Interview mit Wolfgang Hohlbein zu „Mörderhotel“
Wolfgang Hohlbein: Wie komme ich zu der Ehre? Ist das ein Privatgespräch oder für eine Schülerzeitschrift?
Blaue Seite: Wir sind von den Bücherpiraten in Lübeck.
Wolfgang Hohlbein: Ich gestehe, dass ich die nicht kenne.
Blaue Seite: Wir sind ein Verein mit Jugendlichen, die für Jugendliche über Bücher und Geschichten schreiben. Wir sind vom Team der „Blauen Seite“. Wir führen Interviews und schreiben Rezensionen für andere Jugendliche. Die findet man dann im Online-Magazin auf die-blaue-seite.de.
Wolfgang Hohlbein: Aber lest Ihr noch ganz altmodisch auf Papier oder mehr E-Book und Tablet?
Blaue Seite (Hannah): Das Bücherlesen auf alle Fälle immer auf Papier.
Blaue Seite (Katharina): Bei mir haut es mit dem Platz nicht mehr ganz hin, deshalb bin ich schon zum Teil auf E-Books umgestiegen.
Wolfgang Hohlbein: Das ist der Grund, warum ich auch auf E-Books umgestiegen bin. Zumindest bei Sachen, die ich nur zur Unterhaltung lese. Auf der Bahnfahrt hierher lese ich tatsächlich nicht Kleist oder sowas. Und ehrlich gesagt bin ich auch auf das E-Book umgestiegen, weil es praktischer ist. Aber so im Winter am Kamin, draußen Schnee, mit einem Glas Wein in der Hand, dann ist ein Tablet schon unpassend, finde ich.
Blaue Seite: Ja, man muss halt seinen Weg finden.
Wolfgang Hohlbein: Genau. Hauptsache, die Geschichten stimmen.
Blaue Seite: Warum schreiben Sie keine „Reality“-Bücher?
Wolfgang Hohlbein: Ehrlich gesagt, weil es mich nicht interessiert. Ich lese auch keine. Die normale Welt mit ihren ganz normalen spannenden oder langweiligen kleinen Geschichten und Sorgen habe ich schon im richtigen Leben. Wenn ich ein Buch zur Unterhaltung lese, dann ist das für mich im besten Sinne des Wortes Fluchtliteratur. Dann möchte ich für ein paar Stunden oder am besten ein paar Tage oder Wochen in eine andere Welt, in ein anderes Leben flüchten. Ein Leben, das ich selber nie kennengelernt habe und auch nie leben würde– wahrscheinlich auch gar nicht wollte. Ich bewundere Leute, die Reality spannend und fesselnd rüberkriegen. Aber ich glaube, dass ich das nicht kann. Wahrscheinlich, weil es mich nicht wirklich interessiert. Deswegen lese ich auch von der hohen Literatur nur Sachen, die ein bisschen schräg sind: Kafka und so. Heinrich Böll steht beimir im Bücherregal, der macht sich da gut, man will ja Eindruck schinden. Ich würde es nie lesen – das ist jetzt keine Schelte. Das ist etwas, das mich einfach nicht packt.
Blaue Seite: Okay, das kann man auch verstehen. Sie haben mal gesagt: „Das Grauen lebt immer nebenan.“
Wolfgang Hohlbein: Ihr kennt meine Nachbarn (lacht).
Blaue Seite: Stimmt das tatsächlich, wenn Sie an die Bücher und die Figuren denken, die Sie erschaffen?
