ein zweites Mal neu verfilmt wurde.
BS: Hatten Sie erwartet, dass „Die Welle“ so viel Erfolg haben würde?
Morton Rhue: Nein, das hatte ich nicht wirklich erwartet. Das ist eine der tollen Sachen, wenn man Bücher schreibt: man weiß vorher nie, ob sie erfolgreich sind.
BS: Ist „Fame Junkies“ eine Kritik an Leuten, die Stars vergöttern?
Morton Rhue: Ich mache viele Lesungen in Schulen und die Schüler stellen immer vernünftige und gute Fragen, aber auch immer wieder Fragen wie: „Wie viel Geld verdienen Sie?“ oder „Was für ein Auto fahren Sie?“ und auch „Sind Sie berühmt?“. Ich habe die Schüler gefragt, ob es wichtig ist, berühmt zu sein. Sie meinten natürlich, dass es toll ist, wenn man berühmt ist. Sie wollten berühmt sein, ohne wirklich zu verstehen, was das bedeutet. Als ich ein Kind war, wollten wir auch berühmt sein, aber wegen Dingen, die wirklich viel Arbeit erfordern. Heute wollen die Leute berühmt sein, ohne etwas dafür geleistet zu haben. Ich finde, dass man nicht bekannt sein sollte, ohne etwas dafür getan zu haben – und das möchte ich auch mit dem Buch zum Ausdruck bringen.
BS: Haben Sie eine Tochter in unserem Alter und würden Sie ihr eine Kamera zum Geburtstag schenken?
Morton Rhue: Ich habe meiner Tochter tatsächlich eine Kamera gekauft, aber sie wollte nie ein Paparazzo werden.
BS: Wie haben Sie all diese besonderen Charaktere entwickelt?
Morton Rhue: Ich habe eine Idee und entwickle dann die Charaktere, die ich brauche, um die Geschichte zu erzählen. Bei dieser Methode muss man viel recherchieren. Für „Fame Junkies“ habe ich viel über Models oder Schauspieler und andere Berühmtheiten gelesen. Während ich recherchiere, entwickle ich die Charaktere.
BS: Was halten Sie denn vom deutschen Cover von „Fame Junkies“? Gefällt es Ihnen?
Morton Rhue: Ja, auf jeden Fall! Ich finde das Cover sehr gelungen. Die Frau schaut nach oben zu jemandem, der berühmt ist, und wünscht sich, diese Person zu sein … Mögt ihr es denn?
BS: Ja uns gefällt es sehr gut! Besonders das Auge an der Seite des Buches!
Morton Rhue: Oh, das ist mir bis jetzt noch nie aufgefallen. Das ist echt klasse.
BS: Besonders, wenn man zu einem Regal guckt, in dem ganz viele der Bücher stehen und man dann das Auge sieht.
Morton Rhue: Ich sollte meinem Verlag sagen, dass ich von nun an immer ein Auge auf dem Cover meiner Bücher haben möchte.
BS: Macht es einen großen Unterschied für Sie, ob Sie für einen Zeitungsartikel oder für ein neues Buch recherchieren?
Morton Rhue: Wenn man für einen Zeitungsartikel recherchiert, muss man nicht so viel herausfinden, da so ein Artikel ja meisten sehr kurz ist. Ich recherchiere also viel mehr, wenn ich ein Buch schreibe. Da gibt es viel mehr, was ich rausfinden kann und viel mehr, was ich als Hintergrund wissen muss. Viele Schüler sind oft erstaunt, wenn ich erzähle, wie viel ich recherchiere. Die denken sich, man setzt sich einfach hin und schreibt das Buch runter. Aber wenn man über ein Thema schreibt, gibt es viel, das man wissen muss. Bei „Fame Junkies“ wollte ich zum Beispiel wissen, welche Motivation es gibt, berühmt zu werden, was die Personen gemacht haben, um berühmt zu werden und vieles mehr. Da gibt es also immer sehr viel, was man rausbekommen kann.
BS: Macht Ihnen das Recherchieren denn Spaß?
