Interview mit Jenny-Mai Nuyen
Auf der Frankfurter Buchmesse 2012 interviewten Bona-Katharina Dommert und Fee-Rose Strohschehn die Autorin Jenny-Mai Nuyen (u.a. „Nijura) und sprachen dabei insbesondere über ihr neuestes Buch „Noir“. (ACHTUNG: Spoiler bei Frage 12)
Blaue Seite: 1. Bist du das erste Mal hier auf der Frankfurter Buchmesse?
Jenny-Mai Nuyen: Nein, ich war seit 2006, seitdem meine Bücher erschienen sind, bis auf 2 Jahre, nämlich 2010 und 2011, immer auf der Buchmesse.
Blaue Seite: 2. „Noir“ spielt als einziges deiner Bücher in der realen Welt. Warum hast du dich diesmal für ein reales Setting entschieden?
Jenny-Mai Nuyen: Wenn ich anfange eine Geschichte zu schreiben, überlege ich meistens, in was für einen Rahmen sie passen würde. Das kann z.B. ein bestimmtes Gefühl oder eine besondere Verbindung zwischen den Figuren sein. Und in „Noir“ geht es ja um etwas ganz anderes als in den anderen Büchern, um das Gefühl der Orientierungslosigkeit. Für die Hauptfigur Nino Sorokin gibt es keine konkrete Gefahr im Leben, wie das sonst in vielen Fantasybüchern der Fall ist. Da gibt es meistens ein Problem, das bewältigt werden muss, egal, ob von dem Held, einer Gruppe von Charakteren, einer Rasse oder einem Land. Hier war das genau andersherum. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die ein Problem aufgreift, das man weniger als Teenager empfindet, sondern eher als junger Erwachsener. Und zwar, dass man sich fertig zu einem Erwachsenen entwickelt hat und dann nicht weiß, wie einen das weitergebracht hat. Und so ähnlich habe ich mich auch beim Schreiben gefühlt. Bis dahin bin ich zur Schule gegangen und dann habe ich studiert. Man wird sein ganzes Leben auf das Erwachsensein vorbereitet, und wenn man dann fertig ist, fragt man sich: wozu das alles? oder: was ist die Antwort? Und das Naheliegende, was uns die Gesellschaft dann sagt, ist: Liebe, Familie gründen, Kinder kriegen und so etwas. So wird das Problem, wozu das alles ist, immer weitergetragen an die nächste Generation und es gibt nie eine Antwort. Daher war mir klar, dass diese Problematik auch in unserer jetzigen Welt spielen muss, weil das in der Fantasywelt vielleicht anders rübergekommen wäre.
Blaue Seite: 3. Das Cover von „Noir“ ist ein zerbrochenes Glas und einige Seiten im Buch zieren dasselbe Bild. Was hat das mit dem Inhalt des Buches zu tun?
Jenny-Mai Nuyen: Da gibt es verschiedene Zusammenhänge.
Noir ist das Mädchen, das für Nino die Liebe wird. Er erfindet diese Liebe sozusagen für sich, und dann wird sie real. Sie wird immer mit Wasser verglichen und dann unter anderem auch mit einer Wasserwand, die ihn vom Rest der Welt trennt, und dann auch wieder mit der Realität, die zersplittert, und dahinter kommt dann etwas Echtes zum Vorschein. Das ist eine gar nicht mal so originelle Metapher. Man sieht die Welt durch ein Glas und denkt, nichts wäre dazwischen, aber das ist es eben doch. Und in dieser Geschichte geht es darum, dass er dieses Glas zerbricht und dahinter das Echte findet bzw. das Surreale, das sein Leben dann beherrscht.
Blaue Seite: 4.Wir haben in einem Interview gelesen, dass es dir wichtig ist, welche Namen du für deine Hauptcharaktere wählst und auch deren Bedeutung. Warum hast du hier Noir und Nino gewählt?