Wolfgang Hohlbein: Ich weiß gar nicht, ob ich das gesagt habe oder Stephen King. Das wird manchmal durcheinandergeworfen. Vielleicht habe ich es auch von ihm geklaut, keine Ahnung. Aber egal: Ich empfinde das schon so. Der größte Schrecken ist ja eigentlich der, der sich im Normalen verbirgt. Wenn ich eine Geschichte lese oder einen Film sehe, wo es um Aliens geht, weiß ich, was kommt. Dann finde ich vielleicht die Special Effects toll, vielleicht erschrecke ich auch mal, wenn der Regisseur richtig gut ist, oder der Autor – aber das erwarte ich ja. Der größte Schrecken ist aber der, der sich im ganz Vertrauten verbirgt. Etwas, das Ihr Zeit Eures Lebens gekannt habt – oder geglaubt habt, zu kennen. Und plötzlich steht da was ganz anderes. Den Namen habe ich ja schon mal genannt: Mein großes Vorbild ist eben Stephen King. Eines seiner besten, oder die beiden besten Bücher für mich sind „Cujo“ und „Friedhof der Kuscheltiere“, weil da genau das passiert. Der süße Kuschelhund von nebenan, der plötzlich zur mordenden Bestie wird. Oder der liebe Kater und die hübsche Schmusekatze, die aus ihrem Grab wiederauferstehen – das ist doch viel schlimmer als irgendwelche tentakelschwingenden Monster. Das Gleiche gilt auch für einen guten Kriminalroman oder für einen guten Thriller. Die besten sind nicht die, in denen James Bond zum Mond fliegt und die Welt rettet. Die besten sind die, in denen man plötzlich feststellt: Annika Subke von nebenan ist eine Serienmörderin und jetzt hat sie es auf mich abgesehen. Das finde ich viel, viel schlimmer als irgendwelche Blitze und Donner, Dämonen und Ungeheuer.
Blaue Seite: Glauben Sie, dass es je ein Mörderhotel gab, gibt oder geben wird?
Wolfgang Hohlbein: Ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich habe mir die Geschichte nicht ausgedacht. Die ist tatsächlich so passiert. Ich bin durch eine Dokumentation der BBC darauf aufmerksam geworden. Mittlerweile gibt es auch im ZDF einen Film darüber. Was ich in diesem Buch beschrieben habe, ist vielleicht nicht ganz so passiert, aber es gab die Figur. Man hat diesem Menschen 23 Morde nachweisen können – aber die Schätzungen liegen zwischen zwei- und dreihundert Morden, die er begangen haben soll. Dieses Hotel hat ebenfalls existiert. Ich habe auch ein paar Fotos davon. Und mit all diesen Geheimgängen und Folterkammern, die er sich da eingerichtet hat – da hat die Wirklichkeit die Fantasie überholt. Ich hätte mich nie getraut, mir eine so grausame, aber auch absurde Geschichte auszudenken.
Blaue Seite: Wie schaffen Sie es denn, sich in diesen Menschen hineinzuversetzen?
Wolfgang Hohlbein: Ich versuche es und hoffe natürlich, dass es mir nicht zu gut gelingt. Aber jeder hat eine böse Seite, das Böse hat ja eine Faszination. Wer fände es denn nicht toll, auch mal böse sein zu können? Das können Kleinigkeiten sein: den ungeliebten Nachbarn dann doch mal die Reifen aufzuschlitzen oder so was. Mit solchen Gedanken spielt doch jeder. Die meisten machen es nicht, manche tun es doch. Manche lassen es nicht bei den Reifen bewenden.
Blaue Seite: Das Grauen lebt immer nebenan.
Wolfgang Hohlbein: Ja, da sind wir wieder. Ich versuche einfach, mir vorzustellen, wie ein normaler Mensch wie ich – ich halte mich für einen halbwegs normalen Menschen – so etwas kann. Was muss passieren, dass jemand so ausrastet? Obwohl ich nicht glaube, dass Mudgett ausgerastet ist. Der war einfach völlig wahnsinnig. Kein Massenmörder kann normal sein. Aber ich glaube nicht, dass er mit Schaum vorm Mund und dem Hackebeil durch den Park gelaufen wäre. So einer ist das nicht. Ich konnte zwar nicht viel über ihn herauskriegen. Aber ich glaube, dass sein ganzes Leben so verkorkst war, dass er im Endeffekt einfach kein Gewissen und kein Gefühl mehr hatte. Also eigentlich auch kein Mensch mehr war.
Blaue Seite: Würden Sie sagen, dass er genial war, in dem, was er tat?
Wolfgang Hohlbein: Auf seine Art ist jeder große Verbrecher genial. Dummköpfe werden keine erfolgreichen Massenmörder oder überhaupt große Verbrecher. Genie und Wahnsinn gehen da schon Hand in Hand. Er hat ja ganz klein angefangen als Versicherungsbetrüger und hat sich hochgearbeitet. Seine Karriere dauerte etwa 20 Jahre. Versicherungsbetrüger, Räuber, Erpresser … Langsam, Stück für Stück. Wenn er dumm gewesen wäre, wäre er auch im 18./19. Jahrhundert in Amerika nicht so weit gekommen. Er hat das also schon sehr, sehr clever gemacht.
