Interview mit Paul Maar
Auf der Leibziger Buchmesse wurde Paul Maar von Lina-Marie Ostertag und Caroline Miholic, zwei Mitgliedern unserer Redaktion interviewed.
Seine bekanntesten Bücher sind die Sams-Geschichten.
Wie viele Bücher haben Sie selbst zu Hause?
Also, ich habe vier Regale, die vom Boden bis zur Decke gehen, in jedem Regal sind so etwa 400 Bücher. Sagen wir: so 1500 Bücher werden es wohl sein. Ich kann auch kein Buch wegwerfen. Meine Tochter macht das besser. Sie liest auch viel, hat aber immer die gleiche Anzahl von Büchern zu Hause. Wenn sie sich ein neues kauft, dann verschenkt sie ein altes.
Wo kommen Ihnen die Ideen zu Ihren Geschichten und wo schreiben Sie?
Die Ideen kommen an ganz verschiedenen Orten. Mal im ICE, dann muss ich mir schnell einen Zettel und einen Stift besorgen, um sie aufzuschreiben. Manchmal im Halbschlaf, morgens im Bett, aber meistens dann, wenn ich am Schreibtisch sitze. Ich hab mal gesagt, meine Ideen wissen ganz genau, wenn ich morgens um neun an den Schreibtisch setze, dass sie dann zu kommen haben und daran halten sie sich auch. Ich wohne in der Innenstadt von Bamberg, da ist es ziemlich laut, ich habe viele Freunde, die mich oft besuchen, und das Telefon klingelt ständig, deswegen muss ich mich zum Schreiben zurückziehen, an einen Ort, an dem ich ganz ungestört arbeiten kann. Und deshalb haben wir uns schon vor 14 Jahren auf dem Land am Rande eines kleinen Dorfes ein Haus gemietet und immer wenn ich schreibe, ziehe ich meistens für drei bis vier Monate dorthin zurück. Dort gibt es ganz bewusst kein Fernsehen, das würde mich bloß ablenken, leider muss ich sagen, aber das ist auch wieder ein Vorteil, gibt es dort auch kein Netz, heißt also: mein Handy funktioniert nicht. Ich bin demnach relativ ungestört.
Sie haben als letztes Das Sams im Glück geschrieben, arbeiten Sie gerade an einem neuen Buch?
Da der Wunsch nach einer Fortsetzung von Lippels Traum nicht abreißt, bin ich jetzt auf Seite 90 von einem Fortsetzungsroman, auch den Titel weiß ich schon, und zwar ist es der erste Satz den der Vater zu Lippel sagt, Lippel, träumst du schon wieder? – und das wird der Titel Lippel, träumst du schon wieder.
Zu Lippels Traum haben wir auch noch eine Frage, und zwar geht es in dem Buch wie der Titel schon sagt, um Träume – was bedeuten denn Träume für Sie? Erinnern Sie sich an Ihre Träume?
Nicht immer, aber es gibt einige Träume, die finde ich ganz entscheidend, weil sie einem selbst etwas sagen, und es kann sogar sein, dass man irgend ein Problem mit sich herumträgt und zu diesem Thema etwas träumt und dann aufwacht und sagt, jetzt hab ich es. Also Träume sind gewissermaßen Probleme und Gedanken, die im Unterbewusstsein weiter in uns wirken und uns dann einen Lösungsweg zeigen.
Warum schreiben Sie gerade Kinderbücher?
Ich würde sagen, weil ich das besonders gut kann. (lacht). Ich hab das von Anfang an gemerkt, zuerst wollte ich für Erwachsene schreiben und eines meiner ersten Jugendbücher, Kartoffelkäferzeiten, war zuerst für Erwachsene gedacht. Bei den ersten Kinderbüchern, die ich damals noch für die eigenen Kinder geschrieben habe, habe ich beim Vorlesen gemerkt, dass das bei den Kindern gut ankam und ich merkte auch, dass ich eine bestimmte Art von Humor zu habenscheine– diese Art, die Kinder gut finden. Ich sitze manchmal am Schreibtisch und denke mir eine Szene aus und muss dabei vor mich hin grinsen, weil ich sie so lustig finde- Wenn ich die dann Erwachsenen vorlese, dann sagen die ach, ganz nett. Aber wenn ich diese Stelle dann bei einer Lesung in der Buchhandlung acht bis zehnjährigen Kindern vorlese, dann gibt es zum Teil brüllendes Gelächter, bei der gleichen Szene, die die Erwachsenen gar nicht so witzig gefunden haben. Ich muss gar nicht denken, wie werden wohl Kinder darauf reagieren, und ich habe auch meistens gar keine bestimmte Altersgruppe im Sinn, wenn ich ein Buch schreibe. Ich schreibe so, wie ich die Geschichte als Kind gerne gehört hätte.