Jenny-Mai Nuyen: Ich fand es sehr schwer, hier die Namen zu finden, weil es ja keine richtige Fantasygeschichte ist, und ich dachte, dass ich mich deshalb an Namen halten müsste, die alltäglich sind und die es auch gibt, aber die dann natürlich nicht so geläufig sind, dass der Leser schon Leute mit diesem Namen kennt. Ich wollte nicht, dass man bei dem Namen Bekannte vor Augen hat und die Figuren dann mit denen assoziiert. Mir ist klar geworden, dass man von der Herkunft der Figuren herleiten sollte, wie die Personen heißen. Ninos Mutter kam aus Italien und sein Vater aus Russland. Und so kam es zustande, dass er einen halb italienischen, halb russischen Namen haben sollte. Noir heißt wegen ihrer Fingernägel so. Bei ihr war das besonders schwer, weil sie ja eigentlich keine Eigenschaften hat, sie ist kaum noch ein Mensch, und das einzige, was sie noch mit ihrer Vergangenheit verbindet bzw. Aufschluss über ihre Herkunft gibt, ist dieser letzte gekratzte Rest von Schwarz an ihren Fingernägeln. Was dann auch wieder die Metapher mit dem Zersplittern oder Abbrechen aufgreift.
Blaue Seite: 5. Was bedeutet denn dein Name?
Jenny-Mai Nuyen: Ich glaube gar nichts. Ich glaube, dass der Hintergrund meines Namens ist, dass alle halbasiatischen Kinder, die in Europa oder Amerika zur Welt kommen, immer entweder Jenny oder Maik heißen.
Bona: Ich nicht. Meine Mutter ist Chinesin und mein Vater Deutscher.
Jenny-Mai Nuyen: Meine Mutter hat Chinesisch studiert. Sie ist Deutsche, aber mein Vater ist Vietnamese. Du heißt nicht Jenny (zu Bona), aber mein Bruder heißt dafür Maik. Er ist gerade 17 geworden. Wir haben vor kurzem telefoniert und kurz vor 12 hatte er mich dann nochmal angerufen und meinte: „Oh, ich werde in ein paar Minuten 17.“ Ich hatte das auch vergessen, das war richtig furchtbar. Ich liebe ihn über alles, aber in solchen Sachen bin ich manchmal total vergesslich.
Blaue Seite: 6. Ninos Schwester Katjuscha ist Vegetarierin und Nino ist aus dem Grund auch so etwas wie ein Halbvegetarier. Warum hast du dich entschieden, die Personen zu Vegetariern zu machen?
Jenny-Mai Nuyen: Die Beziehung von Nino und Katjuscha ist offensichtlich ziemlich geprägt von meinem Bruder und mir. Aber Katjuscha ist ein bisschen moralischer als ich. Ich versuche immer wieder, Vegetarierin zu sein, und war das auch 2 Jahre lang, aber dann habe ich immer wieder versagt. Es fällt mir total schwer, weil ich eigentlich total gerne esse und Fleisch sehr liebe. Und deshalb habe ich mir überlegt, das jetzt in Maßen zu machen, sodass ich nur Fleisch esse, wenn ich ins Restaurant gehe oder wenn ich einen totalen Heißhunger darauf habe. Ich muss Fleisch essen, aber so selten wie möglich. Mit meinem Bruder rede ich oft über solche Sachen, aber der ist nicht so wirklich überzeugt davon, dass er auf Proteine verzichten soll, weil er Leistungsschwimmer ist. Ich versuche dann immer, ihm Sojaprodukte unterzujubeln, aber er sagt dann immer,
Blaue Seite: 7. Es geht in „Noir“ auch um Unsterblichkeit und die Seele. An wie viel davon glaubst du selber?
Jenny-Mai Nuyen: Ich glaube, dass ich das alles glauben könnte, aber das heißt nicht, dass ich fest davon überzeugt bin. Mir scheint das alles möglich. Ich glaube definitiv, dass es übersinnliche Dinge gibt, die aber nicht unbedingt übersinnlich sind, sondern vielleicht einfach nicht erforschbar.
Wie unser Verstand oder unser Gehirn funktioniert, ist ja auch nur Teil der Natur, und das heißt nicht, dass wir darüber stehen, um das alles betrachten zu können. Ich glaube, wir sind gar nicht in der Lage, alles zu begreifen, manche Tiere haben ja auch Sinne, die uns fehlen. Ich finde es gut, dass die Wissenschaft so misstrauisch ist, aber manchmal tendiert man dazu zu sagen, dass die Dinge nicht existieren, sobald man sie nicht versteht. Die Ansicht teile ich nicht, aber es würde nicht ausreichen, wenn ich sage, dass irgendwelche Dinge, die man nicht wissen kann, genauso sein müssen, wie ich es jetzt sage.