Blaue Seite: Das stimmt schon.
Wolfgang Hohlbein: So blöd das klingt: Man muss das irgendwie bewundern, seine Cleverness, seine Raffinesse.
Blaue Seite: Würden Sie sich manchmal wünschen, ein bisschen mehr wie Ihre Figuren zu sein? Jetzt nicht unbedingt diese Figur, aber …
Wolfgang Hohlbein: Natürlich! Ich wünsche mir schon, JR Juan, in mir zu haben. Eure älteren Leser werden wissen, wer das ist (lacht). So ein Darth Vader, den ich auf Knopfdruck einschalten kann, wenn mir wieder einer blöd kommt. Aber ich möchte ihn auch wieder abschalten können. Aber ich weiß gar nicht, ob man das dann noch kann, wenn man eine bestimmte Grenze einmal überschritten hat. Ganz witzig, wenn auch nur eine Kleinigkeit: Ich habe jemandem, ohne es zu wollen, den Sitzplatz in der Bahn weggenommen. Ich war einfach eine Zehntelsekunde schneller. Mir ist erst hinterher klar geworden, dass dieser Clown schon durch den ganzen Wagen angelaufen kam – und ich kam über die andere Tür und, zack!, war es das. Ich bin sitzen geblieben und dachte so bei mir: „Ach, das funktioniert ja. Wieso machst du das nicht öfter, statt zu stehen?“ Natürlich mache ich das nicht. Aber diese Gedanken, diese Verlockung, die sind auch im Kleinen da. Wäre es etwas Ernsthafteres gewesen wäre, hätte ich es natürlich nicht getan. Und das unterscheidet wahrscheinlich auch die normalen Menschen von denen, die dann ihren Intrigen nachgehen.
Blaue Seite: Also sind Sie der Meinung, dass Verbrecher einfach der bösen Seite nachgeben?
Wolfgang Hohlbein: Ja, sie hat ja auch eine Verlockung. Sie macht das Leben, solange es funktioniert, einfacher. Man muss sich ja nicht mit irgendwelchen Leuten abgeben, die einem nicht gefallen. Im besten Fall ignoriert man sie oder sie kriegen einen blöden Spruch. Und im Zweifelsfall bringt man sie halt um. Wie Romanhelden das halt so tun. Ich muss mit dem Auto nicht dreimal um den Block fahren: Ich stelle mich auf den Behindertenparkplatz. Und wenn einer kommt, kriegt er eins auf die Mütze. Ich tue so etwas nicht. Aber wenn man so denkt und so lebt, macht das in diesem Moment das Leben einfacher – aber wahrscheinlich auch kürzer.
Blaue Seite: Wenn wir jetzt mal auf die gute Seite zurückkehren.
Wolfgang Hohlbein: Gibt es die? (lacht)
Blaue Seite: Sie haben ja schon mal mit anderen Menschen, mit ihrer Frau oder mit ihrer Tochter, Bücher geschrieben. Wie einigen Sie sich, wenn sie unterschiedlicher Meinung über den Fortgang der Geschichte sind?
Wolfgang Hohlbein: Ganz einfach: Ich habe immer recht! Ein einziges Mal ist es in all diesen Jahren vorgekommen, dass wir uns wirklich nicht einigen konnten. Da gilt dann Regel Nummer 1: Der Chef hat immer recht. Aber da war die Situation auch so verfahren, dass wir völlig verschiedene Standpunkte hatten. Da hätte ich das Buch auch wegwerfen und neu schreiben können. Da habe ich dann gesagt: „Nee, das mache ich jetzt so, wie ich will. Und ob es gut oder schlecht war, müssen die Leser entscheiden.“ Aber in allen anderen Fällen: Es dauert manchmal lange, aber man findet schon einen Mittelweg. Aber gerade bei diesen Diskussionen, die manchmal durchaus fast schon an Streit grenzen können, da kommen dann auch die richtig guten Ideen. Weil dann plötzlich Sachen auf den Tisch kommen, auf die man so im guten Einvernehmen gar nicht gekommen wäre. Dann findet man plötzlich etwas, das der Geschichte einen ganz anderen Verlauf, eine ganz andere Richtung geben kann. Das ist schon oft passiert.
