Interview mit Kirsten Boie (2011)
Während des Kinderliteraturfestivals der Bücherpiraten 2011 interviewten Saskia Klaus und Kim Baschant die Autorin Kirsten Boie. Sie hat bereits viele Kinder- und Jugendbücher geschrieben, unter anderem Skogland und Ringel, Rangel, Rosen.
Blaue Seite: Um ersteinmal über Ihr neues Buch zu sprechen, Ringel, Rangel, Rosen, das ja während der großen Sturmflut in Hamburg spielt. Auch Sie kommen aus Hamburg, haben Sie die Sturmflut miterlebt?
Kirsten Boie: Ja, aber nicht als direkt Betroffene. Ich habe damals in einem Stadtteil gelebt, der höher gelegen war, deshalb waren wir nicht so stark betroffen. Ich kann mich aber noch an den starken Sturm erinnern, einen Tag vorher. Ich bin dann mit meinem Vater losgefahren, um zu den Sammelstellen ein paar Sachen zu bringen, wie Kleider, Wolldecken und so etwas. Und eine Tante und ein Onkel von mir haben tatsächlich in diesem am meist betroffenen Stadtteil gelebt, in Wilhelmsburg. Und ein Jahr nach der Flut ist in unserem Haus ein Stockwerk über uns eine Familie mit vier Kindern eingezogen, die die Flut damals auf dem Dach überlebt hat. Also das Ganze war schon relativ dicht an mir dran, und meine Mutter hat damals auch Kinderbücher geschrieben und auch eines über die Sturmflut. Es war also schon Thema bei uns.
Blaue Seite: Gibt es sonst noch autobiografische Bezüge in Ihrem Buch?
Kirsten Boie: Eine ganze Menge. Was ich immer wieder erlebe, wenn ich Leute treffe, die ungefähr in meinem Alter sind, ist, dass die dann sagen, es sei ihnen beim Lesen vorgekommen, als wären sie bei uns im Wohnzimmer gewesen. Das heißt die ganze Art, wie die Menschen damals gelebt haben, das ist natürlich autobiografisch. Wenn man über eine Zeit schreibt, die man selbst erlebt hat, dann fällt einem alles wieder ein, was man gegessen, getrunken hat, wie die Leute sich getroffen haben zum Fernsehen, weil eben nur einer einen Fernseher hatte. Und wie sie alle Salzstangen mitgebracht haben, diese ganzen Geschichten. Und was noch autobiografisch ist, ist die Geschichte mit dem Buch, „Sternkinder“. Das ist damals ja tatsächlich erschienen, hat den deutschen Jugendliteraturpreis bekommen, und das war das erste Mal, dass ich etwas über den Holocaust gelesen habe. Das stimmt auch zeitlich, also ich war damals zwölf, und es ist auch für mich der Anfang gewesen, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
BS: Für welche Altersklasse haben Sie das Buch geschrieben?
Kirsten Boie: Das ist schwierig zu sagen. Also ich denke, es ist nicht zu kompliziert um es ungefähr ab 12 zu lesen. Nur von der Komplexität aus gesehen. Die Frage ist bloß, ob man es auch lesen will. Denn ich denke, man will in dem Alter meistens andere Bücher lesen. Viele lesen lieber Fantasygeschichten zum Beispiel und ich denke, es ist nur eine ganz spezielle Gruppe von Jugendlichen, die vielleicht auch schon leseerfahrener sind, die dann auch Spaß an diesem Buch haben. Aber ich finde das okay. Ich fände es schön, wenn es einige lesen würden, denn ich denke inzwischen immer, dass diese Zeit für viele Jugendliche exotischer ist als zum Beispiel die Tongainseln heute. Dort hört man heutzutage dieselbe Musik, man guckt dieselben Filme, man kommt ins Internet, es ist überhaupt nicht mehr fremd. Aber die Zeit damals ist wirklich vollkommen fremd und deshalb finde ich es wichtig, das auch mal darzustellen.
BS: Und denken Sie, dass Jugendliche Schwierigkeiten haben könnten, das Buch zu verstehen?
Kirsten Boie: Also zu verstehen, das glaube ich eigentlich nicht. Das ist eine Motivationsfrage. Was passieren kann, ist, glaube ich, dass die Jugendlichen sagen, was, die ist dreizehn und dann noch so kindisch?, oder so etwas, weil natürlich auch Entwicklung ganz anders war damals. Wir sind viel langsamer erwachsen geworden.
BS: Und in Bezug auf die zeitliche Einordnung?