Blaue Seite: 8. Also hältst du dir alles offen?
Jenny-Mai Nuyen: Ja, aber ich glaube, dass ich diese Frage in einem Jahr besser beantworten kann, weil ich gerade anfange, Religionswissenschaften und Philosophie zu studieren, und ich hoffe, dass da ein paar Fragen beantwortet werden. Ich muss nur aufpassen, dass ich dann keine Labertasche werde. Ich glaube auch nicht, dass ich dann religiös werde, oder durch das Studium an eine Religion glauben werde, weil es eigentlich nicht so sehr um eine Religion geht, sondern eher darum, warum Menschen überhaupt glauben und woher Religion kommt.
Blaue Seite: 9. Bist du denn religiös erzogen worden?
Jenny-Mai Nuyen: Nein, gar nicht. Mein Vater kam aus einem katholischen Internat, war dann wahrscheinlich genau dadurch überhaupt nicht gläubig, und meine Mutter ist protestantisch erzogen, aber ich bin nie in die Kirche gegangen. Die waren eher Atheisten.
Blaue Seite: 10. In „Noir“ gibt es einige Zeitsprünge. Wie bist du beim Schreiben vorgegangen?
Jenny-Mai Nuyen: „Noir“ zu schreiben, ist mir sehr viel schwerer gefallen als alle Bücher davor, weil es erstens ein totaler Wechsel des Genres und der Geschichtenart war, aber auch, weil ich mir dafür richtig viel Zeit lassen wollte. Ich wollte was richtig Ehrliches machen. Etwas, das wirklich aus mir kommt. Und nicht etwas, bei dem ich anfange, mich zu wiederholen, weil die anderen Bücher erfolgreich waren. Es gab eine Zeit, während der ich mich gefragt habe, was ich jetzt eigentlich will, wer ich bin und was für eine Geschichte wirklich ehrlich ist. Die Frage konnte ich mir überhaupt nicht beantworten. Dann habe ich angefangen, „Noir“ ganz intuitiv zu schreiben, ohne einen richtigen Plan, um einfach mal zu schauen, was jetzt wirklich erzählt werden möchte vom Inneren her. Und dadurch hat sich der Roman immer wieder verändert. Am Anfang war das eine ganz andere Geschichte, und später habe ich nochmal 60 Seiten wieder herausgekürzt und umgeschrieben, und es hat sich immer wieder gewandelt. Im letzten Drittel erst habe ich begriffen, was es eigentlich werden soll.
Dann kamen diese „Jetzt“-Einschübe, die eigentlich das Ende waren, und die ich teilweise verlängert habe und dann nach vorne geschoben, damit das Ganze nicht mehr ungleich gewichtet ist. Und deshalb ist die Geschichte weniger geplant und weniger durchdacht als alle anderen, aber dafür glaube ich, dass sie sehr ehrlich ist. Ich habe nicht versucht, etwas Ehrliches zu spiegeln, sondern habe das geschrieben, was ich selbst zu diesem Zeitpunkt empfunden habe: die Zersplitterung, ein Chaos und ein Durcheinander.
Blaue Seite: 11. Wie lange hast du denn fürs Schreiben gebraucht?
Jenny-Mai Nuyen: Für dieses Buch habe ich etwa ein Jahr gebraucht. Schwierig sind mir die Stellen gefallen, die aufeinander aufbauen mussten und Sinn ergeben sollten und wo ich dann eine genaue Handlung erarbeiten musste. Die Sprache an sich, die den Leser mitnehmen soll, ist nicht das Schwierige, denn das ist wie Tagträumen. Das passiert einfach so und ist so, als würde man einen Film schauen.
Blaue Seite: 12. Zum Ende hin erschießt Noir ja 3 Männer. Wer sind diese Männer?
Jenny-Mai Nuyen: Man weiß nicht, ob die Männer wirklich existiert haben oder ob Nino sie sich nur ausgedacht hat oder ob es andere Mentoren sind. Einer dieser Männer ist so wie Mr. Samedi und die anderen sind seine Geister. Übrigens sollte das der Anfang der Zeit sein, in der Nino die Realität ein bisschen aus den Augen verliert. Zu dem Zeitpunkt fangen ja ganz viele absurde Sachen an, und es gibt für ihn keine richtige Möglichkeit mehr, nachzuvollziehen, was um ihn herum passiert. Die Realität entgleitet ihm dann wie in einer Albtraumsequenz.