Blaue Seite: Und was machen Sie, wenn Sie irgendwann gar keine Ideen mehr haben?
Wolfgang Hohlbein: Ach, das habe ich, Gott sei Dank, noch nicht erlebt. Also, ich habe eher das gegenteilige Problem, dass ich immer aussuchen muss, welche von den Geschichten ich jetzt wieder schreiben möchte. Es gibt einfach zu viele Geschichten. Nehmen wir mal das aktuelle Beispiel: Das Mörderhotel habe ich mir ja nicht ausgedacht. Und von diesen Geschichten – jetzt vielleicht nicht ganz so grausam – gibt es hunderte, tausende. Die liegen auf der Straße, du musst sie nur aufheben. Ich kenne natürlich den Moment, wo man vor dem leeren Blatt, vor dem leeren Monitor sitzt, und die Sätze wollen einfach nicht kommen. Die Schreibblockade: Man hat die Szene fertig im Kopf, aber es geht nicht, man bekommt sie nicht aufs Papier. Das kennt, glaube ich, jeder, der irgendwie schon mal versucht hat, was zu schreiben. Gott sei Dank habe ich das auch noch nicht länger als mal ein, zwei, drei Tage erlebt. Aber Ideen gehen mir nie aus. Man braucht keine Ideen, man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen. Das genügt. Und man muss die Dinge hinterfragen. Also, nicht alles als gegeben hinnehmen, sondern fragen: „Ist das wirklich so, wie man mir erzählen will, oder wie ich glaube, wie es ist?“
Blaue Seite: Jetzt habe ich noch ein Zitat von Ihnen. Und zwar haben Sie mal gesagt, so steht es auf Ihrer Internetseite geschrieben: „Wäre ich im Mittelalter geboren worden, dann wäre ich wahrscheinlich von Hof zu Hof gezogen, um Geschichten von Drachen, Schlachten und Liebeständeln zum Besten zu geben.“
Warum haben Sie für dieses Zitat das Mittelalter gewählt?
Wolfgang Hohlbein: Ich glaube, das ist noch der kleine Junge in mir, der früher mit Ritterburgen gespielt hat. Aber speziell das frühe Mittelalter, das mittlere Mittelalter, die Zeit der Kreuzzüge, das 11. oder 10. Jahrhundert: Diese Zeit hat mich immer schon fasziniert. Ich möchte um Gottes Willen nicht da gelebt haben. Das wäre sicherlich nicht schön gewesen. Aber es war einfach eine tolle Bilderwelt, wenn man sich so die tapferen Ritter auf ihren weißen Pferden vorstellt – die in Wirklichkeit Klepper waren. Und die schönen Burgen und die netten Burgfräulein. Die meisten großen Fantasy-Geschichten benutzen das. Nehmt mal die Tolkien-Filme. Die habt Ihr sicherlich auch gesehen?
Blaue Seite (Hannah): Ja.
Blaue Seite (Katharina): Nein.
Wolfgang Hohlbein: Selber schuld. Wenn man da die Monster rausnimmt, die Drachen und die Orks, und ersetzt sie durch irgendwelche Pikten oder Barbaren oder Wikinger: Dann habt Ihr ganz genau die gleiche Bildersprache. Es geht um Illusion. Mit der Natur ein ganz einfaches, schönes Leben führen, ohne große Sorgen, ohne sich morgens fragen zu müssen: „Springt mein Auto an?“ Das ist ein Bedürfnis und das sind natürlich Klischees, die ich auch gerne bediene, die ich aber auch mag. Wenn ich im Mittelalter gelebt hätte, würde ich es wohl anders sehen. Obwohl ich auch da nicht ganz sicher bin. Wir modernen Menschen sehen diese Zeit mit all ihren Nachteilen. Aber Gesundheitsprobleme gab es ja gar nicht in dem Sinne. Das mag uns ganz grausig vorkommen, aber ich glaube, dass die Leute sich trotzdem damit arrangiert haben und genauso glücklich waren. Vielleicht werden in 500 Jahren unsere Nachkommen sagen: „Die armen Leute, wie konnten die denn leben mit der Umweltverschmutzung? Und die sind nur 80 Jahre alt geworden und diese ganzen Krankheiten.“
Blaue Seite: Wie kam es, dass Sie unter dem Pseudonym Angela Bonella drei Barbiegeschichten geschrieben haben?
