Interview mit Barry Jonsberg
Beim 16. Bücherpiraten-Festival vor einigen Wochen hatte die Blaue Seite die Gelegenheit, den australischen Autoren Barry Jonsberg zu seinem neuen Buch "Was so in mir steckt" zu interviewen.
Blaue Seite: Ich habe einige Fragen zu Ihrem Buch „Was so in mir steckt“. Im Buch stellt sich Rob verschiedenen Herausforderungen. Was waren die größten Herausforderungen in Ihrem Leben?
Barry Jonsberg: Oh, das ist eine interessante Frage. Die größten Herausforderungen ... Ich schätze, da gab es einige. Als ich in Robs Alter war, vor langer, langer Zeit, betraf wohl das größte Problem meine erste Freundin. Meine Eltern konnten sie nicht ausstehen. Rückblickend kann ich das verstehen, aber zu dem Zeitpunkt mochte ich sie sehr gerne. Das hat zu vielen Problemen und großen Streitereien zwischen mir und meinen Eltern geführt. Am Ende habe ich sie geheiratet – großer Fehler. Wir haben damals auch geheiratet, weil meine Eltern sie nicht mochten. Das hat uns zusammengeschweißt. Eine knifflige Zeit in meinem Leben.
Dann sind wir 1999 von England nach Australien gezogen. Die Kinder meiner Frau und meine Stieftochter Lauren waren ungefähr elf und zwölf. Es war hart, von einem Ende der Welt ans andere zu reisen. Wir hatten keine Jobs und praktisch kein Geld, als wir in Australien ankamen. Die Kinder waren in England zur Schule gegangen und mussten plötzlich mit dem neuen System in Australien zurechtkommen. Das war eine Herausforderung, aber es wurde am Ende eine tolle Herausforderung. Die ganze Familie ist in Australien aufgeblüht besonders in Darwin, oben im Nordterritorium. Meine Tochter ist jetzt Ministerin für die Künste in der Regierung des Territoriums. Brandon hat sich auch gut gemacht und ist glücklich. Meine Frau arbeitet dort als Englischlehrerin und ich habe zwanzig Bücher veröffentlicht, seit wir umgezogen sind. Das war also eine Herausforderung, aber sie war es wert.
BS: Das kann ich mir vorstellen. Apropos Herausforderungen. Ich habe gelesen, dass Sie einige Tage die Woche unterrichten?
BJ: Früher, jetzt habe ich damit aufgehört. Als mein erstes Buch veröffentlicht wurde, habe ich versucht, das Unterrichten für eine Weile aufzugeben, um mich auf das Schreiben zu konzentrieren. Aber ich habe gemerkt, dass ich Unterrichten genauso liebe wie Bücher zu schreiben. Also bin ich in Teilzeit zurückgekehrt. Eine Zeit lang bin eingesprungen, wenn ein Lehrer weg war und das war okay. Aber ich hatte keine eigenen Klassen, sodass ich die Schüler nicht richtig kennenlernen konnte. Dann bin ich als sogenannter „0,5-Lehrer” zurückgegangen, als halber Lehrer. Zweieinhalb Tage die Woche unterrichtete ich meine Klassen und den Rest der Zeit schrieb ich meine Bücher. Das war eine fantastische Zeit. Aber vor drei Jahren hatte ich einen großen Streit mit dem Direktor meiner Schule. Da sagte ich: „Ich höre auf.“ Also habe ich aufgehört, zu unterrichten, und bin seitdem Vollzeit-Autor.
BS: Können Sie sich vorstellen, je zum Unterrichten zurückzukehren?
BJ: Meine Frau sagt immer, dass ich das machen soll. Sie glaubt, dass ich damals glücklicher war. Aber ich werde jetzt ein bisschen zu alt dafür. Ich war 37 Jahre lang Lehrer. Das ist ziemlich lang für den gleichen Job. Ich glaube, um als Lehrer zu überleben, musst du einigermaßen jung und voller Energie sein. Und ich bin nicht mehr jung und habe nicht mehr so viel Energie. Also muss ich vielleicht einfach akzeptieren, dass diese Zeit vorbei ist. Von Zeit zu Zeit vermisse ich das Unterrichten. Deshalb machen mir Veranstaltungen wie heute Morgen solchen Spaß. Da waren neunzig Kinder im Raum und ich habe meine Präsentation gehalten. Diese Interaktion mit jungen Leuten ist fantastisch. Ich reise als Autor viel in Australien herum, sehe Kinder in Schulen – also kriege ich meine Dosis Unterricht wohl auf diesem Weg.
