Interview mit Anna Kuschnarowa

Interview

Fee-Rose Strohschehn und Bona-Katharina Dommert interviewten Anna Kuschnarowa u.a. über ihren neusten Jugendroman „Junkgirl“ am 13. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse.

Blaue Seite: Du hast vor „Junkgirl“ zwei Bücher zum Thema Rechtsextremismus geschrieben. Wieso hast du dich jetzt dem Thema Drogen gewidmet?

Anna Kuschnarowa: Ich finde, dass das Thema Drogen ein sehr faszinierendes Thema ist und es hat schon immer einen sehr großen Reiz auf mich ausgeübt. Ich kann es nachvollziehen, warum Menschen Drogen nehmen, aber natürlich geht von Drogen auch eine ziemlich große Gefahr aus. Ich habe Kontakte zu Leuten, die Drogen genommen haben und arbeite gelegentlich auch in einem Wohnheim, in dem Menschen die substanzabhängig waren wieder resozialisiert werden sollen. Dort habe ich viele Eindrücke gesammelt und ich wollte für die Menschen, die nicht drogenabhängig sind, dieses Suchtgefühl nachstellen, weil es auch viele Leute gibt, die denken: Das kann mir nie passieren! Die Junkies sind doch selber schuld.
Aber ich glaube, dass in bestimmten Situationen im Leben jeder einer Sucht verfallen kann. Vielleicht nicht unbedingt Heroin, aber es gibt ja ganz verschiedene Süchte, die man entwickeln kann von Alkoholismus über harte Drogensucht bis zum Workaholiismus. Ich wollte einfach das krasse Suchtgefühl nachzeichnen.

Blaue Seite: Das Buch erinnert an „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Fragt mal Alice“, aber „Junkgirl“ spielt zur heutigen Zeit. Hat sich deiner Meinung nach, die Drogenszene in den ganzen Jahren überhaupt nicht verändert?

Und das ist eben auch das, was besonders an „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erinnert.
Allerdings ist „Wir Kinder vom Bahnhofzoo“ aus den 80ern und ein Erfahrungsbericht, kein Roman.
Mein Buch sollte in der heutigen Zeit spielen. Der Schauplatz ist zwar auch Berlin, aber auch innerhalb von Berlin hat sich die Drogenszene verschoben. Früher war es eher Bahnhof Zoo, jetzt hat es sich mehr an das Kottbusser Tor verlagert. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo ist zwar trotzdem noch aktuell, aber ich weiß nicht, wie es euch geht, wenn ihr das lest, ob es auch noch so unmittelbar ist oder ob das schon die historische Distanz hat, wo man sagt: „Ja, naja, das war halt in den 80ern…Lange ist’s her.“
Im Übrigen sind Drogen kein Unterschichtsproblem wie viele denken. Ich kenne auch einen Haufen Leute, die aus sehr stabilen Verhältnissen stammen so wie ich (zum Glück habe ich das aber nicht selber erlebt), und die behütet aufgewachsen sind und deren Eltern genügend Geld hatten und die haben aber trotzdem Drogen genommen, weil es sie eben einfach gereizt hat oder aus Kummer und irgendwann steckten die dann halt bis zum Hals da drin. Dieses Unterschichts-Vorurteil wollte ich abbauen. Eine Rezension fand ich recht amüsant, in der sich der Rezensent darüber mokierte, dass Drogen ein Unterschichtsproblem seien und die „Unterschicht“ das Buch ja eh nicht lesen würde. Nach dem Motto: Drogenabhängige lesen nicht und die „Unterschicht“ kann auch gar nicht lesen. Ich fand diesen Kommentar ziemlich snobistisch und er zeugt nur von völliger Unkenntnis der Sachlage. Jeder kann süchtig nach irgendetwas werden.

Blaue Seite: Hast du zu „Junkgirl“ viel Recherche betreiben müssen?