Sie haben gesagt, Sie haben Ihre Geschichten früher für Ihre Kinder geschrieben, lesen sie Ihre Bücher immer noch?
Dabei muss ich natürlich sagen, dass meine Kinder inzwischen erwachsen geworden sind und ich nicht nur Kinder habe, sondern auch Enkelkinder. Inzwischen lesen also meine Enkelkinder mit Begeisterung, vor allem der Jüngste, der jetzt elf Jahre alt ist.
Haben sich Ihre Enkel schon mal von Ihnen gewünscht, dass Sie etwas Spezielles schreiben?
Nein, eigentlich nicht. Ich bekomme aber viele Briefe von Kindern und bei Ihren Wünschen ist es oft so, dass es Vorschläge sind, wie eine Geschichte weitergehen könnte, die aber sehr vom Fernsehen beeinflusst sind. Also wenn sie ein neues Samsbuch wollen, dann sagen sie, schreiben Sie doch das Sams fliegt zum Mond oder das Sams im Urwald oder das Sams bei den Cowboys oder so ähnlich. Und ich muss dann zurückschreiben, nein, die Herausforderung ist ja gerade, dieselbe Figur, die die Kinder schon kennen, möglichst in derselben Umgebung trotzdem eine neue Geschichte erleben zu lassen.
Haben Sie denn vor, noch ein weiteres Samsbuch zu schreiben?
Nein, das siebte ist jetzt erschienen, ich hab schon nach dem sechsten gesagt, jetzt ist Schluss, und das siebte kam dadurch zustande, dass der Filmproduzent Ulrich Limmer, mit dem ich schon zwei Samsfilme gedreht habe, gerne noch einen dritten Samsfilm machen wollte. Daraufhin habe ich ihm mein letztes Samsbuch Onkel Alwin und das Sams in die Hand gedrückt und sagte hier, bitte, damit können wir doch einen Film machen. Er las es durch und sagte, das Buch ist gut, jaja, aber das wird kein typischer Samsfilm. Ich fragte warum, und er sagte, na die Hauptperson ist ja gar nicht Herr Taschenbier, sondern sein etwa dreizehn- vierzehnjähriger Sohn Martin, seine Freundin Tina, sein Freund Roland und dessen Freundin Samantha und dann ist noch das Sams dabei und die ziehen wie eine Jugendclique durch die Stadt und richten irgendwelche Dinge an und er meinte, das ist doch kein Samsfilm sondern viel mehr ein Jugendfilm, ich würde gerne noch einen Film wie den ersten Samsfilm machen. Und ich hab gefragt, und, was machen wir dann? Und er meinte, komm, wir ziehen uns für acht oder zehn Tage zurück in die Einsamkeit, wo uns niemand stört, und denken uns aus, wie ein neuer Samsfilm aussehen könnte. Dann flogen wir tatsächlich für acht Tage nach Italien, weil er dort in völliger Einsamkeit im Gebirge ein Häuschen hat , und da saßen wir zusammen. Als wir dann zurück nach Deutschland flogen, hatten wir ein zehnseitiges Exposé, wie die Geschichte sich entwickeln könnte. Er fuhr nach München und machte daraus die erste Fassung des Drehbuchs, ich fuhr nach Bamberg und schrieb dann das Buch.
Und kamen da sehr unterschiedliche Dinge bei raus?