Wolfgang Hohlbein: Das hatte einen ganz profanen Grund: Es war am Anfang meiner Karriere. Ich war ein junger Möchtegern-Erfolgsautor und brauchte Geld. Und diese Sachen wurden bezahlt. Außerdem schreibe ich einfach gerne Geschichten und habe es eben ausprobiert. Ich habe auch andere Sachen ausprobiert, ein, zwei Wildwest-Romane geschrieben. Das hat sogar Spaß gemacht, zumindest am Anfang. Aber ich würde das nie leugnen oder mich dafür schämen. Das war ein Experiment und das war gut. Alter Spruch: „Ich war jung und brauchte das Geld.“ Aus dem gleichen Grund habe ich auch Jerry-Cotton-Romane geschrieben, um dann eben festzustellen: „Okay, das ist doch nicht ganz das, was mir Spaß macht.“ Ich bin doch mehr für das Fantastische. Das gilt sogar für das Mörderhotel, auch wenn es kein Fantasy-Roman ist. Da sind wir wieder beim Thema Mittelalter und Bildersprache: Von den Bildern und Gefühlen her ist das für mich eigentlich auch ein Fantasy-Roman. Weil das so eine andere Welt ist – auch wenn es wirklich passiert ist.
Blaue Seite: Haben Sie schon einmal eine Geschichte geschrieben, die Ihnen später wirklich nicht mehr gefallen hat?
Wolfgang Hohlbein: Ununterbrochen. Ich würde keine Geschichte ein zweites Mal so schreiben. Es gibt aber keine Geschichte, die ich rundweg ablehne. Allerdings würde ich heute alles anders machen. Es wäre auch schlimm, wenn ich heute noch auf dem Stand von vor zehn Jahren wäre. Ich habe gerade auf dem Weg hierher nochmal den Anfang gelesen – und mir sind sofort 20 Sätze aufgefallen, die ich anders schreiben würde. Das ist aber auch die große Gefahr, der ich Gott sei Dank nicht so sehr unterliege. Ich habe mir schon vor vielen Jahren angewöhnt, eine Geschichte zu schreiben, zuzuklappen und wegzulegen.
Blaue Seite: Wo wir bei der Bildersprache sind: Ihr Roman „Wir sind die Nacht“ ist verfilmt worden.
Wolfgang Hohlbein: Es gab erst den Film.
Blaue Seite: Es gab erst den Film? Tatsächlich?
Wolfgang Hohlbein: Ich kenne den Produzenten, Christian Becker, und der kennt mich und meine Bücher auch ganz gut. Der hat mich dann irgendwann angerufen und gesagt: „Ich drehe hier gerade einen deutschen Vampirfilm.“ Meine erste Reaktion: „Ja, mach mal.“ Darauf er: „Nee nee, ich schick dir mal eine DVD und das Drehbuch.“ Und er hat es mir geschickt. Ich fand beides wirklich okay und dann kam natürlich die Frage: „Hättest du nicht Lust, das Buch dazu zu schreiben?“ Habe ich dann auch gemacht. Ich hatte sogar die große Freiheit, dass ich ganz selbstständig mit dem Stoff umgehen durfte. Das Buch ist ja nicht der Film. Ich hab‘ ein ganz neues Ende geschrieben. Das hat Riesenspaß gemacht und das würde ich auch jederzeit nochmal machen. Soweit das möglich ist, bin ich auch sehr, sehr zufrieden mit der Umsetzung.
Blaue Seite: Wobei das ja sehr ungewöhnlich ist, dass zuerst der Film erscheint und dann das dazugehörige Buch.