Blaue Seite: 13. Gibt es eine Botschaft, die du mit „Noir“ vermitteln möchtest?
Jenny-Mai Nuyen: Nein, aber ich glaube, dass ich jedes Buch schreibe, um ganz persönlich Antworten für mich selber zu finden.
Bei „Noir“ geht es für mich um die Antwort darauf, was man als Erwachsener macht, was das bedeutet und ob es nicht noch irgendetwas anderes außer Liebe und Romantik gibt, oder ob das wirklich alles ist, worauf wir jemals hinarbeiten? Ich meine, dass wir versuchen, gebildet zu sein und einen Job zu kriegen, um dann einen Partner zu finden und dann wieder eine Familie zu gründen? Das kann sicherlich nicht die einzige Antwort sein.
Blaue Seite: 14. Hast du eine Antwort für dich gefunden?
Jenny-Mai Nuyen: Eine Antwort wäre das, was Nino macht. Und zwar die Realität ein bisschen zu vergessen und sich ganz in sein Innenleben zu stürzen, aber ich weiß nicht, ob das die Antwort für mich ist. Es ist aber definitiv eine Antwort, die ich mir durchs Schreiben ausarbeiten konnte. Ich glaube, es ist gar nicht wichtig, eine Antwort auf irgendwas zu finden, nur zu wissen, dass es Antworten gibt, reicht schon aus, um dann zu machen, was einem intuitiv liegt. So ist das bei mir beim Schreiben. Wenn ich schreibe, mache ich mir immer einen Plan, wie die Geschichte ausgehen könnte. Und sobald ich weiß, dass die Geschichte auf eine bestimmte Art existieren könnte, dass sie zu einem Schluss kommt, dann fange ich an zu schreiben und halte mich nicht mehr an den Plan. Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist zu sehen, dass es Antworten gibt, aber nicht, dass man seine eigene ganz persönliche Antwort findet, denn die ändert sich ja auch immer wieder im Leben.
Blaue Seite: 15. Inwiefern hast du dich als Autorin seit „Nijura“ weiterentwickelt?
Jenny-Mai Nuyen: Ich glaube schon, dass ich mich sehr verändert habe. Als ich mit 16 geschrieben habe, war ich auf eine bestimmte Art sehr viel sicherer, weil ich da selber noch aus der Leserecke kam. Ich dachte: „Natürlich bin ich in der Lage, selber eine fantastische Geschichte zu schreiben, weil ich eine Leserin bin und weiß, was die Leser wollen.“ Aber nach und nach wurde ich immer weniger Leserin und immer mehr jemand, der für andere Bücher schreibt. Und so verliert man ein wenig das Gefühl, was man als Leser will oder man wird verunsichert, weil man plötzlich so viele Leseeindrücke von anderen zu hören bekommt: Manche fanden das toll und andere fanden das total schlecht.
Blaue Seite: 16. Lässt du dich davon denn beeinflussen?
Jenny-Mai Nuyen: Man kann gar nicht anders, weil es oft so ist, dass Leser total enttäuscht von einer bestimmten Sache sind, und man möchte ja niemanden enttäuschen, aber man kann es auch nicht allen auf einmal recht machen.
Und dann ist man in einer Situation, in der man versuchen muss, sich total abzuschotten von der Meinung anderer, und zu machen, was man selber gerne lesen würde. Und das ist sehr schwer. Gerade, wenn man jung ist und von allen Seiten hört: „Das ist toll, das verkauft sich gut und das würden wir gerne haben“, muss man ein richtig dickes Fell entwickeln. Das musste ich auch erst lernen.
Blaue Seite: 17. Liest du Bücher denn mittlerweile anders?