Kirsten Boie: Viele Jugendliche wissen sicherlich nichts über die Sturmflut, aber das geht vielen 40-jährigen denke ich genauso. Wer das nicht erlebt hat, weiß sicherlich oft gar nicht, dass es sie überhaupt gab und wenn ja, wann. Deswegen stehen auch immer die Daten vor den einzelnen Abschnitten des Buches. Und was mir auch ganz wichtig ist, in einer Zeitung wurde in einer Kritik erwähnt und auch kritisiert, dass im Buch all diese Dinge zusammen gebracht worden sind wie der Eichmann-Prozess, der Mauerbau, die Sturmflut, – nur war das eben wirklich gleichzeitig. Es war alles zur selben Zeit, wie das sooft ist.
BS: Jetzt einmal ganz generell betrachtet, haben Sie eine Art von Büchern, die Sie am liebsten schreiben?
Kirsten Boie: Nein. Und das ist auch nicht geschwindelt. Kinder fragen ja immer, ob ich ein Lieblingsbuch habe und dann sage ich immer, hab ich nicht, und das ist auch nicht geschwindelt. Das ist sicherlich für jeden Autor unterschiedlich, aber für mich ist es total wichtig, dass ich immer wieder etwas Neues schreiben kann. Also ich bin sehr sicher, wenn ich immer die gleiche Art von Buch schreiben würde, würde ich mich sehr schnell langweilen. Zum Beispiel der Möwenweg, das sind ja alles ganz liebe Geschichten und ich habe auch jede mit ganz viel Spaß geschrieben, aber wenn ich davon sieben Bücher hintereinander geschrieben hätte, dann garantiere ich euch, dass ich spätestens beim dritten gedacht hätte: Oh nee. Ich finde es ganz schön, wenn es immer wieder etwas Neues ist.
BS: Ist es schwierig für Sie, zwischen Jugend- und Kinderbuch zu wechseln? Von der Sprache und auch vom Stil her?
Kirsten Boie: Also in dem Umfang, indem ich es kann, (ich weiß ja auch gar nicht ob es mir überhaupt immer gelingt!), aber in dem Umfang nicht, nein. Denn es ist ja so, dass ich all diese Altersstufen in meinem Leben einmal durchlaufen habe und ich denke, in jedem von uns stecken all diese anderen Stufen noch drin, und man kommt deshalb auch noch an die Jahre heran.
BS: Haben Sie denn generell ein Lieblingsbuch? Mal abgesehen von Ihren eigenen?
Kirsten Boie: Nein, auch nicht. (lacht) Also ich kann sagen, bei Kinderbüchern ist nachwievor Astrid Lindgren ganz hoch oben angesiedelt, weil ich wirklich glaube, dass es kaum einen anderen Autor gibt, der so präzise die Gefühle von Kindern wiedergeben kann. Das finde ich ganz großartig. Und mir geht es bis heute so, dass ich, wenn ich diese Bücher lese, so in die Kindheit eintauche. Und das ist eine große Leistung von Astrid Lindgren, finde ich. – Das gilt für die Frage nach einem Lieblingsbuch bei Kinderbüchern. Bei Erwachsenenbüchern wechselt das Buch immermal wieder, weil ich immer wieder etwas Neues lese.
BS: Würden Sie denn sagen, dass Sie gerne auch etwas von Astrid Lindgren hätten?
Kirsten Boie: Das fände ich schon toll. Aber ich glaube, man kann heute auch gar nicht mehr in genau der Form schreiben, weil sie in einer ganz anderen Zeit geschrieben hat, für eine ganz andere Leserschaft. Und ich denke, sie würde heute wahrscheinlich auch anders schreiben, nicht schlechter, ich glaube die Frau war schon ziemlich toll. Ihre Tochter übersetzt ja meine Bücher ins Schwedische und ich war vor einem oder eineinhalb Jahren in Stockholm und da sind wir in die Wohnung ihrer Mutter gegangen, weil es so furchtbar geregnet hat, nicht etwa, weil sie mir die Wohnung jetzt gerne zeigen wollte. Und da habe ich eben auch die verschiedenen Räume gesehen, überall die Bücherregale. Und was diese Frau, die ja nun nur so kindliche Bücher geschrieben hat, – es gibt ja viele, die sagen, wie kann man in dem Alter noch so kindlich sein! -, was sie gelesen hat bis zu ihrem Tod, die gesamte Weltliteratur gelesen, auch die Neuerscheinungen, alles sehr genau verfolgt. Das hat mich auch ein bisschen überrascht und ich denke, auch nur deshalb kann sie so gut für Kinder schreiben, weil sie überhaupt so in der gesamten Literatur bewandert war.