Wolfgang Hohlbein: Gar nicht. Früher war das Gang und Gäbe. Mittlerweile ist das irgendwie üblich, dass gerade die großen Studios in den USA mit dem Drehbuch gleich das Buch schreiben lassen, um sich das Geschäft auch noch unter den Nagel zu reißen. In Deutschland mittlerweile auch. Es gab natürlich Literaturverfilmungen, klar, aber zum Beispiel Indiana Jones: Ich habe ja auch acht oder neun Indiana-Jones-Romane geschrieben. Vorher gab es das Buch zum Film. Das war aber nur ein umgearbeitetes Drehbuch und die waren sehr erfolgreich. Der Verlag hat händeringend gesagt: „Ja, warum gibt es nicht mehr Bücher?“ Sie haben mich gefragt, ob ich nicht Indiana Jones-Geschichten schreibe möchte. Dann habe ich zwei, drei Romane geschrieben, wovon der eine recht erfolgreich und der andere ein totaler Flop war. Das war früher eher die Ausnahme, dass erst das Buch kommt und dann der Film, heute ist es umgekehrt.
Blaue Seite: Könnten Sie sich vorstellen, dass eines Ihrer Bücher verfilmt werden würde oder möchten Sie das nicht?
Wolfgang Hohlbein: Mittlerweile ja. Noch vor zehn Jahren habe ich kategorisch nein gesagt, weil ich vom deutschen Kino einfach nichts gehalten habe. Das hat sich gründlich geändert. Wir haben ganz tolle deutschen Filmemacher, Regisseure und Schauspieler. Mittlerweile kommt Hollywood nach Deutschland, um Trickaufnahmen zu machen. So gut ist das geworden. Auch, dass man als Autor ein großes Mitspracherecht hat. Ich bin zurzeit konkret am Verhandeln wegen zwei verschiedener Themen. Ich darf aber nichts verraten. In zwei, drei Jahren wird sich da etwas tun. Es ist mühsam. Ich war früher ganz erschrocken, als ich zum ersten Mal gehört habe, dass in Amerika zwischen dem ersten Entwurf und der Kinopremiere zehn Jahre liegen. Mittlerweile nur noch sieben Jahre und in Deutschland ist es nicht viel anders. Ich hatte auch schon etliche Options-Verträge, das heißt: dass ein Filmstudio sagt: „Ich gebe dir Summe x, dafür darf ich dann drei Jahre überlegen, ob ich den Film mache.“
Blaue Seite: Was mochten Sie denn an Karl Mays Büchern, da Sie ja durch sie inspiriert wurden?
Wolfgang Hohlbein: Das kann ich heute gar nicht mehr sagen. Ich glaube, dass es die ersten Bücher waren, die ich wirklich gelesen habe. Für mich als Neun- oder Zehnjähriger war Winnetou so etwas wie heute Harry Potter. Und ich glaube, er hat in mir die Lust am Fabulieren und Erzählen geweckt. Ich habe damals zwei Jahre lang nichts anderes gelesen als die damals veröffentlichten 72 Karl-May-Romane. Ich habe aber seither nie wieder reingeguckt, aus Angst, mir den Spaß zu verderben. Vielleicht ist das alles Nostalgie und sie sind gar nicht so gut. Das will ich gar nicht wissen. Man muss sich nicht alle Träume kaputtmachen.
Blaue Seite: Haben Sie denn schon einmal überlegt, eine richtige Liebesgeschichte zu schreiben?
Wolfgang Hohlbein: Nee, das liegt mir nicht. In ein paar Büchern wird es ja angedeutet, aber ich bin auch kein romantischer Typ. So eine große Shakespearesche Romanze liegt mir nicht. Wenn ich eine Geschichte schreiben soll und zumindest hoffe, dass sie gut wird, dann muss es mir auch Spaß machen. Ich habe schon ganz viele, auch lukrative Aufträge abgelehnt, weil ich gesagt habe: „Das kann ich nicht, weil mich das Thema nicht interessiert.“ Das ist auch der Grund, warum ich fantastische Geschichten schreibe oder im weitesten Sinne historische Geschichten. „Mörderhotel“ spielt ja in einer ganz anderen Zeit, die ist mit unserer gar nicht mehr zu vergleichen. Das ist eben das, was mich wirklich interessiert. Ich finde die Bilder, die dabei in meinem Kopf entstehen, ganz toll. Alles andere will ich nicht, kann ich nicht. Und ich bin in der glücklichen Lage, mir aussuchen zu können, was ich schreiben muss. Ich muss keine Barbie-Romane mehr schreiben, um tanken zu können. Täte ich auch nicht mehr.