BS: Wurden Sie durch das Lehren oder durch Ihre Schüler zu einigen Ihrer Bücher inspiriert?
BJ: Die Leute fragen mich: „Wie hat Ihr Job als Englischlehrer Ihr Schreiben beeinflusst?“ Als ich mein erstes Buch schrieb, sagte man mir: „Schreibe darüber, was du kennst.“ Ich kannte junge Leute. Als ich nach Charakteren für eine Geschichte suchte, fielen mir fast instinktiv junge Figuren ein. Besonders in meinem ersten Buch „Die Sache mit Kiffo und mir“: Kiffo ist ein Unruhestifter. Er ist ein schwieriges Kind in der Klasse und interessiert sich nicht für die Schule. Die Figur Kiffo entstand aus einer Gruppe von Kindern. Sie saßen hinten im Klassenraum, waren zu cool für die Schule, wollten nie Sport machen, arbeiteten nie mit – weil das nicht cool war. Ich kam immer echt gut mit diesen Kindern zurecht. Anstatt genervt zu sein, dass sie niemals etwas für mich taten, mochte ich sie. Ich habe mich nie richtig mit dysfunktionalen Kindern angefreundet, aber wir respektierten uns gegenseitig. Weil ich sie nicht dafür verurteilt habe, dass sie Schule für sinnlos hielten. Ich hatte von Anfang an eine Art von Affinität zu diesen Kindern, das geht bis heute. Bei Schulbesuchen kommt manchmal ein Lehrer und sagt: „Das ist die 9B. Niemand wird dir zuhören. Ich warne dich: Die 9B ist die Hölle auf Erden. Sie sind furchtbar, haben viele Probleme, werden dir Unflätigkeiten zurufen und so weiter.“ Dann sage ich immer: „Gut, ich mag diese Kinder.“ Und bis jetzt hat mich niemand beschimpft. Normalerweise bringe ich sie zum Lachen, dann habe ich sie auf meiner Seite. Bei den sehr braven Kindern ist es häufig so, dass sie dasitzen und sich nicht trauen, ein Geräusch zu machen, weil der Lehrer sonst „Stopp!“ sagt. Bei ihnen sind Veranstaltungen oft langweilig, weil sie nicht richtig mitmachen. Ich habe vergessen, wie die ursprüngliche Frage war, ich bin zu etwas anderem übergegangen… Aber schlechte Schüler inspirieren mich. Ich schreibe über junge Leute und das muss auf meiner Lehrerfahrung basieren. Aber in meinen Büchern verarbeite ich nie konkrete Ereignisse oder reale Schüler.
BS: Und wie wäre es für Sie gewesen, Rob zu unterrichten?
BJ: Ich habe viele Kinder wie Rob unterrichtet. Rob ist irgendwie schüchtern, hat keine wirklichen Beziehungen zu anderen Kindern, außer seinem besten Freund – und Rob ist natürlich, wie wir nach drei Vierteln des Buches herausfinden, transsexuell. Er erfährt dadurch eine Identitätsstörung und seine Gefühlswelt ist durcheinander.
Ich habe viele Kinder unterrichtet, die so etwas erfahren haben, homosexuelle Kinder, transsexuelle Kinder. Einige gingen recht offen damit um, andere waren nicht dazu bereit, sich gegenüber der Klasse zu outen.