BS: In wieviele Sprachen werden Ihre Bücher übersetzt?
Kirsten Boie: Ich weiß es nicht. Also deutlich über zwanzig. Das ist ganz toll. Am tollsten ist es, wenn man dann ein Buch zugeschickt bekommt, und die Bücher haben ja überall unterschiedliche Cover, und am besten noch in einer Schrift, die man gar nicht kennt, kennt auch das Cover nicht und denkt, ja ist es jetzt von mir? Denn den Namen kann man ja auch nicht lesen, das Cover erkennt man nicht, die könnten mir sonstwas schicken. Meistens ist aber im Impressum der deutsche Titel. Aber es gibt bei mir, und das ist keine Lüge, es gibt Bücher in meinem Regal, von denen ich nicht genau sagen kann, ob sie nun wirklich von mir sind und wenn, was sie sind. Da sie mir aber als Belegexemplare geschickt werden, werden es schon meine sein.
BS: Hören Sie viel von ausländischen Lesern?
Kirsten Boie: Relativ wenig. Es kommt einiges aus dem skandinavischen Raum und auch relativ viel aus den USA. Skogland und Verrat in Skogland sind zwei Jugendbücher von mir, die dort auch erschienen sind, darüber bekomme ich einiges an Post. Was ich auch toll finde. Zum Teil auch sehr kritische Post, ein Mädchen zum Beispiel hat mir einen ganz langen Brief geschrieben. Sie hatte in den USA ein Buch gelesen und auch das Hörbuch dazu gehört, und da gab es Unterschiede zwischen Buch und Hörbuch. Das hängt damit zusammen, dass das Hörbuch die englische Fassung ist, während das Buch erst ins Englische übersetzt wird und dann nochmal ins Amerikanische, und da werden immer noch Kleinigkeiten verändert. Deshalb gehen sie im Englischen Eis essen und im Amerikanischen einen Latte Macchiato trinken. Und das Mädchen hatte mich gefragt, warum das denn jetzt so ist.
BS: Sie haben ja sehr viele Preise und Ehrungen bekommen. Gibt es da eine, auf die Sie ganz besonders stolz sind?
Kirsten Boie: Nein, alle eigentlich (lacht). Ich finde es immer wieder toll. Also ich bekomme jetzt bald auch wieder eine, das ist jetzt gerade Ende der letzten Woche bekannt gegeben worden, für Ringel, Rangel, Rosen, das bekommt den Gustav-Heinemann-Friedenspreis und das ist ein ziemlich großer Preis und da freu ich mich natürlich auch. Gerne mehr davon (lacht).
BS: Und wie ist das bei Ihnen mit den Schreiben? Wo schreiben Sie und wie?
Kirsten Boie: Ich schreib tatsächlich am liebsten zu Hause. Es gibt Kollegen, den macht das gar nichts aus, auf Lesereisen zu schreiben, das mach ich nicht so gerne. Ich kann das am besten zu Hause, ich denke, da kann ich mich auch am besten darauf konzentrieren. Und ich schreibe lieber am Vormittag als am Nachmittag. Das ist auch mein System, dass ich morgens als erstes an den Schreibtisch gehe und dann so ungefähr drei Stunden schreibe. Manchmal klappt das nicht, weil ich irgendwelche Termine am Vormittag habe, dann fällt es mir nachmittags schwerer. Sowohl mich zu disziplinieren als auch tatsächlich das schreiben selbst. Wahrscheinlich bin ich eher der Morgen-Mensch. Nicht der 6-Uhr-Morgen-Mensch, aber schon eher der Vormittag-Mensch (lacht).
BS: Gibt es auch Tage, an denen Sie gar nicht schreiben können?
Kirsten Boie: Ja, es gibt auch Tage, an denen ich wirklich nicht schreiben kann. Das sind aber extrem wenige. Tage an denen ich keine Lust habe, gibt es viele. Das ist auch nachvollziehbar, denke ich. Manchmal stehe ich auf, und wüsste ganz viele andere Dinge, die ich jetzt machen könnte. Aber was bei mir wirklich immer klappt, ist, wenn ich mich hinsetze und erstmal das durchlese, was ich am Vortag geschrieben habe. Sowieso schon, um es nochmal zu korrigieren. Und dadurch rutsche ich wirklich, ich würde mal sagen zu 95 % der Fälle, rein in den Text, sodass es wirklich so ist, wenn ich den letzten Satz des Vortags gelesen habe, habe ich den nächsten Satz schon im Kopf.