Anna Kuschnarowa: Auf jeden Fall. Auch wenn ich ein paar Leute kenne, die schon stärkere Substanzen genommen haben, musste ich in ganz vielen Fachbüchern nachlesen und Leute befragen. Und eben auch nachgucken, was es überhaupt für Romane über Drogen gibt. Und was mich bei den meisten Romanen gestört hat, war, dass sie aus so einer seltsam distanzierten Perspektive in der dritten Person geschrieben waren. Jemand kennt jemanden, der irgendwie Drogen genommen hat und beschreibt nun mit moralisch erhobenem Zeigefinger aus der Ferne wie dieser Mensch verfällt. Welchen Reiz und welche Verlockungen Drogen aber auch ausmachen und wie hoch andererseits wirklich der Preis für diese Erfahrung ist, hat sich für mich in diesen Büchern nicht dargestellt.

Blaue Seite: Gibt es die Schauplätze der Geschichte wirklich?

Anna Kuschnarowa: Ich hatte von Anfang an mit dem Gedanken gespielt, „Alice im Wunderland“ leitmotivisch mit einzubauen und deshalb bin ich auch auf den Namen Alissa gekommen. Ich wollte nicht, dass sie Alice heißt, sondern, dass sie eine Alice wird. Alice im Wunderland bricht ja auch in eine ganz neue, faszinierende, vielleicht auch verstörende Welt auf und deshalb habe ich einen Namen gesucht, der mir gefällt und der so ähnlich wie Alice klingt, aber doch anders ist.
Bei den anderen Namen ist es schwer zu erklären, wie ich darauf gekommen bin. Das war mehr so eine Gefühlssache. Ich muss mich in die Namen hineinfühlen und dann denken, die Figur muss soundso sein und soundso aussehen.
Leander zum Beispiel finde ich einen ganz tollen Namen, der relativ selten ist und hochsprachlich wirkt. Da dachte ich, Leander passt total gut zu einem Typen, der sich hinter seinem Zynismus verbirgt, aber eigentlich ein ganz lieber Kerl ist und mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hat.
Bei Tara gefällt mir einfach der Klang und gleichzeitig gab es bei Nightwish mal eine Sängerin, die hieß Tara. Die fand ich ganz toll.
Den Namen Pia finde ich eigentlich total blöd. Und das war dann schon eine bewusstere Entscheidung, da es „die Gläubige“ heißt und mir die Figur Pia mit all ihrem Bravsein auch nicht übermäßig sympathisch ist.
Aber manchmal spielt es auch eine Rolle, was für Leute man mit dem Namen kennt und was man damit verbindet. Teils ist es eben bewusst und teils auch eine emotionale und eher unbewusste Sache.

Blaue Seite: Stand die Liebesbeziehung zwischen Alissa und Tara von Anfang an fest und warum hast du dich ausgerechnet für Homosexualität entschieden?

Anna Kuschnarowa: Ich wollte in gewisser Weise provozieren. In den meisten Drogenbüchern gibt es meistens einen Jungen, der Drogen nimmt und das Mädchen, seine Freundin, mit reinzieht. Es stand für mich von Anfang an fest, Homosexualität eben mal nicht als Problem zu thematisieren, sondern als ganz normale Gegebenheit. Natürlich hätten Alissas Eltern mit ihrer Sexualität ein Problem gehabt, wenn sie es denn gewusst hätten. Aber für mich ist es völlig egal, ob sich nun Mann und Frau, zwei Frauen oder zwei Männer lieben. Jede Form ist ganz normal und jeder und jede sollte das so machen wie er oder sie will. Ich finde es schlimm, dass in beinahe jedem Buch, in dem es um Homosexualität geht, es immer ein riesiges Problem ist und ich glaube, dass, wenn man alles problematisiert, Probleme oft auch erst entstehen. Wenn man eine homoerotische Neigung hat und dann lauter Problembücher darüber gelesen hat, dann muss man ja auch fast Angst vor einem Coming- Out bekommen. Von daher fand ich es auch lustig, dass das Buch in manchen Rezensionen als Coming- Out- Roman gefeiert wurde.