Die Figuren Stephanie Spillet und Ira Racines sind ehemalige Schülerinnen von mir. Beide sind lesbisch und Stephanie hat sich lange Zeit als Junge identifiziert. Als sie in meiner Klasse war, wusste nur ich, dass sie sich als weiblich definiert. Sie wurde nie Stephanie genannt, sie bestand darauf, Spillet genannt zu werden. Als ich dieses Buch schrieb, war sie von Darwin nach Melbourne gezogen und studierte dort Schauspiel. Ich hatte noch Kontakt zu ihr und habe sie nach ihren Erfahrungen an der Schule gefragt: die Unsicherheit in Bezug auf ihre geschlechtliche Identität und ihr Outing als homosexuell. Das Interessante daran: Als Spillet am Ende des Schuljahres ihre weibliche Identität enthüllte, sagten die meisten Kinder: „Ach, du bist Stephanie.“ Sie sagte: „Ja!“ und die anderen: „Cool!“. Die Kinder hatten kein Problem damit, dass Stephanie sich zu dieser Zeit in ihrem Leben als männlich identifiziert hat. Auf der weiterführenden Schule haben alle ihre Geschlechtsidentität, ihre sexuelle Orientierung und ihren Lebensweg akzeptiert. Das war in der Grundschule nicht so: Da wurde sie sehr schlimm gemobbt. Der Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule war für sie eine große Befreiung. Dort konnte sie sie selbst sein und wurde akzeptiert. Stephanie hatte großen Einfluss auf das Buch und ... Ich habe wieder die Frage vergessen.
Wie es für mich wäre, Rob zu unterrichten – grundsätzlich lautet die Antwort: Sie alle sind Schüler und Menschen. Du reagierst auf jeden Schüler als Individuum. Du akzeptierst, dass sie – wie wir alle – ihre Dämonen haben. Wir alle haben unsere eigenen Probleme, unsere eigenen Unsicherheiten, unsere eigene Sicht auf die Welt. Ich bin glücklich, dass ich Menschen wie Rob in meinem Leben unterrichtet habe.
BS: Dann identifizieren Sie sich vielleicht eher mit Mrs. Pritchett als mit Rob?
BJ: Ja, obwohl ich nicht qualifiziert bin, Menschen wie Rob zu ihren Problemen zu beraten, und es deshalb nie versuchen würde. Als Lehrer habe ich immer versucht, ein offenes Ohr zu haben. Ich sagte immer zu den Schülern: „Wenn du Probleme hast und mit mir reden willst, ist das okay. Aber ich bin Englischlehrer und kein Therapeut. Also erwarte nicht zu viel von mir. Aber ich höre dir zu.“ Als Lehrer musst du daran interessiert sein, was die Schüler bewegt. Nur so kann man verstehen, was sie gerade beschäftigt und warum sie sich im Unterricht auf ihre Weise verhalten.
BS: Ist Rob in bestimmter Hinsicht ein Vorbild für Sie?
BJ: Ein Vorbild? Nein, Rob ist nur ein Kind. Wenn dieses Buch eine Aussage hat, dann die, dass Rob nur ein Kind ist. Er unterscheidet sich nicht von den anderen. Es sollte kein Problembuch werden. Ich habe mir nicht gesagt: „Oh, ich schreibe ein Buch über ein transsexuelles Kind, lasst uns alle etwas toleranter sein.“ Das sagt auch Rob am Ende zu Mrs. Pritchett: „Sehen Sie, ich fühle mich normal. Ich hatte ein paar Probleme, aber die Kinder um mich herum ...“ Sie erwidert: „Aber du hattest so viele Probleme.“ Darauf antwortet Rob: „Ja, ein paar Kinder haben mir viel Ärger bereitet. Aber die meisten akzeptieren mich so, wie ich bin.“ Die Aussage wollte ich anbringen. Als ich in Großbritannien Lehrer war, waren etwa 99 Prozent der Schüler weiße Mittelschichtkinder und ziemlich gut erzogen. Als ich in Australien in meine erste Klasse ging, war das ein Aha-Erlebnis: Fast jede Hautfarbe war vertreten. Es gab afrikanische, indigene, asiatische Kinder – ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Menschen. Das war schon eine Überraschung. Nach einigen Monaten bemerkst du das gar nicht mehr, weil sie alle Kinder sind.
Und sie waren sehr verständnisvoll. Die Kinder in Darwin sind sehr tolerant gegenüber unterschiedlichen Menschen, sei es die Hautfarbe, die sexuelle Orientierung – niemanden schenkt dem große Beachtung. Ich glaube, sie sind tendenziell toleranter als meine Schüler in Großbritannien. Einfach, weil die Schule so ein Schmelztiegel war.