BS: Und schreiben Sie immer ein Buch zurzeit?
Kirsten Boie: Ja. Ich glaube auch, ich könnte das nicht anders. Manchmal passiert es, wie im letzten Jahr, dass ich sozusagen die Puppe in der Puppe geschrieben habe, das heißt, ich habe was angefangen, dann habe ich gedacht nee, das ist noch nicht ausgereift, dann hab ich das zur Seite gelegt, hab was anderes angefangen, hab da so ungefähr 30 Seiten geschrieben und das hätte ich auch weiterschreiben können, und dann ist mir durch ein Erlebnis eine Geschichte eingefallen und die wollte unbedingt geschrieben werden. Und dann habe ich diese Geschichte geschrieben, und das in ganz kurzer Zeit. Das erscheint im nächsten Frühjahr und ist zwar ziemlich umfangreich, doch ich hab das Buch so ruckzuck weggeschrieben, weil ich wusste, ich muss das jetzt schreiben, ich werde sonst mit den anderen Sachen nicht fertig, weil sich das immer vordrängeln wird. Und als ich das geschrieben habe, habe ich das andere, nicht so komplexe zu Ende geschrieben und jetzt sitze ich grade an dem, das noch nicht ausgereift war und ich fürchte, es ist immernoch nicht ausgereift (lacht).
BS: Haben Sie denn auch so etwas wie Schreibblockaden? Und irgendwas, was man dagegen tun kann?
Kirsten Boie: Also Schreibblockade ist ein zu starker Begriff, aber das gibt es schon manchmal, dass ich mit einem Text nicht weiterkomme und dann habe ich auch manchmal Abneigungen weiter zu schreiben. Ja , doch Abneigungen ist das richtige Wort, und die Lösung ist dann auch wirklich ganz ehrlich damit umzugehen und zu versuchen zu gucken, ist irgendwas weiter vorne irgendwie schief gelaufen, also stimmt zum Beispiel irgendein Charakter nicht, habe ich an einer Stelle gemogelt und dann muss ich zurück gehen und die letzten Seiten streichen und von da an, wo was schief gegangen ist weiterschreiben. Manchmal stelle ich aber auch fest, dass es einfach nicht funktioniert und dass die Handlung und die Charaktere einfach nicht zusammenpassen, dass die Charaktere sich so nicht verhalten würden. – Ich hab in den letzten Jahren sehr viel zu tun gehabt mit Verfilmungen. Und Filme gehorchen ja ganz anderen dramaturgischen Gesetzen als Bücher es tun und man muss da auch viel handlungsintensiver arbeiten, gerade bei Kinderfilmen. Und dann gibt es für Filme eine bestimmte lehrbuchmäßige Struktur, die relativ schubladenmäßig festgelegt ist und dann hat man die Handlung und die Figuren müssen dann das tun, was die Handlung gerade braucht – und gerade das funktioniert bei Büchern nicht und ich finde, das klappt auch im Film oft nicht, weil Handlungen aus den Charakteren heraus entstehen. Man kann nicht erst die Handlung entwickeln und dann sagen, der eine Charakter soll jetzt das tun und der andere das. Im Leben sind es auch Menschen, die handeln. Ein bestimmter Charakter tut etwas und ein anderer würde das niemals tun und deshalb muss sich die Handlung aus den Charakteren heraus entwickeln. Und manchmal, wenn man das nicht macht und Figuren nur benutzt, wie Rollen, die ihr Schild hoch halten, dann funktioniert die Geschichte nicht, dann wird sie nicht lebendig. Und das habe ich am Filmbeispiel eigentlich ganz gut gelernt, weil da die Gefahr sehr groß ist und weil es dort schwieriger ist, das Ganze zu umgehen. Aber das gilt für Bücher natürlich genauso. Es kann auch passieren, dass man denkt, das wäre jetzt eine tolle Geschichte, aber das klappt mit den Charakteren nicht.
BS: Also fangen Sie auch manchmal ein Buch an, indem Sie die Charaktere einfach handeln lassen und gucken, was passiert?