Jenny-Mai Nuyen: Ja, wobei das schwer zu sagen ist, weil ich ziemlich zeitgleich angefangen habe zu lesen und zu schreiben. Also habe ich eigentlich von Anfang an, wenn ich Bücher gelesen habe, überlegt, was ich anders machen würde, was natürlich jeder Leser macht, aber dadurch, dass ich da auch angefangen habe, selber zu schreiben, rückte es mehr in den Vordergrund, dass man beurteilt, was man liest. Und heute ist es so, dass ich, wenn ich lese, im Hinterkopf habe, was der Schriftsteller wohl für ein Typ ist, und dann mache ich immer meine Schlussfolgerungen. Ah, der trinkt seinen Kaffee heiß. An der Art, wie jemand schreibt, kann man ganz viel ablesen, wie jemand so tickt und was für einen Charakter derjenige hat. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber es wurde auch schon oft genug bestätigt.
Blaue Seite: 18. Du hast gesagt, dass dich die Meinung deiner Leser schon beeindruckt. Nun hast du ja ein Facebook-Profil, einen Blog und du machst ja auch Sachen in Foren. Hilft dir der direkte Kontakt zu deinen Lesern beim Schreiben? Und wenn sie Kritik äußern, kannst du dann darauf aufbauen für deine anderen Bücher?
Jenny-Mai Nuyen: Einerseits ist es mir wichtig zu sehen, wer meine Bücher liest, und es ist auch schön zu hören, wie ihre Leseeindrücke waren. Ich finde es manchmal unbegreiflich, dass Geschichten, die ja schon sehr persönlich und intim sind, plötzlich auch anderen Leuten gehören. Als ob man den gleichen Tagtraum hat.
Und das ist schon ein großes Privileg und erstaunlich und schön, aber meistens ist es so, dass ich, wenn ich ein Buch fertig geschrieben habe, den Kontakt zu meinen Lesern suche, um zu sehen, was ihnen gefallen hat. Aber wenn ich anfange, ein neues Buch zu schreiben, brauche ich wieder mehr Raum für mich, um mir vorzustellen, dass ich ganz allein auf der Welt bin und niemand je lesen wird, was ich schreibe. Denn sobald man das Gefühl hat, beobachtet zu werden, und denkt, einem würden tausend Augen über die Schulter schauen, um zu sehen, was man schreibt, ist man schnell blockiert. Da muss ich komplett vergessen, dass es Leser gibt.
Blaue Seite: 19. Du warst ja vor kurzem bei einer Fernsehshow, in der der Moderator dein Buch gar nicht gelesen hat. Kommt so etwas öfter vor?
Jenny-Mai Nuyen: Nein, das gibt es nur im Fernsehen. Da liest niemand vorher etwas. Meistens wissen die auch gar nicht so richtig, wer ihre Gäste sind, aber das ist auch nicht schlimm. Bei einem Fernsehauftritt geht es hauptsächlich darum, das Cover in die Kamera zu halten, und ich muss einfach nur das Gesicht dazu sein. Ob der mir jetzt interessante Fragen stellt oder nicht, ist egal. Man geht davon aus, dass 90% der Zuschauer auch nicht wissen, worum es geht. Also geht es gar nicht so sehr um das Buch und seinen Inhalt, sondern mehr um das Zeigen.
Blaue Seite: 20.Du hast ja in New York Film studiert und es abgebrochen. Und einmal hast du gesagt, dass du nicht das Schreiben zum Beruf machen willst, sondern den Film. Was hat dich dazu gebracht, dich umzuentscheiden?
Jenny-Mai Nuyen: Ich habe mir das Studium in New York ja immht“, und dann bin ich nach Berlin gezogen, und es war einfach so heilsam, nicht die ganze Zeit arbeiten zu müssen und überall sein zu müssen, ich habe mich davor einfach so gefühlt, als wäre ich futterneidisch, weil ich bei allem mitmachen wollte. Und plötzlich konnte ich in einer Stadt, in der ich kaum jemanden kannte, einfach vor mich hinexistieren und meine Pubertät nachholen, albern sein und Quatsch machen, und das hatte ich auch bitter nötig. Aber mittlerweile finde ich es auch gefährlich, wenn ich nur schreibe und nichts anderes mache, weil ich dann gar nicht mehr so gut schreibe und so gerne.
Deswegen fange ich jetzt ja auch wieder an, zu studieren und zwar etwas, das gar nichts mit etwas Kreativem zu tun hat, weil ich das Kreative momentan beim Schreiben lassen
Blaue Seite: 21. Also hast du das Thema Film komplett für dich abgehakt, oder lässt du es erst mal ruhen?