Das ist es, was Rob am Ende des Buches meint: Kinder interessiert so etwas nicht. Im Allgemeinen akzeptieren junge Leute Unterschiede und das ist toll, das gibt Hoffnung für die Zukunft. Ich bin optimistisch, solange junge Leute dieses Verständnis haben und versuchen, etwas an dem fürchterlichen Zustand der Welt zu ändern, in dem wir alten Leute sie hinterlassen. Ich entschuldige mich dafür, euch Dinge wie die Erderwärmung und alles Weitere zu überlassen. Ich hoffe nur, dass ihr das besser hinkriegt als wir.
BS: Ich versuche es. Was mich an Ihrem Buch beeindruckt, ist tatsächlich die Botschaft, dass Rob nur ein normales Kind ist. Denn das wird meiner Meinung nach nicht oft in Büchern mit dieser Thematik gesagt. Aber eine andere Sache, die ich wirklich bewundernswert fand, ist, wie emotional dieses Buch für mich war: Ich habe gelacht und geweint – echte Tränen.
BJ: Oh, gut. Das ist schön zu hören.
BS: Wie ist es für Sie mit Ihren eigenen Büchern? Denken Sie „Jetzt habe ich es geschrieben und es ist vorbei“?
BJ: Interessante Frage. Teilweise ist es dieses Gefühl von: „Das Buch ist fertig, weiter geht’s.“ Es gibt immer das nächste Buch zu schreiben. Und wie ich heute Morgen bei „Das Blubbern von Glück“ erwähnte: Es war mein meistverkauftes Buch in Australien und, wie ich meine, in der Welt. Es kam auch in Deutschland gut an, viele Exemplare wurden hier verkauft.
Aber als ich es beendet hatte, sagte ich: „Das zu schreiben hat Spaß gemacht. Jetzt wird es wird veröffentlicht.“ Und dann schrieb ich bereits das nächste, eine dystopische Trilogie, glaube ich. Ich habe mich nur auf diese Geschichte konzentriert. „Das Blubbern von Glück“ war für mich Vergangenheit. Jetzt wird es zu einem großen Kinofilm mit Miriam Margolyes aus Harry Potter – sie spielt Professor Sprout. Der Film hatte gerade Premiere beim Melbourne International Film Festival. Nächstes Jahr wird er landes- und hoffentlich auch weltweit veröffentlicht. Ich spiele im Film übrigens eine winzige Rolle.
Der Film hat das sechs Jahre alte Buch plötzlich zurück in mein Bewusstsein gebracht.
Aber generell ist ein Buch am Ende für mich abgeschlossen. Meistens lese ich sie auch nicht noch einmal. Dazu bin ich zu sehr mit meinem Schreiben beschäftigt.
Aber als ich mich auf diese Veranstaltung hier vorbereitet habe, habe ich die Bücher noch mal gelesen. Zum ersten Mal seit sechs Jahren! Sie gefielen mir richtig gut und ich dachte: „Das ist in Ordnung.“ Ich habe „Was so in mir steckt“ nicht mehr gelesen, seit ich es geschrieben habe. Aber es wurde erst vor einem Jahr veröffentlicht, also erinnere ich mich noch sehr gut daran.
Eine der Geschichten, die ich den Kindern heute Morgen erzählt habe, war über mein allererstes Buch, „Die Sache mit Kiffo und mir“. Ich bin es während des Überarbeitens so oft durchgegangen, dass ich es satt hatte, einfach satt. Als es veröffentlicht wurde, sagte ich: „Gott sei Dank muss ich das nie wieder lesen.“. Von Zeit zu Zeit lese ich kurze Abschnitte, aber ich habe vergessen, was darin passiert.
Vor ein paar Jahren war ich an einer Schule, die sich mit dem Buch beschäftigt hatte. Da fragte ein Mädchen: „In Kapitel 14 geht Kiffo zum Haus seines Bruder. Da ist etwas auf dem Kaminsims und es wird sauber gewischt. Was bedeutet das?“ Und ich konnte mich nicht mal daran erinnern, dass Kiffo einen verdammten Bruder hatte. Am Ende der Veranstaltung waren die Kinder wahrscheinlich überzeugt, dass ich gar nicht derjenige war, der das Buch tatsächlich geschrieben hatte. Ich sagte: „Ich weiß es nicht, sag du es mir. Ich kann mich nicht erinnern.“ Sie waren etwas enttäuscht und vielleicht verwundert.