Kirsten Boie: Ja, das passiert auch. Das sind unterschiedliche Arten von Büchern, denke ich. Die Bücher, die mir am meisten Spaß machen, sind eigentlich die, bei denen es mir um die Menschen geht. Dann muss das auch gar nicht so eine wahnsinnig spannende Handlung haben. Und da können sich die Charaktere dann auch einfach entwickeln. Aber ich muss mich selbst belügen können am Anfang. Inzwischen weiß ich dann auch meistens, dass es eine Lüge ist, aber ich muss mir einreden können, dass ich weiß, wie das Buch ausgehen wird und wie die Handlung aussieht. Vorher kann ich mich nicht hinsetzen. Ich mache mir Stichworte und dann denke ich mir, ich weiß, was passieren wird und worauf es hinausläuft und dann schreibe ich. Ich weiß aber, dass das ganz oft nicht so ist, weil dadurch, dass die Charaktere in Aktion treten, stelle ich plötzlich fest, dass sie sich niemals so verhalten würden. Also muss ich die Handlung ändern. Das stört mich aber dann nicht mehr, ich brauche nur zu Anfang die Sicherheit, dass es für dieses Buch eine Handlung und einen Schluss gibt.
BS: Haben Sie Tipps für junge Autoren, wie man am besten ans Schreiben rangeht?
Kirsten Boie: Das ist schwierig. Ganz im Ernst, das finde ich wirklich schwierig. Denn erstmal, je mehr ich schreibe und je mehr Autoren ich treffe, desto überzeugter bin ich, dass die beste Grundlage für das Schreiben lesen, lesen, lesen ist. Und zwar so viel wie möglich und so unterschiedlich wie möglich. Denn ich glaube tatsächlich, wir speichern alles ab. Vor allem die Strukturen. Nur, das merkt man dann gar nicht, aber die hat man beim Schreiben quasi im Unterbewusstsein griffbereit. Denn dann beim Schreiben denke ich nicht bewusst. Ich denke vorher , aber währenddessen nicht. Beim Schreiben lese ich sozusagen, was in meinem Kopf spontan auftaucht. Bloß woher kommt das? Natürlich von Dingen, die ich erlebt habe aber auch von dem, was ich bisher gelesen habe. Und deswegen ist Lesen die Grundvoraussetzung, denke ich. – Aber ich glaube, alle Tipps sind so schematisch. Sich darüber mal Gedanken zu machen ist sicherlich nicht verkehrt, aber ob man sich am Ende wirklich dran halten muss, das ist dann was anderes. Schreibgruppen, in denen man über die Texte diskutiert, die man selbst geschrieben hat, das finde ich eine tolle Sache, weil man dann am konkreten Beispiel lernen kann, das ist nicht so theoretisch. Man kann es natürlich auch studieren – schaden tut es nicht, aber ob es immer nützt, weiß ich auch nicht. Und was ich übrigens wirklich glaube ist, dass es schwierig ist, Bücher unterzubringen. An dem Punkt, wo man ein fertiges Manuskript hat, dann einen Verlag zu finden, ist heute viel viel schwerer als es für mich war. Der Markt hat sich unglaublich verändert. Da muss man ein gutes Durchhaltevermögen haben. Ich würde heute immer einen Agenten empfehlen, hätte ich auch vor zehn Jahren noch nicht gemacht, aber heute halte ich das für ausgesprochen wichtig. Also wenn man das mit dem Buch ernsthaft vorhat, dann sollte man gucken, dass man einen guten Agenten findet. Und ein guter Agent ist der, der kein Geld von einem will. Das ist wie bei Verlagen. Es gibt Verlage, die wollen von Autoren Geld für die Druckkosten haben und sagen, man teilt sich so das Risiko. Ich hab von jemandem gehört, der sollte 30.000 Euro zahlen. Aber so geht es nicht, denn das ist ja mein Beruf als Autor, ich will Geld verdienen, nicht bezahlen. Der Autor hat in dem Moment schon seine Arbeit getan, und ein guter Agent verdient am Verkauf der Bücher, ebenso wie der Verlag. Das heißt, wenn ein Agent sagt, okay, ich nehm das und will auch kein Geld dafür, dann weiß man, der glaubt, dass das Buch sich verkaufen wird und der wird auch alles dafür tun, das bei einem Verlag unterzubringen. Also ich wäre immer sehr vorsichtig, wenn der Verlag von einem Geld verlangt, denn das Buch taucht dann meistens nie in der Buchhandlung auf.
BS: Dann haben wir auch für Sie eine abschließende Frage: Was hat für Sie eine Blaue Seite?
Kirsten Boie: Das Internet hat für mich eine Blaue Seite! 5000 Mal im Monat angeklickt und das beste Medium um sich zu informieren, was Jugendliche von Büchern halten.