Ja, und das ist dabei dann auch immer das Witzige, wir sind beide Autoren und jeder hat so seine eigene Fantasie. Er hat unsere Vorlage genommen und hat angefangen zu schreiben und ich auch, und ich hab dabei dann immer gedacht: hier könnte man noch was dazuschreiben, und hier könnte ich noch was dazu erfinden. Er hatte natürlich die Schwierigkeit, dass ein Film nicht länger dauern soll als 90 Minuten, damit er dem Rhythmus entspricht, den Kinofilme eben so haben. Ich hatte überhaupt keine Beschränkung. Es war mir überlassen, ob ich 100, 150, 180 oder 200 Seiten schreibe . Und dieses Samsbuch hat jetzt sogar über 200 Seiten. Deswegen konnte ich mir Szenen ausdenken, die es im Film gar nicht gibt. Der Film endet auch ganz anders als das Buch, die Hauptgeschichte ist aber gleich: nämlich, wenn ein Sams länger als 15 Jahre bei einem Menschen lebt, dann verwandelt sich dieser Mensch langsam in ein Sams. Und Ulrich Noethen, der diesen verwandelten Herrn Taschenbier spielt, der macht das grandios. Im Film ist das Ende so, dass Herr Taschenbier zusammen mit seinem ehemaligen Chef eine Schirmmanufaktur gründet. Im ersten Teil hat er ja auch schon in einer Schirmfabrik gearbeitet. Und bei mir im Buch ist es so, dass er zusammen mit seinem Freund Mon einen Kuriositätenzoo gründet.
Also Ihnen gefallen auch die Filme, die aus Ihren Büchern entstanden sind?
Ja, die gefallen mir durchaus, zumal ich die Drehbücher ja auch immer mitgeschrieben habe.
Das Sams ist ja mittlerweile auch zu einem Teil Ihres Lebens geworden, nervt es Sie denn auch manchmal?
Jein, also, was mich ein bisschen nervt, und das geht glaube ich jedem Autor so, der über 50 Bücher geschrieben hat, das ist: Wo immer ich auch hinkomme, werde ich vorgestellt als Samsautor, und dann sage ich ja, ich bin zwar ein Samsautor, aber ich habe auch andere Bücher geschrieben. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass ich durch den Erfolg der Samsbücher ein gesichertes Einkommen habe. Ichmuss mir darum keine Sorgen machen. Deshalb muss ich eigentlich dafür dankbar sein und darf mich nicht beschweren.
Wenn Sie jetzt noch einen Notfallwunschpunkt übrig hätten, also noch einen einzigen Wunsch, was würden Sie sich wünschen?
Ich habe pro Jahr um die hundert Lesungsanfragen und würde aber gerne auch mal wieder was schreiben. Und dann habe ich auch noch Filmtermine. Wenn ich einen Wunsch hätte, würde ich mich gerne verdoppeln. Der eine Paul Maar sitzt zu Hause und schreibt in aller Ruhe und ohne Termindruck ein schönes neues Buch ,und der andere macht seine 100 Lesungen und reist von Hamburg bis Freiburg. Davon abgesehen, gestern war ein Redakteur von Bayern2, vom bayrischen Rundfunk bei mir zu Hause und hat Fragen zum Sams gestellt und die letzte Frage war, was würden Sie sich wünschen wenn sie einen Wunschpunkt frei hätten ? Da war ich so frech zu sagen, da ich diese Frage im Laufe von 40 Jahren schon ungefähr 1237 mal gehört habe, würde ich wünschen, mal eine andere Frage am Schluss beantworten zu müssen.
Das wäre auch unsere nächste Frage gewesen, was denn so die nervigste Frage ist, die Sie immer wieder gestellt bekommen.
Ja, das ist genau die Wunschpunktfrage. Ich muss dann immer überlegen, denn ich möchte auch nicht immer dasselbe sagen. Aber es ist schwierig immer wieder was Neues zu finden und sich nicht zu wiederholen.
Könnten Sie sich vorstellen, mit einem Sams zusammenzuleben?
Na lieber nicht. (lacht) Ich glaube, das wäre etwas nervig.
Das Sams dichtet ja immer. Warum?