Blaue Seite: Was erhoffst du dir mit deinen Büchern zu erreichen?

Aber ich finde, dass die eigene Religion nur bis zur Grenze des anderen gehen darf. Damit meine ich, dass Religion ins Privatleben gehört und niemand versuchen sollte, einen anderen zu missionieren oder Politik und Religion miteinander zu vermischen. Leider sehe ich da im Moment so eine Tendenz, dass immer mehr Freikirchen mit ganz reaktionären Ansichten sich breitmachen und beispielsweise die Evolution anzweifeln. Das finde ich wirklich ziemlich bedenklich.

Blaue Seite: Konntest du dir schon als Jugendliche vorstellen, mal Fotografin und Autorin zu werden?

Anna Kuschnarowa: Ja, ich hatte es gehofft (lacht), auch wenn ich erst was ganz anderes studiert habe, nämlich Ägyptologie. Aber seit ich das Alphabet konnte, habe ich atemberaubend seltsame Geschichten geschrieben. In denen spielten z.B. ein Hahn und die Kirche, ich war also vielleicht doch geprägt (lacht), und eine Hexe eine wichtige Rolle. Und als Teenie war ich auch in einem Schreibzirkel, der den bedeutungsschwangeren Namen: „Der Club der lebenden Dichter“ hatte, das war kurz nachdem „der Club der toten Dichter“ rauskam und da habe ich mir eingebildet: Irgendwann werde ich Autorin.

Blaue Seite: Gibt es Personen, die dich beim Schreiben inspirieren?

Blaue Seite: Können wir noch weitere Bücher erwarten?

Anna Kuschnarowa: Ja, im Moment gibt es rege Verhandlungen, was das nächste Buch betrifft, aber ich darf natürlich noch nicht verraten, worum es geht. Ganz neues Thema, diesmal einen Jungen als Helden. Nur soviel: Es wird wahrscheinlich unter anderem nach Afrika gehen.


Blaue Seite: Wie oft liest du Bücher, die dir sehr gut gefallen?

Anna Kuschnarowa: Meine Kinderbücher „Die Brüder Löwenherz“ habe ich bestimmt 15-mal gelesen. (lacht) Alle 2 Jahre habe ich das Bedürfnis „Die Brüder Löwenherz“ und „Ronja“ oder „Pipi Langstrumpf“ zu lesen.

Blaue Seite: In wie vielen Ländern bist du schon gewesen?

Anna Kuschnarowa: Ich glaub in vielen (lacht). Am meisten hat mich Indien beeindruckt und Kaschmir (lacht).

Blaue Seite: Beschreibe dich selbst in 4 Worten

Anna Kuschnarowa: verrückt, wissbegierig, neugierig, experimentierwütig

Blaue Seite: Auf was achtest du zuerst bei anderen Menschen?

Anna Kuschnarowa: Auf die Augen.

Blaue Seite: Das peinlichste was mir je passiert ist, war…

Anna Kuschnarowa:…als ich bei einer Autogrammstunde, aber nicht bei meiner eigenen, auf das Ende eines Vorhangs getreten bin, der dann auf die versammelte Mannschaft gefallen ist. Verletzt wurde aber niemand. Es waren nur alle ziemlich irritiert. Da war ich 13, aber es ist mir heute noch peinlich. (lacht)

Blaue Seite: Was assoziierst du mit einer blauen Seite?

Anna Kuschnarowa: Information, es erinnert mich an Zeitung. Und blau ist ja eine klassische Dichterfarbe. Der Himmel ist blau. Freiheit, Weite, Kunst und klares Denken

RedakteurRedakteur: Fee, Bona
FotosFotos: Bjarne
Titel von Kuschnarowa, Anna
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