Interview mit Kai Meyer

Interview

Von Ihrer aktuellen Reihe über Arkadien erscheint im kommenden Herbst der dritte Band. Wie haben Sie den Charakter der Protagonistin Rosa entwickelt?

Bei anderen Büchern muss ich die Charaktere zuweilen ein wenig konstruieren, Rosa hingegen war fast von Anfang an präsent,lange bevor ich das Exposé geschrieben habe. Dieses Exposé ist eine Zusammenfassung der gesamten Geschichte, Szene für Szene, an der ich mich beim Schreiben orientiere. Oft entstehen Charaktere schon in diesem Exposé oder aber sie bekommen ihre Konturen erst bei der eigentlichen Arbeit am Roman. Bei Rosa war es anders, sie war von Anfang an ziemlich genau so, wie sie letztlich auch in den Büchern auftaucht. Ich hatte zu Beginn eine ganz bestimmte Vorstellung von ihr: wie sie redet, was sie niemals sagen würde, wie sie sich in bestimmten Situationen verhält, ihren ganz bestimmten Tonfall, der erwachsener wirkt als sie ist. Ich war selbst überrascht, wie gut die ersten Szenen mit ihr liefen. Das ist einer der Gründe, warum Rosa von all meinen Charakteren eine meiner Lieblingsfiguren ist.

Wie kamen Sie auf das Thema Mafia?

Ich vermische gerne Genres in meinen Büchern. Bei den Wellenläufern zum Beispiel waren es karibische Piraten und Fantasy, beim Wolkenvolk das alte China und Fantasy. Diesmal wollte ich etwas schreiben, das in der Gegenwart spielt, etwas Zeitgemäßes ohne Schwerter und Wirtshäuser und große Schlachten. Als ich mir überlegte, worauf ich mal Lust hätte, kam mir der Gedanke an die Mafia. Die allererste Idee war: Mafia und Monster. Ich begann also zu recherchieren, las viel über die Mafia, sah mir Dokumentationen und alte Filme an, bis ich ein Gefühl für das Thema hatte. Ich hatte vor allem Spaß daran, nach Wellenläufer, Wolkenvolk und Sturmkönigen wieder etwas Zeitgenössisches zu schreiben. Das merkt man auch an Rosa, glaube ich: Sie anders als die meisten meiner übrigen Hauptfiguren, weil ich eine möglichst moderne Heldin haben wollte.

Die Monster in den Arkadien-Büchern sind Panther und Schlange. Wieso entschieden Sie sich für diese beiden Tiere?

Ich habe schon früher oft meine Fantasy-Elemente aus der Mythologie abgeleitet. Da Sizilien in der Antike eine Kolonie Griechenlands war, gibt es auf der Insel an jeder Ecke griechische Ruinen. Von daher stand ziemlich früh fest: Wenn Sizilien der Schauplatz ist und es um die Mafia geht, dann liegt es fast auf der Hand, dass die phantastischen Elemente aus der griechischen Mythologie kommen müssen. Von all den Gestalten der Arkadien-Bücher war die Schlange die erste. In der griechischen Mythologie gibt es die Lamien, Frauen, die sich in Schlangen verwandeln können. Und so wurde Rosa eine Lamia. Für den Carnevare-Clan und Alessandro wollte ich ein möglichst ästhetisches Tier und entschied mich für den Panther. Klar, Alessandro ist der Junge, in den sich Rosa verliebt, es sollte allein deshalb schon kein Tier sein, das in irgendeiner Weise abstoßend wirkt.

Sie waren selbst auf Sizilien, haben dort viele von den Schauplätzen gesehen. Im zweiten Teil reist Rosa nach New York. Waren Sie mal dort?

Ich war in New York, aber nicht speziell für dieses Buch. Ich bin vor einigen Jahren von meinem amerikanischen Verlag zu zwei Lesereisen durch die USA eingeladen worden und war zweimal in New York. Ich bin dort auch durch den verschneiten Central Park gegangen – auch wenn der Schnee nicht ganz so hoch lag wie im Buch. Später dachte ich mir dann: Wenn ich eine Szene in New York spielen lasse, dann gern im Schnee, denn so hatte ich die Stadt auch selbst erlebt.

Als Rosa in New York ist, besucht sie einen Club. Gibt es diesen Club wirklich?

Welche ist Ihre Lieblingsstelle in Arkadien brennt?

Ich mochte die New York-Szenen sehr, nicht nur die Verfolgungsszene im Central Park, sondern auch die davor, wenn Rosa ankommt und sich zuerst einen neuen Tacker und Stahlkappenschuhe kauft. Dann natürlich ich die Szene im Zoo, in der Alessandro sie in das Raubtiergehege führt. Im Prinzip mag ich alle Szenen, in denen es sehr dramatisch wird. Das sind nicht unbedingt Actionszenen, sondern solche, in denen es zu Konfrontationen kommt. Zum Beispiel die Stelle, and der Rosa mit Trevini in den Keller geht und Valerie in dieser Zelle findet. Solche Szenen, in denen Figuren mit unterschiedlichen Standpunkten oder Blickwinkeln aufeinandertreffen – in diesem Fall Trevini, der etwas anderes will als Rosa, dazu kommt Valerie, die einen noch anderen Standpunkt vertritt – schreiben sich fast von selbst, weil ich die Figuren einfach aufeinander los lasse. Dabei muss ich kaum nachdenken, das schreibt sich ganz von selbst. Viel anstrengender ist dagegen eine Verfolgungsjagd. Oft kann es ziemlich langwierig sein, im Buch einen Eindruck von Tempo zu erwecken.