Das ist eben das Kennzeichen, das ich dem Sams gegeben habe. Man muss, wenn man eine Figur erfindet, sich überlegen, was macht diese Figur aus. Also zum Beispiel das Aussehen, da kam ich durch verschiedene Skizzen drauf, denn ich mache ja auch die Illustrationen in meinen Büchern, dann welche Eigenschaften hat es. Da war klar, es muss das Gegenteil sein vom schüchternen Herrn Taschenbier. Er ist schüchtern, also muss das Sams frech sein, er ist ängstlich, also muss das Sams mutig sein, er ist kontaktgestört, also muss das Sams jeden anquatschen, er ist ein ernster Mensch, also muss das Sams am meisten Spaß haben an seinen eigenen Witzen. Das ist das eine. Und dann muss es ja auch eine bestimmte Sprache bekommen. Und da kam ich drauf, weil mir Wortspielereien sehr viel Spaß machen und die gebe ich alle dem Sams. Das Sams darf so viel reimen, wie mir einfällt. Vor kurzem hat mir ein siebenjähriges Mädchen geschrieben Hallo Paul Maar, die Reime vom Sams gefallen mir besonders gut, denken Sie sich die Reime selbst aus oder haben Sie einen Dichter im Büro, der für Sie dichtet. Da hab ich dann zurück geschrieben, der einzige Dichter in meinem Büro ist Paul Maar. (lacht)
Mal so ganz generell gefragt, wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, Autor zu werden?
Durch das Lesen. Ich war ein begeisterter Leser und wollte eigentlich Maler werden und war an der Kunstakademie in Stuttgart, aber dann hat mich doch die Liebe zum Lesen und zur Literatur eingeholt und auch überholt, das heißt, noch während ich an der Kunstakademie war, habe ich schon mein erstes Hörspiel geschrieben, allerdings nicht für Kinder, sondern für Erwachsene. Ich habe auch sehr früh geheiratet, noch als Student und als dann unser Sohn Michael, der heute selber schreibt, so vier oder fünf Jahre alt war, kam mindestens einmal am Tag die Frage, Papa, erzählst du mir eine Geschichte? Und am Anfang hab ich ihm die Geschichten erzählt, die ich noch im Kopf hatte , die ich früher gelesen hatte. Das ging mir dann aber langsam aus und da hab die angefangen selber für ihn Geschichten zu erfinden. Ich durfte auch die selbe Geschichte zwei oder drei Mal erzählen und habe sie dann bei jedem Erzählen noch ein bisschen erweitert und das Ende noch ein bisschen runder gemacht ,und irgendwann dachte ich dann, das kannst du jetzt auch mal aufschreiben, wenn sie meinem Sohn gefallen, dann gefallen sie vielleicht auch anderen Kindern. Und ich hatte Glück. Iich hab sie an den Oetinger Verlag geschickt und bekam gleich einen Vertrag und das erste Buch wurde gedruckt. Das ist ein bisschen eine Ausnahme, das war Der tätowierte Hund, mein erstes Buch. Michael Ende, der leider schon vor einiger Zeit gestorben ist, hat mir mal erzählt, mit seinem ersten Buch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer hatte er ganz große Schwierigkeiten, dafür einen Verlag zu finden. Er hatte es an zehn Verlage geschickt und neun haben es abgelehnt und erst der zehnte, der Thienemann Verlag sagte dann ja. Wie gesagt, ich hatte da Glück, vielleicht hätte ich es sonst aufgegeben und hätte gedacht, naja vielleicht sind meine Geschichten doch nicht so gut.
Mochten Sie denn den Deutschunterricht früher?
Das kam ein bisschen auf den Deutschlehrer an, wie das ja immer ist. Man hat so ein bestimmtes Verhältnis zu einem Deutschlehrer, der einem liegt und der auch Themen stellt, die einem liegen. Zwischendurch in der Mittelstufe hatte ich ein bisschen Schwierigkeiten, da hat es gerade zu einer 3 gereicht, da stand auch meistens unter meinen Aufsätzen viel zu ausschweifend, bleib beim Thema! Während die anderen zwei Seiten geschrieben hatten, war ich schon am Ende der Seite sieben. Ich wurde nie fertig (lacht). Aber im Abiturjahr hatten wir einen sehr sympathischen und netten Deutschlehrer, der mich geschätzt hat und den ich geschätzt hab und da hatte ich dann auch eine 1.
Aber da konnten Sie sich noch nicht vorstellen, mal Autor zu werden?
Ich habe früher für die Schülerzeitung geschrieben, also ein halber Autor war ich schon.
Dann haben wir noch eine letzte Frage, was hat denn für Sie eine blaue Seite?
Für mich hat das neue Samsbuch eine blaue Seite. Weil das Buch blau ist und die Punkte vom Sams blau sind, habe ich ein sehr sympathisches Verhältnis zur Farbe Blau (lacht).
Dankeschön!