Jenny-Mai Nuyen: Ich bin ein wenig desillusioniert von dem ganzen Medium. Wie Filme heutzutage gemacht werden, ist ziemlich schlimm. Es geht immer nur um Geld, oder du machst einen Film aus Leidenschaft und den wird nie jemand außer deinen Eltern sehen. Ich glaube, dass Film mir auch nicht so nahe ist wie das Schreiben. Ich glaube nämlich, dass man, wenn man zum Beispiel Regisseur oder so ist, einfach damit anfängt. Man studiert das dann nicht. Man sagt nicht: ich möchte Regisseur werden, sondern man ist es schon, weil man es die ganze Zeit tut. So wie bei mir das Schreiben. Ich habe immer geschrieben und nicht beschlossen, dass ich in der Zukunft irgendwann Autorin werde. Ich habe es einfach gemacht. Ich glaube, das ist wirklich ein Zeichen dafür, ob man etwas sein will oder ob man es schon ist.
Blaue Seite: 22. Du bist ja jetzt als Autorin auf der Buchmesse. Wirst du hier aber selber auch zur Leserin und gehst zu Lesungen?
Jenny-Mai Nuyen: Weniger, hauptsächlich weil ich so viel zu tun habe. Aber ich bin bei so etwas auch immer ein Muffel. Ich war zum Beispiel noch nie auf einer Lesung, bis ich selber eine hatte. Ich bin echt ein Kulturmuffel.
Blaue Seite: 23. Und trotzdem wusstest du, was du machen musstest?
Jenny-Mai Nuyen: Nee, ich habe meinen Agenten angerufen und wusste gar nicht, wie ich sagen sollte, dass ich nicht weiß, was auf einer Lesung passiert. Es war mir dann auch total peinlich, was vorlesen zu müssen, was ich selber geschrieben habe.
Blaue Seite: 24. Zur Buchmesse nochmal. Hier gibt es ja eine Menge Cosplayer. Wie findest du so etwas?
Jenny-Mai Nuyen: Ich finde das total cool. Ich freue mich immer total, wenn ich jemanden sehe, der verkleidet ist. Verkleiden ist sowieso schon ein Spaß, aber wenn man dann sieht, was für Mühe sich einige mit ihren Kostümen gegeben haben, bin ich echt glücklich. Ich finde jeden toll, der seine Fantasiewelt nach außen trägt. Ich hatte bis vor einem halben Jahr noch keine Mangas gelesen, bis mir ein befreundeter Autor, dessen Freundin Japanologie studiert hatte, mal ein Manga mitbrachte.
Den habe ich verschlungen, weil der auch von den Bildern her so schön war. Der heißt „Shinanogawa“ und ist von dem gleichen Zeichner, der auch „Lady Snowblood“ gemacht hat. Danach dachte ich, wie blöd bin ich, dass ich nie Mangas gelesen habe! Ich finde Comics sehr interessant und habe früher auch selber mal welche gezeichnet. Ich finde das echt toll und werde mich da nochmal reinhängen.
Blaue Seite: 25. Bei Interviews wirst du ja immer nur gefragt, aber gibt es etwas, dass du schon immer mal sagen wolltest?
Jenny-Mai Nuyen: Nicht so richtig, aber ich habe immer die Sorge, dass Leute, die mal ein Buch von mir gelesen haben, das sie blöd fanden, nie wieder Bücher von mir lesen. Das kann ich zwar nachvollziehen, weil ich auch nicht ein zweites Buch von jemandem lesen würde, dessen Bücher ich vorher schlecht fand. Aber ich denke dann immer: Mein Gott, ich verändere mich von einem Buch zum anderen so sehr, dass ich es furchtbar finde, dass man einen Autor nach einem Buch so sehr beurteilt, weil es sein kann, dass der einmal was total Schlechtes schreibt und das nächste Mal was total Gutes und dann nochmal was richtig Schlechtes. Und die Leser verändern sich ja auch.
Blaue Seite: 26. Was hat für dich eine Blaue Seite?
Jenny-Mai Nuyen: Dichte, aber auch Leere. Ich frage mich gerade, was ich geantwortet hätte, wenn ihr nach der Roten Seite gefragt hättet…
Blaue Seite: Vielen Dank für das Gespräch!