Alle meiner Bücher fühlen sich an wie Kinder, sie bedeuten mir alle etwas. Aber das Buch, das in meinem Kopf ist und als nächstes kommt, bedeutet mir mehr. Ich denke immer an das nächste Buch und verweile nicht zu sehr in der Vergangenheit. Es wäre schön, wenn „Was so in mir steckt“ besonders in Deutschland gut aufgenommen wird. Es scheint sich in Australien im letzten Jahr gut verkauft zu haben. Man überlegt, daraus auch einen Film zu machen. Das ist irgendwie cool. Aber es geht schon wieder ans nächste Buch. Also ist die Antwort, dass ich meine Charaktere und Bücher liebe, aber ich immer an das nächste Buch denke.
BS: Ich werde Sie noch ein bisschen länger mit diesem Buch behelligen müssen. Wie Sie sagten, wurde das Buch vor etwas über einem Jahr veröffentlicht, jedenfalls in Australien. Gibt es rückblickend etwas, dass Sie jetzt lieber anders geschrieben hätten?
BJ: Nicht wirklich. Ich sagte ja, dass ich manchmal kleine Teile aus „Kiffo“ vor Schülern lese. Wenn ich diese Passagen lese, denke ich immer: „Oh mein Gott, ich wünschte, ich hätte das nicht getan.“ Weil ich zu der Zeit nicht wusste, was ich tue und das war okay. Jetzt denke ich, ich hätte andere Formulierungen benutzen sollen, ich hätte dies oder das nicht sagen sollen, dieses ist ungeschickt, jenes ist schlecht und etwas anderes hätte ich ganz streichen sollen. Jetzt bin ich viel überlegter.
Ich schreibe schnell. „Was so in mir steckt“ habe ich in etwa drei Monaten geschrieben. Dann fing ich ein anderes Buch an, wie man es so tut. Dann bin ich das Buch sehr sorgfältig durchgegangen. Meine Frau las es und hat Vorschläge gemacht. Sie sagte manchmal, dass etwas nicht funktioniere und ich habe manchmal zugestimmt. So habe ich es mehrmals neu geschrieben, bevor ich es abgeschickt habe. Dann haben meine Herausgeber gesagt: „Dieser kleine Teil funktioniert in unseren Augen nicht.“ Daran habe ich dann gearbeitet. Sie hielten das Ende für zu abrupt, vielleicht war der Spannungsbogen nicht genug entwickelt.
Im Original beende ich das Buch bald nachdem Rob auf der Bühne gesagt hat, er sei transsexuell. Das Buch endete vier, fünf Seiten danach. Meine Verleger meinten, als hätte ich versucht, am Ende eine Wendung zu schreiben und sagen: „Hey, ich habe diese Wendung geschrieben. Ich bin so clever, ich hoffe, ihr habt es nicht bemerkt! Aber jetzt bin ich fertig.“
Sie meinten, das würde dem Buch nicht gerecht werden. Robs Entwicklung bräuchte mehr Raum.
Dem habe ich zugestimmt. Wie sich die Dinge zwischen Rob und Destry auflösen, zum Beispiel. Dann fand ich die Idee von einer Lehrerin, die plötzlich magischerweise auftaucht, wann immer es Ärger gibt, irgendwie cool – Mrs. Pritchett. Das ist ganz klar eine Übertreibung. Ich dachte mir, ich mache aus Mrs. Pritchett eine Art Therapeutin. Es war ein Spaß von mir..
Als das Buch bereit zur Veröffentlichung war, dachte ich: „Das ist Buch ist so gut, wie es hätte sein können.“ Das heißt nicht, dass es nicht noch hätte verbessert werden können. Aber ich habe meine Ziele mit diesem Buch auf die beste mir mögliche Weise erreicht.
Wenn ich jetzt darauf zurückblicke, gibt es nichts, das ich ändern würde. Auch, weil ich es einfach nicht kann. Sobald es vorbei ist, ist es vorbei. Das ist eine der Lektionen, die ich früh in meiner Schreibkarriere gelernt habe: Wenn du ein Buch einmal beendet hast und es veröffentlicht ist, gibt es keinen Weg zurück.
BS: Sie meinten, „Kiffo“ sei für Sie besonders, weil es Ihr erstes Buch war. Was macht „Was so in mir steckt“ besonders für Sie?