Morton Rhue: Ja, sehr sogar. Ich liebe es, Neues zu lernen. Und dabei lerne ich die ganze Zeit viele tolle, aber auch verrückte neue Dinge. Manchmal kann ich sie fürs Buch verwenden, manchmal leider nicht. Das ist aber nicht so schlimm, denn es ist schon toll, das alles zu erfahren.
BS: Machen Sie sich viele Notizen, bevor Sie anfangen zu schreiben?
Morton Rhue: Ja! Oh ja! Meistens schreibe ich mir alles auf Karteikarten und wenn ich das Buch fertiggeschrieben habe, lese ich sie mir wieder durch und gucke, was ich vergessen habe. Aber leider kann ich nie alles in ein Buch packen, was ich gerne will. Habt ihr jemals ein Buch gelesen, das übervoll an Informationen war? So ein Buch verliert die Spannung. Das ist eins der Dinge, die man als Autor lernen muss: zu entscheiden, wie viel Informationen und welche man in ein Buch einarbeitet. Besonders Informationen, bei denen man denkt „Oh mein Gott, das doch wirklich kein Mensch wissen“ sollte man lieber gleich weglassen.
BS: Haben Sie einen Lieblingsort zum Schreiben?
Morton Rhue: Ja: Im Sommer miete ich mir immer ein Haus am Strand mit einer Terrasse. Auf dieser steht ein Tisch mit einem Sonnenschirm und dann sitze ich die ganze Zeit am Tisch unter dem Sonnenschirm. Das ist mein Lieblingsplatz zum Schreiben.
BS: Haben Sie ein Lieblingswort?
Morton Rhue: In letzter Zeit war es das Word „luminescence“ [= das Leuchten]. Ich finde, das klingt toll. Und ich mag die Idee, dass es nicht einfach nur Leuchten bedeutet, sondern zum Beispiel auch verwendet werden kann für Ausdrücke wie „eine Erleuchtung haben“.
BS: Welches Ihrer Bücher ist Ihr Lieblingsbuch?
Morton Rhue: Das ist schwer zu sagen. Die sind alle so fantastisch [er lacht]! Es ist unmöglich, eins auszusuchen und zu sagen: „Das ist mein Lieblingsbuch.“ Das müsst ihr entscheiden.
BS: Ihre Bücher sind alle etwas negativ. Würden Sie gerne einmal ein lustiges Buch schreiben?
Morton Rhue: Das tue ich! Ich schreibe lustige Bücher. Aber sie werden nicht ins Deutsche übersetzt. Ich glaube, dass die Leser, wenn sie „Morton Rhue“ auf dem Titel lesen, ein ernstes Buch erwarten. Und wenn ich dann ein lustiges Buch schreibe, sagen die Leute: „Das ist doch kein Morton-Rhue-Buch!“
BS: Vielleicht sollten Sie sich einen 3. Namen zulegen! Also, wir würden es lesen.
Was wollen Sie mit Ihren Büchern in den Köpfen der Menschen erreichen?
Morton Rhue: Jedes meiner Bücher hat eine dahinterliegende Idee. Bei „Fame Junkies“ zum Beispiel geht es darum, dass berühmt sein nicht wirklich das ist, was jeder sein will. So steckt in jedem Buch ein ernstes Thema, das ich mit meinen Lesern teilen möchte. Das ist auch der Grund, warum ich solche Bücher schreibe.
BS: Wir haben vorhin über unsere Website geredet. Sie wird „Die Blaue Seite“ genannt. Was hat für Sie eine blaue Seite?
Morton Rhue: Tja, die deutsche Ausgabe von „Fame Junkies“ hat eine blaue Seite.
Ich assoziiere die Farbe Blau mit dem Ozean. Die blaue Seite vom Strand ist die Wasserseite, wo ich surfen gehen kann. Eine blaue Seite lässt mich also an den Strand denken. Wie kommt Ihr auf die Farbe bei Eurem Namen? Weil jeder eine andere Vorstellung von einer blauen Seite hat?
BS: Genau, viele Leute fragen uns, was die Blaue Seite ist. Aber wir haben darauf keine Antwort, also fragen wir jeden. Vielleicht finden wir ja jetzt die Antwort.
Vielen Dank für das nette Interview!