Blaue Seite: Sie sagten einmal in einem Interview, Sie seien unverbesserlicher Optimist. Aber in Ihren Büchern kommen ziemlich viele Gewaltszenen vor …
Wolfgang Hohlbein: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.
Blaue Seite: Nicht?
Wolfgang Hohlbein: Nein. Überhaupt nichts. In den allermeisten Fällen gewinnt bei mir ja doch das Gute. Ein, zwei Mal hab ich mir den Spaß erlaubt und es nicht gewinnen lassen. Aber ich würde sagen, in 95% der Fälle gewinnt es. Und natürlich schreibe ich spannende Abenteuer-Action-Geschichten. Da geht’s nun mal nicht ohne – wie das Wort schon sagt – Action, heroische Kämpfe, manchmal eben auch Gewalt. „Mörderhotel“ ist etwas ganz anderes, da ist es nicht so Indiana-Jones-mäßig, Peitsche schwingend irgendwelche Skelette vom Pferd holen. In den meisten fantastischen Romanen ist das so weit hergeholt, das erschreckt mich dann auch nicht. Das ist wie in einem Computerspiel: Da schieße ich auch drei Kolonien Marsmenschen ab und habe kein schlechtes Gefühl dabei. Aber ich könnte kein Spiel spielen, wo es dann auf einmal französische Soldaten in der Revolution oder bei Waterloo wären. Das wäre mir zu realistisch. Deshalb schaue ich mir auch gerne die Tolkien-Filme, wie „Herr der Ringe“, an, mit großen Schlachtszenen. Ich finde das toll, wenn hunderttausend Orks gegen zehntausend Elben kämpfen. Aber ich würde mir nie einen realistischen Film über den Zweiten Weltkrieg sehen, da funktioniert bei mir dieser Abwehrmechanismus nicht mehr, der sagt: „Das ist doch nur ein Spiel.“
Blaue Seite: Sie bezeichnen sich selbst ja als Unterhaltungsautor. Ziehen Sie in Betracht, das irgendwann zu ändern?
Wolfgang Hohlbein: Nein, um Gottes Willen, warum sollte ich? Soll ich ein langweiliger Autor werden? Ich glaube, Deutschland ist eins der wenigen Länder, wo überhaupt diese Unterschiede gemacht werden. Wo ist denn auch der Unterschied zwischen Unterhaltung und hoher Literatur? Wenn Literatur langweilig ist, will man sie eigentlich gar nicht lesen – es sei denn man muss, weil der Lehrer es sagt. Natürlich gibt es auch ganz spannende Literatur, aber das sind dann eben die Sachen, die auch unterhaltende Elemente beinhalten. Auch so typisch deutsch ist, dass das Wort „Unterhaltung“ sofort negativ belegt ist. Wenn ich Kollegen, die hohe Literatur schreiben, erzähle, dass ich nie länger als ein halbes Jahr für ein Buch brauche, dann bin ich sofort unten durch. Aber etwas, das schnell geht und das einem auch Spaß macht, wo man sich nicht jedes Wort abquälen muss und auch noch Geld damit verdient – das ist doch großartig.
Blaue Seite: Und natürlich darf auch eine Frage zu Ihrem ersten großen Erfolg „Märchenmond“ nicht fehlen. Glauben Sie an einen Ort, an dem Träume Wirklichkeit sind?
Wolfgang Hohlbein: Das weiß ich nicht, das muss jeder für sich entscheiden. Ich fände das auch gar nicht gut. Das ist so eine philosophische Frage, darauf könnte ich jetzt ganz viele, unglaublich schlaue Sachen sagen – tue ich aber nicht. Aber wenn jeder von uns diesen Ort in sich selber hat, sein eigenes Paradies findet und nach seinen eigenen Maßstäben lebt, dann haben wir ihn ja schon.
Blaue Seite: Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann mit dem Schreiben aufzuhören?