BJ: Dieses Buch wurde zuletzt veröffentlicht. Es ist mein Baby und ich bin stolz darauf. Beim Schreiben hatte ich die Befürchtung, dass die Leute denken, ich wollte nur ein gerade angesagtes Problemthema verarbeiten. „Ein Buch über transsexuelle Kinder wird sich bestimmt gut verkaufen.“ Aber darum ging es mir nie.
Ich schreibe die Geschichten, die ich schreiben möchte. Was andere darüber denken, interessiert mich nicht unbedingt. Ich liebe Rob, weil er trotz der schwierigen Zeit weiter optimistisch den Menschen und der Welt gegenübersteht. Ja, es gibt Schlimmes in dieser Welt, das gab es schon immer. Aber solange es gute Menschen gibt, die etwas dagegen unternehmen, kannst du hoffen.
Als Autor mag ich dieses Wechselspiel zwischen Tragödie und Komödie. Ich mag am liebsten Bücher, die mich zum Lachen bringen – in denen mich aber gleichzeitig kleine Details fast zum Weinen bringen. Als ich den Film zum Buch „Das Blubbern von Glück“, der „H is for Happiness“ heißt, gesehen habe, habe ich geweint. Dabei waren es meine Charaktere und das meiste in der Geschichte waren meine Idee. Aber die plötzlichen Wendungen von komischen zu bewegenden Situationen haben mich berührt.
BS: Was haben Sie und Rob gemeinsam? Diesen Optimismus oder eine andere Eigenschaft?
BJ: Ich hatte es vorhin ja schon einmal gesagt: Ich sehe eine positive Zukunft für die Menschheit – trotz all der furchtbaren Dinge, die in der Welt vor sich gehen. Die Menschen sind unverwüstlich und wie Rob denke auch ich, dass Menschen generell gut sind. Wir tendieren dazu, von den bösen Menschen besessen zu sein. Bei einer Schießerei in den USA zum Beispiel denken viele: „Oh Gott, da drüben wird es immer brutaler.“ Ich hingegen glaube, die Leute werden friedlicher. Aber die Medien – ich werde sie nicht Fake-Medien nennen – können Nachrichten jetzt viel ausgeklügelter und umfassender verbreiten. Vergewaltigungen, Morde und Massentötungen gibt es schon seit langer, langer Zeit, aber man hat nicht über sie gelesen, weil Zeitungen an solchen Dingen nicht wirklich interessiert waren. Wenn jetzt etwas Schlimmes passiert, kriegen wir es sofort mit. Alle Statistiken sagen, dass die Welt sicherer und besserer wird – wenn man die Erderwärmung außen vor lässt. Weltweit geht die Armut zurück, obwohl es immer noch schlimm ist. Weltweit können immer mehr Menschen lesen, obwohl es an vielen Orten immer noch schlimm ist. Alles wird besser, also warum fühlt es sich so an als würde alles schlimmer werden? Rob, Candice und andere Charaktere haben diese Entschlossenheit, dass die Welt ein schöner Ort zum Leben und die Zukunft gut ist. Wir müssen nur darauf vertrauen. Und unsere Leben nicht als Heilige leben, sondern so gut wir eben können.
BS: Wo wir bei schlechten Nachrichten sind, wie kommen Sie mit negativer Kritik zurecht?
BJ: Zum Glück bekomme ich nicht so viele negative Bewertungen. Auf GoodReads kriege ich ein paar negative Rezensionen. „Was so in mir steckt“ hat etwa vier Sterne, der Großteil der Leute scheint es zu mögen. Aber es gab auch jemanden, der meinte: „Ich würde lieber Farbe beim Trocknen zusehen, als dieses Buch zu lesen, es war einfach furchtbar.“
BS: Jemand ohne Geschmack, ganz klar.
BJ: Ich fand es urkomisch. Die einen sagen, dieses Buch ist absoluter Müll – und in der nächsten Rezension steht, es sei das beste Buch, dass der Rezensent je gelesen hat. Ich nehme keine der beiden Varianten zu ernst.
BS: Gibt es etwas, das Sie gerne von einem Leser Ihres Buches wissen würden?