Wie wählen Sie die Namen der Personen aus?

In meinen Notizbüchern sammele ich Namen, die ich irgendwo aufgeschnappt oder gelesen habe; auch in Abspännen von Filmen stolpere ich zuweilen über Namen, die ich interessant finde. Manche erfinde ich auch einfach. Sogar für die historischen Romane habe ich hin und wieder Namen erfunden, die vielleicht historisch klingen, es aber nicht wirklich sind. Oft kenne ich den Namen einer Figur schon ziemlich früh, weil ich dann meist auch gleich ein Bild im Kopf habe. Bei Nebenfiguren ist es gelegentlich umgekehrt, da weiß ich zuerst, was diese Figur tun soll und suche dann einen Namen für sie aus. In solchen Fällen habe ich früher auch mit Vornamenbüchern gearbeitet.

Also sind die Namen sehr wichtig für eine Geschichte?

Namen finde ich viel wichtiger als Äußerlichkeiten. Beschreibungen der Figuren sind in meinen Büchern oftmals nur vorhanden, weil ich weiß, dass die Leser sie erwarten. Mir würde es bei vielen Figuren reichen, den Namen zu nennen; ich glaube, dass die Leser dadurch relativ schnell einen optischen Eindruck vor Augen haben. Mir selbst geht das bei Romanen anderer Autoren genauso.

Kennen Sie das Ende der Geschichte, wenn Sie mit dem Schreiben beginnen?

Ich mag die Welt der Wellenläufer sehr gerne. Dieses ganze Piratenumfeld hat mir großen Spaß gemacht, weil ich schon als Kind Piratenfilme toll fand. Heutzutage gibt es ja neben den Johnny-Depp-Filmen nicht mehr viele davon, aber als ich jünger war, liefen permanent alte Piratenfilme aus den Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahren im Fernsehen. Auf diese Welt hätte ich schon Lust, auch wenn ich wahrscheinlich seekrank werden würde, mir das alles zu schmutzig wäre und ich nach einer Stunde lieber wieder in meinem Arbeitszimmer säße. Aber aus der Ferne betrachtet und mit einem etwas romantisierenden Blick darauf, würde ich gerne mal die Karibik der Wellenläufer besuchen.

Gibt es einen Charakter, den Sie überhaupt nicht mögen?

Natürlich gibt es immer Figuren, die ich mehr mag als andere. Das hat vor allem mit dem Schreiben selbst zu tun, denn manche Figuren schreiben sich, wie gesagt, fast von selbst, so wie Rosa. Andere Figuren sind ein bisschen anstrengender, aber es gibt nicht die eine Figur, von der ich sagen könnte, dass ich sie gar nicht mag. In der Regel liegen mir gerade die Bösewichte am Herzen. Ich glaube, als Autor muss man seine negativen Figuren gern haben, weil Antagonisten nur dann funktionieren, wenn sie eine nachvollziehbare Motivation haben. Der Gegner der Helden in einem Buch muss immer der Überzeugung sein, dass er im Recht ist. Es funktioniert nicht, einfach nur zu behaupten, dass einer böse sei und deshalb böse Dinge tut. Und sobald ich diesen Figuren ihre eigene Motive gebe, bin ich so nah an den Figuren, dass ich sie mag – auch wenn sie die schlimmsten Verbrechen begehen.

Welches Buch, das Sie in letzter Zeit gelesen haben, würden sie empfehlen?

Mir hat "Das Spiel des Engels" von Carlos Ruiz Zafón sehr gut gefallen.

Welche Farbe haben die Vorhänge in Ihrem Arbeitszimmer?

Ich bin eigentlich kein großer Freund von Vorhängen, aber vor den Fenstern meines Arbeitszimmers hängen weiße Lamellen.

Mögen Sie eher ein Happy End oder ein tragisches Ende?

Das kommt auf die Geschichte an. Ein tragisches Ende hat immer den Vorteil, dass es dem Leser in der Regel länger im Gedächtnis bleibt. Ich bekomme noch heute viele Mails und Nachrichten zur Merle-Trilogie, weil die kein echtes Happy End hat. Beim Schreiben geht es ja vor allem darum, bei den Lesern Emotionen zu wecken – und ein tragisches Ende ist meist emotional als ein glückliches. Andererseits darf nicht jedes Buch negativ enden, dann würde es zu einem simplen Effekt und hätte kein Gewicht mehr.

Unsere Website heißt Die Blaue Seite. Was hat für Sie eine Blaue Seite?

Da fällt mir als erstes Kohlepapier ein. Das gab es, bevor jeder selbst mit dem Drucker kopieren konnte. Wollte man eine Durchschrift von einem Brief haben, spannte man dieses Kohlepapier zwischen zwei leere Blätter in die Schreibmaschine. Und eine Seite davon war immer schwarz oder eben blau.

Vielen Dank für das Interview!

RedakteurRedakteur: Bona, Fee, Kim
FotosFotos: Daria
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