Wolfgang Hohlbein: Ich habe eigentlich zwei Pläne. Plan A ist, dass ich im Alter von 128 Jahren morgens tot am Schreibtisch liege, und Plan B ist ein tödlicher Motorradunfall im Alter von 145. Wenn ich 127 bin, finde ich die Ideen wahrscheinlich gar nicht mehr gut … Schreiben ist und bleibt und war auch immer mein Hobby. Und ich habe tatsächlich mein Hobby zum Beruf gemacht. Dass ich heute davon gut leben kann, ändert nichts daran, dass mir das immer noch genau so viel Spaß macht wie damals, als ich so ungefähr in euren Alter oder sogar noch jünger war und meine ersten Geschichten aufgeschrieben habe. Es macht mir riesigen Spaß, nur Geschichten zu scheiben. Geschichten ausdenken, mag ich gar nicht so gerne – aber das Schreiben, die Bilder, die ich im Kopf habe, die darauf warten, zum Leben erweckt zu werden! Als wir damals unsere ersten größeren Erfolge gelandet haben, sind wir nicht von unserem kleinen Reihenhaus in eine größere Villa gezogen, sondern sind da geblieben, bis heute. So wie das Leben jetzt ist, das ist eigentlich mein Traum. So möchte ich leben. Warum sollte ich also mit dem Schreiben aufhören? Vielleicht entdecke ich in fünf Jahren oder in zwei Tagen ein anderes Hobby … Ich könnte mir nicht vorstellen, welches, aber vielleicht finde ich irgendwann meinen Spaß daran, Filme zu machen oder sonst irgendetwas, keine Ahnung. Ich probiere ja ständig neue Sachen aus. Bisher ist aber noch nichts dabei gewesen, was mir mehr Spaß gemacht hat, als Geschichten zu erzählen.
Blaue Seite: Ein PS hätte ich noch: Sie verkaufen ja Bücher. Machen Sie das, um sich glücklich zu machen oder einfach, weil Sie gerne schreiben?
Wolfgang Hohlbein: Beides, beides. Erstens macht auf jeden Fall das Schreiben Spaß. Wenn ich es nicht geschafft hätte, davon leben zu können, hätte ich es auf jeden Fall als Hobby weiterbetrieben. Es gibt ja ganz viele Hobbyautoren, die es nie geschafft haben oder auch nicht den Mut hatten, es zu versuchen. Wenn mir jemand sagt, dass er meine Bücher nur zur Unterhaltung liest, dann reicht mir das, da habe ich mein Ziel schon erreicht. Aber meine Lieblingsgeschichte, die ich auch immer gerne erzähle, weil sie so toll ist: Vor zehn, fünfzehn Jahren war ich mit meiner Frau auf der Frankfurter Buchmesse auf einer Signierstunde. Es kam eine junge Mutter mit ihrem damals zwölf-, dreizehnjährigen Sohn und hat sich bitter beschwert und gesagt: „Er liest nicht, also den muss ich prügeln, damit er ein Buch liest.“ Dann haben wir seiner Mutter eine Kassettenbox mit sechs Kassetten geschenkt und gesagt: „Geben Sie ihm doch mal das, vielleicht strengt er sich dann ja an.“ Buchmesse vorbei, Geschichte vergessen … Ein Jahr später, wieder auf der Buchmesse, kommt die gleiche Mutter mit ihrem Sohn und hatte diese Kassetten in der Hand. Ich sah sie in der Schlange stehen und dachte: „Was macht sie jetzt? Haut sie mir die um die Ohren? Fand sie die scheußlich?“ Als sie dran war, knallte sie die wirklich auf den Tisch und sagte: „Die können sie wieder haben! Er hat die ersten zwanzig Minuten gehört und gesagt, dass er lieber das Buch lesen würde und seitdem liest er Bücher!“ Das ergänzt sich. Die Geschichte ist so schön, die könnte ich mir gar nicht so ausdenken. Also wenn mir das auch bei fünf oder sechs weiteren gelingt, dann reicht mir das. Wenn die Leute ein paar Stunden Spaß an meinen Geschichten haben – wunderbar! Mehr will ich ja gar nicht.
Blaue Seite: OK! Das ist ja schön.