BJ: Ich mag es, persönliche Rückmeldungen zu bekommen. Ich habe einen Brief aus Süddeutschland bekommen. Diese Person hat über meinen Verlag an mich geschrieben. Also kam der Brief mit zwei Monaten Verspätung an. Sie hatte ein selbstgemaltes Bild von Candice beigelegt. Sie lobte das Buch und fragte, wie ich zu der Idee dazu kam. Unglaublich toll: Jemand, der mein Buch gelesen hat, macht sich die Mühe und schreibt einen Brief – keine E-Mail! Einen Brief. Sie hat sich so auf eine Antwort gefreut und die habe ich ihr geschickt. Mit der ganzen Geschichte, wie es zu diesem Buch kam, mit Lesezeichen usw.
Diese Art Feedback ist toll. Die meisten Rezensionen werden von Erwachsenen geschrieben, weil es deren Job ist. Es passiert nicht oft, dass meine Zielgruppe Rezensionen schreibt. Außer auf GoodReads.
Philip Gwynne, ein australischer Autor und Freund von mir, hat „Deadly, Unna?“ geschrieben – ein Bestseller. Aus irgendeinem Grund suchte ich das Buch auf GoodReads. Da waren so viele Bewertungen mit einem Stern. „Dieses Buch ist bescheuert. Weil ich das Buch für meinen Lehrer bewerten musste.“ Dreißig Leute, die einen Stern geben, weil sie gezwungen wurden, das Buch zu bewerten. So viel zu GoodReads.
Vorhin waren da neunzig Kinder in meiner Veranstaltung. Eine Handvoll hatte das Buch gelesen, aber sie waren ehrlich interessiert und haben tolle Fragen gestellt. Deine Zielgruppe zu treffen, ist das Tollste.
BS: Welche Frage hätten Sie sich gerne von mir gestellt bekommen?
BJ: Oh, eine gute Frage. Ich wünschte, ich hätte eine sinnvolle Antwort darauf. Vielleicht: „Wovon handelt Ihr nächstes Buch?“ Oder: „Was war Ihr letztes Buch?“ Denn ich habe inzwischen zwei weitere Bücher geschrieben. Eins basiert auf einem Albtraum meines Schwiegersohns.
Jemand verfolgte ihn und er konnte nur langsam rennen. Dieser jemand schlitzte ihm die Arme mit Klauen auf – ein typischer Alptraum. Als er aufwachte, hatte er Kratzer an seinen Armen. Er hatte sich nachts selbst gekratzt.
Ich habe ein Kapitel geschrieben, in dem ein Kind in einem Alptraum von einem Dämon oder Teufel gejagt wird. Es schlitzt ihm den Rücken auf, er wehrt sich, seine Hände sind mit Blut bedeckt. Als er aufwacht, ist sein Laken voller Blut. Und als er in den Spiegel guckt, ist sein Rücken mit Schnitten übersäht. Als ich das schrieb, spürte ich, dass da wohl ein Buch drinsteckt. Und jetzt liegt es bei meinem Verlag. Aber ich wollte kein übernatürliches Buch mit Geistern und Dämonen schreiben. Es gibt eine rationale Erklärung für das, was passiert – und es passieren entsetzliche Dinge. Ich hoffe, es ist gruselig, aber es gibt eine logische Erklärung für all diese scheinbar übernatürlichen Geschehnisse.
Außerdem habe ich habe ein Buch über künstliche Intelligenz geschrieben, das nächstes Jahr veröffentlicht wird: „Catch Me While I Fall“.
Ich freue mich immer auf das nächste Buch.
BS: Ich fürchte, wir haben nur noch Zeit für die letzte Frage, die wir allen Interviewpartnern stellen. Was bedeutet „Die Blaue Seite“ für Sie?
BJ: „Die Blaue Seite“ ist der Name eurer Internetseite, stimmt‘s? Ich werde jetzt ziemlich philosophisch werden. Wenn ich „blaue Seite“ höre, sehe ich eine leere Seite. Die Farbe Blau würde für mich Optimismus bedeuten, die Farbe des Himmels. Alle Autoren fangen mit einer leeren Seite an und denken: „Okay, ich werde diese Seite mit meiner Geschichte füllen.“ Also steht eine blaue Seite für mich ganz persönlich für Optimismus und einen Schaffensprozess.
BS: Ich finde, das ist eine wunderschöne Interpretation.
BJ: Vielen Dank.
BS: Ich danke Ihnen für das Interview.
BJ: Ich danke dir, dass du mich interviewt hast.